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Wirbelstürme im Herzen
Göttinger Herzforscher entwickeln neue, vielversprechende Ultraschall-Diagnostik von Herzrhythmusstörungen
Allein in Deutschland stirbt alle fünf Minuten ein Mensch am plötzlichen Herztod, verursacht durch Kammerflimmern, der häufigsten Todesursache weltweit. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Ärzte noch nicht verstehen, was dabei genau im Herzen passiert. Denn bislang war es nicht möglich, die dynamischen Vorgänge im flimmernden Herzmuskel sichtbar zu machen. In der heutigen Veröffentlichung des Magazins Nature zeigt ein internationales Forscherteam um Jan Christoph und Stefan Luther vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation sowie Gerd Hasenfuß vom Herzzentrum der Universitätsmedizin Göttingen erstmals, wie wirbelartige rotierenden Kontraktionen, die dem lebensbedrohlichen Herzflimmern zugrunde liegen, im Inneren des Herzens beobachtet werden können. Sie verwenden dafür ein neues bildgebendes Verfahren, für das in der Medizin etablierte Ultraschall-Geräte eingesetzt werden können. So können Ärzte Herzrhythmusstörungen, aber auch andere Erkrankungen des Herzens künftig besser untersuchen und neue Behandlungsmethoden entwickeln.
Wenn der Herzmuskel nicht mehr koordiniert kontrahiert, sondern nur noch flimmert, wird es lebensgefährlich. Mediziner sprechen von einer Fibrillation. Zucken dabei die Hauptkammern des Herzens auf diese ungeordnete Weise, gibt es nur eine Rettung: Der Herzmuskel muss innerhalb weniger Minuten mit einem starken Stromstoß defibrilliert werden, der sehr schmerzhaft ist und das Herzgewebe schädigen kann. Ein Flimmern im Vorhof hingegen führt zwar nicht unmittelbar zum Tod, kann unbehandelt jedoch auch fatale Folgen haben. „Der Schlüssel zu einem besseren Verständnis der Fibrillation liegt in einer neuen hochauflösenden Bildgebung, mit der sich die Vorgänge auch im Inneren des Herzmuskels beobachten lassen“, sagt Stefan Luther, Leiter der Forschungsgruppe „Biomedizinische Physik“ am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und Professor an der Universitätsmedizin Göttingen.
„Die mechanische Bewegung des Herzmuskels in der Fibrillation ist hoch-komplex, aber sie ist gleichzeitig auch sehr charakteristisch – fast so wie ein Fingerabdruck der Fibrillation“, sagt Jan Christoph, Forscher am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation sowie am Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung in Göttingen und Hauptautor der Studie. Gemeinsam mit Stefan Luther und einem internationalen Team von Forschern stellt der Physiker jetzt eine diagnostische Methode vor, mit der sich das Flimmern des Herzmuskels mit einem gängigen Ultraschallgerät zeitaufgelöst in drei Dimensionen und damit viel genauer untersuchen lässt, als dies im Patienten bisher möglich war.
Hilfreich für Diagnose und Therapie der Herzmuskelschwäche
Die neue diagnostische Methode wird helfen, die Therapie des Kammerflimmerns und möglicherweise auch des Vorhofflimmerns effektiver zu gestalten. So dürfte das bessere Verständnis der Fibrillation, das sich mit dem Verfahren erzielen lässt, dazu beitragen, die Entwicklung der Niedrigenergie-Defibrillation voranzutreiben. Dabei sollen schwächere, aber viel gezieltere Stromstöße das Kammerflimmern beenden als bei der heute üblichen schmerzhaften Defibrillation mit hochenergetischen Elektroschocks. Mit der neuen Form der Ultraschalldiagnostik können Mediziner herausfinden, wie sie die Stromstöße mit niedrigerer Energie setzen müssen, um das Herz wieder in den Takt zu bringen.
Die Göttinger Forscher entwickeln die Methode zudem weiter, damit diese auch die komplexe Erregungsdynamik beim Vorhofflimmern sichtbar macht. Zukünftig können Kardiologen dann sehen, an welchen Stellen sie durch Ablation krankhafte Erregungsherde veröden sollten. Hilfreich dürfte die neue Ultraschallmethode auch für die Erforschung, Diagnose und Therapie der Herzmuskelschwäche sein. Dabei arbeiten die Herzmuskelzellen ineffektiv, weil ihre koordinierte Kontraktion gestört ist. Die Ursachen dafür könnten Ärzte mit detaillierten Ultraschalluntersuchungen ergründen, sodass sie die Herzinsuffizienz früher erkennen und effektiver behandeln können.
Elektrische Anregung verursacht mechanische Kontraktionen des Herzens
Jeder Herzschlag wird durch elektrische Erregungswellen ausgelöst, die mit hoher Geschwindigkeit durch den Herzmuskel schießen und die Herzmuskelzellen zur Kontraktion bringen. Kommen diese Erregungswellen durcheinander, entstehen Herzrhythmusstörungen. Mediziner wissen bereits seit längerem, dass bei Herzrhythmusstörungen die elektrische Anregung wirbelförmig durch den Herzmuskel wandert. Bislang konzentrierten sie sich bei der Untersuchung von Herzrhythmusstörungen auf diese elektrischen Wirbel. Ein vollständiges Bild der Dynamik konnten sie sich im medizinischen Alltag aber nicht machen. Die Max-Planck-Forscher gingen nun einen anderen Weg und nahmen statt der elektrischen Anregung die zuckenden Kontraktionen des flimmernden Herzmuskels in den Blick. „Bislang wurde der Analyse von Muskelkontraktionen und -verformungen während der Fibrillation wenig Bedeutung beigemessen. Bei unseren Messungen sahen wir aber, dass die elektrischen Wirbel immer mit entsprechenden wirbelförmigen mechanischen Verformungen auftreten“, sagt Physiker Jan Christoph.
Um die zitternden Bewegungen im Inneren des Herzmuskels in drei Dimensionen darzustellen und mit der elektrischen Erregung des Herzens in Verbindung zu setzen, entwickelten die Forscher neue hoch-auflösende Ultraschall-Messverfahren. Sie wiesen auch nach, dass diese Methoden in hochleistungsfähigen Ultraschallgeräten eingesetzt werden können, die bereits in vielen kardiologischen Einrichtungen routinemäßig genutzt werden. Indem sie die Bilddaten der Muskelkontraktionen analysierten, konnten sie in einem flimmernden Herzen genau verfolgen, wie sich Bereiche von kontrahierten und entspannten Muskelzellen wirbelförmig durch den Herzmuskel bewegen. Sie beobachteten dabei auch filamentartige Strukturen, die Physikern bisher nur in der Theorie und aus Computer-Simulationen bekannt waren. Eine solche filamentartige Struktur ähnelt einem Faden und markiert das Auge des Wirbelsturms, der sich durch den Herzmuskel bewegt. Die Zentren der Wirbel im Inneren des Muskels zu lokalisieren, ist jetzt erstmals möglich.
Parallel zu den Ultraschallaufnahmen setzten die Forscher Hochgeschwindigkeitskameras und Fluoreszenzfarbstoffe ein, welche die elektrophysiologischen Vorgänge im Herzmuskel sichtbar machen. Die so gemachten Aufnahmen bestätigten, dass die mechanischen Wirbel die elektrischen Wirbel sehr gut widerspiegeln.
Potenzial, die Behandlung von Herzrhythmusstörungen zu revolutionieren
Laut den Göttinger Forschern hat die Ultraschalltechnik gerade in den letzten Jahren mit Hinblick auf Bildqualität und Aufnahmegeschwindigkeiten eine gewaltige Weiterentwicklung erlebt – das Potenzial moderner Ultraschalltechnik ist bislang noch nicht voll ausgeschöpft. „Zusammen mit der immens gestiegenen Rechenleistung moderner Computer und den rasanten Weiterentwicklungen in der Computergrafik und digitalen Bildverarbeitung eröffnen sich komplett neue Mess- und Visualisierungsmöglichkeiten im Herzen. Diese Entwicklungen können wir heute in der Medizin nutzen,“ sagt Jan Christoph.
Die Studie ist ein Beispiel für erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit von Physikern und Medizinern im Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung. „Diese Entwicklung hat das Potenzial, die Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit Herzrhythmusstörungen zu revolutionieren. Bereits 2018 werden wir die neue Technik bei unseren Patienten einsetzen, um sowohl Herzrhythmusstörungen als auch Herzmuskelerkrankungen besser diagnostizieren und behandeln zu können“, sagt Gerd Hasenfuß, Mitautor der Studie, Vorsitzender des Herzforschungszentrums Göttingen und des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen. Stefan Luther ist sich sicher: „Der tiefe Blick in die innere Dynamik des Herzens ist ein Meilenstein der Herzforschung und wird das Verständnis und die Behandlung von Herzerkrankungen zukünftig ganz entscheidend prägen.“