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Der Klon-Krebs aus der Natur – ein Modell für Tumore

Eine Genom-Untersuchung hat bewiesen, dass alle Exemplare des Marmorkrebses von einem einzigen Muttertier abstammen. Vor rund 30 Jahren entstand der Urklon in einem Aquarium. Seither können sich die Tiere auch ohne Männchen erfolgreich und massenhaft ausbreiten. Dies zeigt eine aktuelle Veröffentlichung von Wissenschaftlern des Deutschen Krebsforschungszentrums. Die klonale Genom-Evolution der Krebse könnte auch Erklärungen für Vorgänge in Tumoren liefern.

Ein Flusskrebs, der sich von alleine im Aquarium fortpflanzte, verblüffte vor einigen Jahren Tierhalter und Wissenschaftler. Erklären ließ sich dies nur durch das Phänomen der Jungfernzeugung, der Parthenogenese. Nun zeigte eine Genomsequenzierung und Vergleiche zwischen einzelnen Tieren, dass tatsächlich alle Exemplare von einer einzigen Mutter abstammen. Der Marmorkrebs-Klon bildet eine eigene Art (Procambarus virginalis) und spaltete sich vor rund 30 Jahren von den Everglades-Sumpfkrebsen (Procambarus fallax) ab, wie der Blick in die Gene zeigt.

In einer aktuellen Veröffentlichung belegt Frank Lyko und sein Team vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), dass die ausschließlich weiblichen Nachkommen des Marmorkrebses genetisch identisch sind. Lyko führt aus: „Wir haben nur wenige Hundert Varianten in einem Genom nachweisen können, das größer ist als das menschliche Erbgut, das ist eine unglaublich kleine Zahl.“ Die winzigen Abweichungen lassen sich auf natürliche Mutationen zurückführen. Die DKFZ-Wissenschaftler zählten 3,5 Milliarden Basenpaare im Genom des Krebses, das sind etwa sieben Prozent mehr als beim Menschen.

Zudem überprüfte im Rahmen der Studie eine Wissenschaftlerin auf Madagaskar, wie gut sich der Krebs mittels der Jungfernzeugung im Freiland ausbreiten kann. Der Fortpflanzungserfolg überraschte die Wissenschaftler. „Es war bekannt, dass sich der Krebs infolge von Freisetzungen aus dem Aquarium im Freiland etablieren kann. Dass er sich aber so rasant und massiv ausbreiten kann, ist neu“, erklärt Lyko.

Außer im subtropischen Madagaskar lässt sich der Krebs etwa in Schweden, Japan, Freiburg, Hannover oder Heidelberg finden. Dies weist auf eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit hin – gänzlich ohne sexuelle Fortpflanzung. Den Lehrbüchern nach soll gerade die „Erfindung des Sex“ durch den Mix an väterlichen und mütterlichen Genen die genetische Vielfalt erhöhen und so eine schnelle Anpassung unter widrigen Umweltbedingungen ermöglichen.

Doch obwohl alle Marmorkrebse mit den gleichen Genen geboren werden, können sie sich an ganz unterschiedlichen Lebensräumen anpassen. Dies ermöglichen epigenetische Mechanismen. Diese werden gesteuert durch kleine chemische Anhängsel an der DNA, der eigentlichen Erbsubstanz. Epigenetische Mechanismen regulieren im Grunde die Interpretation der genetischen Information. Sie wirken wie Schalter, die Gene an- und abschalten. „Epigenetische Varianten werden oft von genetischen Varianten beeinflusst. Im Marmorkrebs ist die epigenetische Variation allerdings eigenständig, da es praktisch keine genetische Variation gibt“, erklärt Lyko.

Diese epigenetische Regulation macht den Marmorkrebs für Tumorforscher hochinteressant. Was wie ein Wortspiel klingt – ein Krebs für die Krebsforschung – ist tatsächlich Realität. Lyko erklärt: „Beim Marmorkrebs handelt es sich um ein Tier, das sich klonal vermehrt und somit einen zentralen Aspekt der Tumorentstehung modellhaft abbildet.“ Auch ein Tumor kann sich seiner Umgebung anpassen und zum Beispiel Resistenzen gegenüber Krebsmedikamenten entwickeln. Auch hier spielen epigenetische Mechanismen eine entscheidende Rolle, wie man seit wenigen Jahren unter anderem durch Forschungsarbeiten des DKFZs weiß. Sie vermögen das Krebsrisiko und den Verlauf einer Krebserkrankung zu beeinflussen.

Sowohl bei Marmorkrebsen als auch bei Tumoren findet sich die sogenannte klonale Genom-Evolution. Lyko: „Auch Tumorgenome evolvieren klonal, da sie auf eine einzige Ursprungszelle zurückgehen.“ Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, etwa zufällige Mutation in den Genen, Gen-Drift, Selektionsdruck und epigenetische Anpassung an die Umwelt. Ihre Rolle will das Team um Lyko in Zukunft mit Hilfe der Marmorkrebse erforschen. Wie der Erstautor der aktuellen Publikation, Julian Gutekunst, beschreibt, geht es vor allem um die Frage, „welchen Einfluss Umweltfaktoren auf Epigenetik und Genregulation haben“. Diese Erkenntnisse könnten das Wissen um die Vorgänge in Tumoren erweitern und Perspektiven für neue Ansätze in der Tumorbehandlung eröffnen.

Julian Gutekunst, Ranja Andriantsoa, Cassandra Falckenhayn, Katharina Hanna, Wolfgang Stein, Jeanne Rasamy and Frank Lyko: Clonal genome evolution and rapid invasive spread of the marbled crayfish.
Nature Ecology & Evolution DOI: 10.1038/s41559-018-0467-910.10
Frank Lyko: The marbled crayfish (Decapoda: Cambaridae) represents an independent new species.
Zootaxa 2017, DOI: /10.11646/zootaxa.4363.4.638/s41559-018-0467-9

Ein Bild eines Marmorkrebses steht zum Download zur Verfügung unter:
http://www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2018/bilder/holotype.jpg
BU: ausgewachsener Marmorkrebs (Procambarus virginalis).

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Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

 

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