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Parasiten – Gefahr aus der Pfütze
In vielen tropischen und subtropischen Ländern können Würmer leicht von Haustieren auf den Menschen übertragen werden
Zugegeben, das Forschungsobjekt ist nicht gerade appetitlich: „Kotälchen“ – kleine parasitische Würmer, die im Darm seines Wirts leben und ihm unter Umständen arg zusetzen. Der so titulierte Zwergfadenwurm Strongyloides stercoralis ist für Adrian Streit vom Max-Planck- Institut für Entwicklungsbiologie dennoch faszinierend, denn er hat einen einzigartigen, äußerst kuriosen Lebenszyklus – und bis heute weiß niemand so recht, warum.
„Kurios“ ist bei Fadenwürmern zwar der zweite Vorname, denn seltsames Verhalten ist bei ihnen völlig normal: Der unter anderem auf La Réunion lebende Pristionochus pacificus zum Beispiel sucht sich im Boden eine Käferlarve, klettert darauf und stoppt dann seine Entwicklung. Sobald den Käfer das Zeitliche gesegnet hat, entwickelt sich der Wurm weiter, frisst sich am Kadaver satt und vermehrt sich (MaxPlanckForschung 1/2014). Aber im Vergleich zu Strongyloides ist das schon fast spießig.
Am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie erforscht Adrian Streit, wie ein Wurm in zwei Welten überleben kann. Strongyliodes kann nämlich zwischen parasitisch lebenden auch freilebende Generationen ausbilden. Parasiten sind ausschließlich Weibchen, die sich im Darm ihres Wirts durch Jungfernzeugung vermehren. „Sie produzieren männliche und weibliche Eier, die mit dem Kot ausgeschieden werden“, erklärt Streit. „Aus den weiblichen können sich entweder direkt infektiöse Larven entwickeln, die gleich in den Wirt zurückkriechen. Oder es entstehen freilebende Würmer, die sich mit männlichen paaren.“
Parasitische Weibchen
Die Männchen existieren also ausschließlich freilebend. Pflanzen sich Männchen und Weibchen im Boden fort, bilden sich nur parasitisch lebende weibliche Nachkommen. Diese zweite Larvengeneration muss deshalb wieder einen Wirt finden, um sich vermehren zu können. Was dann wieder ohne männlichen Partner geschieht.
Viele Wirbeltierarten an Land besitzen ihren eigenen Strongyliodes – auch der Mensch. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit über 300 Millionen Menschen mit dem Zwergfadenwurm infiziert sind, vor allem im Norden Südamerikas, in Zentralafrika und Asien. Feuchtwarmes Klima plus mangelnde Hygiene – ein Eldorado für Würmer! Bei gesunden Menschen verläuft die Infektion meist unerkannt, denn sie beherbergen nur vergleichsweise wenige Würmer. Bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem können die Larven jedoch vom Darm aus weitere Organe infizieren und lebensbedrohliche Infektionen auslösen, die sogenannte Strongyloidiasis. „Wird der Parasit beispielsweise bei Krebspatienten nicht erkannt, kann eine Chemotherapie zum Desaster werden“, betont Adrian Streit. Auch Organempfänger sind gefährdet: Selbst in westlichen Ländern ist es nach Transplantation wegen der Würmer schon zu Todesfällen gekommen. In den Niederlanden wurden zwei Fälle bekannt, in denen die Infektion nachweislich über gespendete Organe übertragen worden sind. Der Spender hatte 20 Jahre zuvor in Südamerika gelebt. „Ein größeres medizinisches Problem ist die Wurminfektion hierzulande noch nicht. Aber diese Fälle sind Anlass genug, sich damit zu beschäftigen“, meint Streit.
Dass die Infektion wie in diesem Fall so lange unbemerkt bleibt, ist nicht ungewöhnlich, denn sie kann völlig beschwerdelos verlaufen. Die klassischen Symptome – Hautausschlag, Übelkeit, Durchfall, Bauchkrämpfe – sind zudem unspezifisch. Deshalb können die Würmer leicht übersehen werden. Tragisch, denn gängige Wurmmittel hätten ausgereicht, um die Parasiten abzutöten.
Mangelnde Sanitärhygiene führt dazu, dass der Wurm von Mensch zu Mensch übertragen wird. Aber ist das tatsächlich der einzige Weg? Adrian Streit treibt die Frage um, ob die Strongyloidiasis zu den sogenannten Zoonosen gehört, also von Tieren, zum Beispiel Hunden, auf den Menschen übertragen werden kann. Wenn dem so wäre, müssten sich bei Hund und Herrchen Würmer mit identischer DNA finden lassen.
Feldstudie in Kambodscha
In Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel und dem kambodschanischen National Center for Parasitology, Entomology and Malaria Control, die im Norden Kambodschas zusammen ein Feldlabor unterhalten, nahmen Streits Mitarbeiter 2013 und 2016 Kotproben von Tier und Mensch. Die ländliche Region ist ideal dafür: Die Häuser der Bauern stehen auf Stelzen – oben lebt die Familie, darunter die Tiere, meist Schweine und Hunde. Die sanitären Anlagen sind alles andere als hygienisch, und die Einwohner gehen barfuß oder tragen nur einfach Schuhe. Im feuchten, mit Kot kontaminiertem Boden halten sich Fadenwürmer über Wochen.
Die Larven bohren sich in die Haut und bewegen sich dort mit zehn Zentimetern pro Stunde fort – ziemlich schnell für die weniger als einen Millimeter kurzen Wesen! Mediziner nennen sie deshalb respektvoll „Rennlarven“. In der Umgebung der Würmer kommt es meist zu Hautreizungen. Als nächstes bohren sie sich durch die Wand eines Blutgefäßes und werden dann im Blut in die Lunge gespült. Auch dort dringen sie durchs Gewebe und wandern die Luftröhre noch oben. „Erst hochgehustet, dann verschluckt, so gelangen sie in den Verdauungstrakt“, erklärt Streit.
In der Dünndarmschleimhaut legt jedes Weibchen bis zu 1.000 unbefruchtete Eier pro Tag. Sie werden größtenteils mit dem Kot ausgeschieden. Der menschliche Parasit hat jedoch die unangenehme Eigenschaft, dass ein Teil der Embryonen sich bereits im Wirt zu infektiösen Larven entwickelt. Diese dringen in die Darmwand ein oder bohren sich durch die Analschleimhaut zurück in den Körper. Das ist der Grund, weshalb die Infektion unbehandelt sehr lange bestehen bleiben kann.
In Kambodscha nahmen Streits Doktoranden Tegegn Jaleta und Siyu Zhou mit Einverständnis der Dorfbewohner Kotproben von Mensch und Tier. „Das war für die Leute dort ein riesiges Ereignis“, sagt Streit schmunzelnd. „Viele kamen um zu helfen.“ Die Menschen konnten sich von Mitarbeitern des Baseler Tropeninstituts und des Institute for Entymology, Parasitology and Malaria Control umsonst behandeln und erklären lassen, wie sie sich künftig vor einer Infektion schützen können.
Die gesammelten Proben wurden zunächst für zwei Tage bebrütet, anschließend in Wasser gelegt und später die im Wasser schwimmenden Wurmlarven abgetrennt. Genetische Untersuchungen waren jedoch im dürftig eingerichteten Feldlabor des Dorfs nicht möglich. Also mussten die Wissenschaftler die Würmer nach Deutschland ausfliegen – jeder Wurm einzeln, eingelegt in ein Röhrchen mit Ethanol. „Der Zoll war zunächst alles andere als begeistert. Aber als klar war, dass die Würmchen nicht lebendig und steril verpackt auf die Reise gehen, waren die Beamten beruhigt“, erzählt Streit.
In ihrem Tübinger Labor haben Streit und seine Kollegen dann das Erbgut der Würmer untersucht. Die Analyse ergab, dass eine der beiden Strongyloides-Populationen, die die Forscher im Kot der Hunde gefunden hatten, genetisch mit der aus den Exkrementen ihrer Besitzer identisch war. Die Populationen überlappen also. Hunde müssen folglich ernsthaft als Überträger in Betracht gezogen werden.
Als nächstes will Streit untersuchen, ob Hunde die einzigen Überträger für den Menschen sind. Wasserbüffel wären dafür ebenfalls Kandidaten, denn in vielen Gegenden pflügen Bauern mit Wasserbüffeln noch barfuß ihre Reisfelder. Zum Beispiel im Süden Chinas: Dort waren die Tiere Studien zufolge die Hauptüberträger von Bilharziose. Die Erkrankung wird durch Saugwürmer verursacht. „Obwohl eine Behandlung der einzelnen Patienten durchaus erfolgreich war, konnte der Wurm durch die Behandlung von Menschen allein kaum zurückgedrängt werden. Trotzdem ist es gelungen, die Infektion in China unter Kontrolle zu bekommen, allerdings erst, als man auch die Wasserbüffel entwurmt hat“, sagt Streit. Ein Vorbild für den Umgang mit Strongyloidiasis? Deshalb plant Streit nun ein ähnliches Projekt wie in Kambodscha im Südwesten Chinas. Dort gibt es nicht nur ländliche Regionen, in denen die Zwergfadenwürmer reichlich vorkommen, sondern auch hochqualifizierte Wissenschaftler mit gut ausgestatteten Laboren.
Konkurrenz im Darm
Erkennen lässt sich die Wurminfektion unter dem Mikroskop. Für Laien sind Fadenwürmer mit ihren weltweit mehr als 25.000 Arten zwar kaum zu unterscheiden, für Biologen aber schon. „Neben Parastrongyloides, einem engen Verwandten, sind Strongyloides die einzigen Fadenwürmer, deren infektiösen Larven einen für diese Arten typischen langen Schlund haben. In erster Linie enthalten die Kotproben jedoch andere Fadenwürmer, wie beispielsweise Hakenwürmer, denn Mensch und Tier sind in Asien häufig mit verschiedenen Wurmparasiten infiziert. Ob sich die unterschiedlichen Parasitenarten im Darm Konkurrenz machen ist noch unklar. „Sicher ist aber: Würmer können bei einer weiteren Infektion die Neuankömmlinge der gleichen Art unterdrücken“, erklärt Streit. „Wie, weiß man noch nicht, aber es könnte ein Ansatz für künftige Behandlungen sein.“
Um den Tricks der Würmer auf die Schliche zu kommen, hält Streit in Tübingen zwei weitere Strongyloides-Arten, die in Ratten beziehungsweise Schafen (im Labor auch in Kaninchen) leben. Zusammen mit der Universität Hohenheim, die auf der Schwäbischen Alb eine Tierzucht unterhält, kann er zum Vergleich auch die Wurm-Wildpopulation des Schafsparasiten analysieren.
Anders als für den Menschen sind Fadenwürmer in der Tierhaltung auch hierzulande ein echtes Problem. Verglichen mit anderen parasitischen Fadenwürmern spielen allerdings Strongyloides für die Tiermedizin keine große Rolle, denn im Gegensatz zu Strongyloides stercoralis führen Tiere infizierende Strongyloides-Arten nicht zu langandauernden, sich selbst erhaltenden Infektionen. Diese Arten, die auch außerhalb des Wirtes leben können, eignen sich aber als Studienobjekte für die biologische Grundlagenforschung.
Streit will an den Zwergfadenwürmern auch untersuchen, ob es so etwas wie „Parasiten-Gene“ gibt – also eine Gruppe von Genen, die für diesen Lebensstil notwendig sind. 2016 haben Wissenschaftler das Erbgut von vier verschiedenen Strongyloides– und zwei weiteren nahe verwandten Arten entschlüsselt – davon lebt eine gelegentlich parasitisch, eine andere ist freilebend. Ein Vergleich der Genome ergab, dass die parasitischen Würmer mehr Gene für zwei Proteinfamilien besitzen, die die Immunantwort des Wirts dämpfen, als ihre freilebenden Verwandten. „Welche Rolle diese Gene für eine parasitische Lebensweise spielen, wissen wir jedoch noch nicht“, betont Streit. „Dafür müssten wir die einzelnen Gene ausschalten – nicht ganz einfach bei einem Organismus, der in jeder zweiten Generation in einem Wirt lebt.“
Eine weitere Besonderheit der Würmer besteht darin, dass die freilebende zweigeschlechtliche Generation der Würmer nur weibliche Nachkommen hervorbringt, während die eingeschlechtliche, sich durch Jungfernzeugung fortpflanzende parasitische Generation Männchen und Weibchen produziert. Damit Männchen ohne Vater entstehen können, muss je nach Strongyloides-Art ein Chromosom ganz oder teilweise abgebaut werden. Der geregelte Abbau von Erbinformation wird als „Chromatin-Diminution“ bezeichnet und ist zuerst beim Pferdespulwurm entdeckt worden. Ein solcher Abbau kommt in der Natur nur selten vor – außer bei Nematoden zum Beispiele auch noch bei Ruderfußkrebsen, Wimperntierchen und Neunaugen.
Generation ohne Männchen
Verschiedene Strongyloides-Arten können offenbar auch auf unterschiedliche Weise verhindern, dass in der Nachkommenschaft der zweigeschlechtlichen freilebenden Generation Männchen entstehen. Wie bei vielen Fadenwürmern besitzen auch die Weibchen des Rattenparasiten zwei X-Chromosomen, die Männchen dagegen nur eines. Ein Y-Chromosom, wie beim Menschen, gibt es in diesen Arten nicht.
„Während wir in den Würmern aus Schafen keine reifen Spermien gefunden haben, die zu Männchen führen, gibt es in den Rattenparasiten Spermien mit und ohne X-Chromosom“, erklärt Streit. Diese Spermien müssten eigentlich zu Männchen führen, da eine Eizelle immer ein X-Chromosom trägt. Im Gegensatz zum Schaf gibt es also bei der Ratte männliche Wurmembryonen. Diese sterben dann aber offenbar ab, denn beide Wurmarten bilden keine männlichen Larven. Wann die männlich determinierten Spermien oder die frühen männlichen Embryonen aussortiert werden, ist jedoch immer noch ein Rätsel.
Warum ist das Leben von Parasiten eigentlich oft so kompliziert? Für Adrian Streit ist der komplexe Lebenszyklus schrittweise aus einem einfacheren entstanden: Viele freilebende Fadenwürmer, bilden gelegentlich Dauerstadien, um schlechte Zeiten zu überstehen. Diese haften sich wie der eingangs erwähnte auf Käfern lebende Wurm häufig an andere Tiere an. „Sitzt eine solche Larve schon mal auf einem Tier, ist der Schritt ins Tier hinein nicht mehr so groß. Daraus könnte ein Lebenszyklus wie der von Strongyloides entstehen, bei dem der Wurm wahlweise parasitisch oder frei lebt“, erklärt Streit. Die meisten parasitischen Fadenwürmer sind aber in jeder Generation parasitisch. Möglicherweise ist also bei vielen Parasiten im Laufe der Evolution der freilebende Lebensabschnitt zugunsten eines rein parasitären verloren gegangen.
Strongyloides könnte auf dem Weg dahin sein. Aber ist er dabei vielleicht falsch abgebogen? Schließlich vermehren sich die Weibchen in ihren Wirten ausschließlich eingeschlechtlich durch Jungfernzeugung. Eine „Verjüngung“ des Erbguts durch Neukombination der Gene, findet daher in der parasitischen Generation nicht statt.
Sich ein- oder ungeschlechtlich vermehrende Linien sind evolutionär gesehen meist jung. Die Vermutung liegt nahe, dass sie gar nicht alt werden können, weil die Umstellung auf ein Leben ohne sexuelle Fortpflanzung der Anfang vom Ende ist. Möglicherweise hat sich Strongyloides also in eine Sackgasse manövriert, so dass er den geschlechtlichen freilebenden Zyklus gar nicht mehr aufgeben kann.
Vielleicht hat der Wurm ja aber auch für sich eine ideale Lösung gefunden: Dank der beiden Lebenszyklen kann ein einziges, sich selbst reproduzierendes parasitisches Individuum eine neue Population gründen, ohne die Vorteile der sexuellen Fortpflanzung aufzugeben. Ob und wie Strongyloides jemals zum reinen Parasiten werden oder ob sein Lebenszyklus noch komplizierter werden wird, lässt sich heute nicht vorhersagen – die Evolution findet immer wieder neue, manchmal kuriose Wege.
Auf den Punkt gebracht
- Es gibt über 50 Arten von parasitischer Zwergfadenwürmern, die verschiedenste Landwirbeltiere befallen. Mit dem Wurm Strongyloides stercoralis sind weltweit geschätzt 300 Millionen Menschen infiziert.
- Auch Hunde können mit Strongyloides stercoralis infiziert sein. Über den Kot der Tiere können die Parasiten auch den Menschen infizieren. Beim Menschen verläuft die Infektion in der Regel harmlos, bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem kann sie dagegen tödlich enden.
- Erbgutanalysen haben ergeben, dass parasitische Würmer im Vergleich zu freilebenden Arten mehr Gene besitzen, die möglicherweise die Immunantwort des Wirts verringern könnten.