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Was dem Auge (nicht) verborgen bleibt
- 16. November 2017
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- Universitätsklinikum Würzburg
Koordination, Kommunikation und Kooperation funktionieren bei Menschen in der Regel sehr gut. Die Psychologie hat sich in den letzten Jahren zunehmend damit beschäftigt herauszufinden, was denn die Mechanismen sind, die dem zugrunde liegen. „Das sind – und das ist das Schöne – oft die ganz einfachen Dinge“, sagt Professorin Anne Böckler-Raettig. Einfache Dinge, wie ausgetauschte Blicke – bewusst oder unbewusst.
Erforschung des direkten Blickkontaktes
Gut erforscht ist mittlerweile die Blickfolge; die automatische Tendenz, mit der Aufmerksamkeit den Blicken anderer Menschen zu folgen. „Wir machen das die ganze Zeit und merken es oft gar nicht. Und das hat einen Rieseneinfluss“, erklärt die Psychologin, die seit Oktober 2015 eine Juniorprofessur am Institut für Psychologie der Uni Würzburg innehat. Dadurch könnten Menschen unter anderem die Perspektive des Gegenübers – also was der Andere sieht, was ihn interessiert oder was er haben oder tun möchte – besser verstehen.
Direkter Blickkontakt stand bisher weniger im Fokus der Forschung. Hier setzt die neue Emmy-Noether-Forschergruppe „More than meets the eye: Untersuchungen zur Integration, Funktion und Beeinträchtigung der Verarbeitung von direktem Blickkontakt“ an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) an.
Das Antragsthema basiert grob auf einem einfachen Experiment aus Böckler-Raettigs Doktorandenzeit. Mit Kollegen aus den USA und Kanada fand sie heraus, dass Blickkontakt, vor allem plötzlicher, unsere Aufmerksamkeit bannt. „Das ist erstmal ein recht einfacher Befund. Spannend jedoch ist die Frage, warum das so ist und wie das funktioniert“, sagt die Professorin.
Funktion und Bedeutung im Fokus
Das Forschungsvorhaben gliedert sich in drei Teile. Im ersten wollen die Forscher klären, wie der direkte Blickkontakt funktioniert. „Welche Rolle spielt dabei die zeitliche Komponente“, fragt Anne Böckler-Raettig etwa. Und insgesamt stellt sich die Frage, wie sich dieser Reiz in andere Reize integriert, etwa den Emotionsausdruck auf einem Gesicht des Gegenübers: „Mich interessiert, wie daraus ein Gesamtbild entsteht und das „Sich-Anschauen“ mit anderen Reizen zusammenspielt.“
In diesem Bereich der Grundlagenforschung arbeiten die Wissenschaftler unter anderem mit der Eye-tracking-Methode. Dabei werden Probanden sehr einfache Reize präsentiert, zum Beispiel Gesichter, die einen anblicken oder eben nicht anblicken. Die Bewegungen der Augen und der Weg des Blickes werden aufgezeichnet und können analysiert werden. Hier arbeitet die neue Forschergruppe eng mit den Professoren Lynn Huestegge (Psychologische Methodenlehre) und Winfried Kunde, dem Leiter des Lehrstuhls für Psychologie III der JMU zusammen.
Im Fokus des zweiten Teils steht die Bedeutung des Blickkontakts in der sozialen Interaktion und im sozialen Verstehen. Und zwar für denjenigen, der beispielsweise bei einem Gespräch zuhört, genauso wie für denjenigen, der gerade etwas sagt. Bereits in den Sechzigerjahren gab es erste Versuche, die das Blickverhalten in einem Gespräch untersucht haben. Das Ergebnis: Blicke haben eine doppelte Funktion: Etwa: Hört mein Gegenüber zu? „Gleichzeitig kommuniziere ich auch, etwa kurz bevor ich das Wort abgebe, schaue ich meinem Gesprächspartner in der Regel in die Augen“, erklärt Böckler-Raettig. Aber verstehen wir einander? Und wenn nein – warum nicht?
Blicke haben große Wirkung für die soziale Interaktion
Ob wir unsere Mitmenschen verstehen, hat eine emotionale und eine kognitive Komponente. Bei der emotionalen Komponente, Empathie, geht es etwa darum, ob jemand verstehen kann, wie der Gegenüber sich gerade fühlt. Genauer: sich in ihn oder sie „hineinfühlen“ kann – und das passiert weitgehend automatisch.
Der kognitive Zugang beschreibt die Möglichkeit zur Perspektivübernahme. Was denkt jemand, was glaubt jemand, was plant jemand? Hier ist laut Böckler-Raettig eine spannende Frage: „Sind Menschen, die anderen Menschen beim Zuhören viel in die Augen gucken, empathischer und fällt ihnen die Perspektivübernahme leichter?“
Interaktionsdefizite und die mögliche Überwindung davon stehen im Fokus des dritten Teils. „Es gibt die Ansicht, dass viele Psychopathologien auch Interaktionsstörungen sind – sonst würde es uns ja in der Regel auch nicht auffallen“, sagt die Professorin. Beispiele sind soziale Ängstlichkeit, Anpassungsstörungen und Autismus.
Soziale Ängstlichkeit und Anpassungsstörungen
Soziale Ängstlichkeit und Anpassungsstörung sind die beiden Defizite, die die Wissenschaftlerin untersuchen möchte. „Die hier betroffenen Menschen wissen gewissermaßen nicht, wie es sozial ‚richtig‘ funktioniert“, sagt Böckler- Raettig. Bei ihnen ist beispielsweise die Empathie reduziert, wofür sie nichts können. „Bei sozialer Ängstlichkeit weiß man, dass die Betroffenen ein etwas anderes Blickverhalten haben“, sagt die Psychologin. „Möglicherweise sind es diese ganz einfachen Mechanismen, die ursächlich sind für unsere sozialen Fähigkeiten“, sagt die Professorin.
Gemeinsam mit Marcel Romanos, dem Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum der Universität, versucht die Psychologin, diese Krankheitsbilder besser zu verstehen. Eine Motivation dahinter: Erkenntnisse in neue Therapien einfließen lassen zu können. Dann könnte das Erlernen einfacher Verhaltensweisen, etwa in Bezug auf den Blickkontakt, komplexere soziale Zusammenhänge positiv beeinflussen.
Kontakt
Prof. Dr. Anne Böckler-Raettig, E-Mail: anne.boeckler@uni-wuerzburg.de