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Die digitale Penicillin-Produktion
TU Wien und Sandoz GmbH gelang es, das komplexe Wachstumsverhalten der Organismen in der Penicillin-Produktion am Computer in Echtzeit zu simulieren. Dadurch lässt sich der Herstellungsprozess nun viel besser kontrollieren.
Seit Jahrtausenden macht man sich Mikroorganismen zu Nutze, um chemische Reaktionen ablaufen zu lassen – etwa beim Bierbrauen. Biochemische Verfahren sind allerdings recht kompliziert. Viele Reaktionen laufen gleichzeitig ab und beeinflussen einander, zahlreiche Parameter spielen eine Rolle, nicht alle von ihnen kann man direkt messen.
An der TU Wien arbeitet man daran, solche Prozesse trotz aller Schwierigkeiten im Detail zu untersuchen. In Kooperation mit dem Pharma-Hersteller Sandoz hat man nun einen Penicillin-Herstellungsprozess analysiert und am Computer umfassend nachgebildet. So gelingt es, auch Parameter zu ermitteln, die gar nicht direkt gemessen werden können. Die Erkenntnisse daraus werden von Sandoz nun genutzt um permanent einen vollständigen Überblick über die Abläufe im Bioreaktor zu bewahren und für optimale Qualität zu sorgen.
Fundiertes Wissen statt Black Box
Manche chemische Reaktionen sind ganz einfach zu durchschauen: Wenn man Wasserstoff mit Sauerstoff verbrennt, entsteht Wasser – auf eindeutig vorhersagbare Weise, in exakt vorherberechenbarer Menge. Doch wie berechnet man, mit welcher Geschwindigkeit ein Pilz unter den sich ständig ändernden Bedingungen im Bioreaktor wächst und produziert?
„Lange Zeit betrachtete man solche Prozesse als Black Box, die man nicht wirklich verstehen kann, die man nur mit viel Erfahrung gut zu nutzen lernt“, sagt Prof. Christoph Herwig, der am Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften der TU Wien die Forschungsgruppe für Bioprozess-Technologie leitet. „Unser Ansatz ist ein anderer: Wir wollen die chemischen Abläufe in einem Bioreaktor im Detail analysieren und die Gleichungen aufstellen, die diese Abläufe beschreiben.“ So entsteht ein mathematisches Modell, das die Abläufe im Bioreaktor genau abbildet.
„Viele Parameter, die für den Ablauf des Prozesses wichtig sind, kann man gar nicht direkt messen, etwa die Wachstumsrate der Mikroorganismen“, erklärt Julian Kager, der im Rahmen seiner Dissertation mit der Sandoz GmbH zusammenarbeitet. „Genau deshalb ist ein umfassendes mathematisches Modell so nützlich: Wir verwenden die Daten, die beim Herstellprozess in Echtzeit zugänglich sind – etwa die Konzentrationen verschiedener Substanzen im Bioreaktor, und nutzen unser Modell, um am Computer auszurechnen, in welchem Zustand sich der Prozess aktuell aller Wahrscheinlichkeit nach befindet.“ Die Parameter, die man nicht messen kann, lassen sich somit berechnen.
Das Rechenmodell kann dazu verwendet werden die Nährstoffversorgung der kultivierten Zellen während des laufenden Prozesses optimal einzustellen.
So kompliziert und vielschichtig wie der Bioprozess selbst ist auch das Gleichungssystem, das ihn mathematisch beschreibt. „Das Gleichungssystem beschreibt ein nichtlineares dynamisches System. Winzige Variationen der Anfangsbedingungen können große Auswirkungen haben“, erklärt Kager. „Daher kann man auch nicht einfach per Hand eine Lösung ausrechnen, man muss relativ aufwändige Computersimulationen durchführen, um das System zu beschreiben.“
Die Rechenmodelle und die Algorithmen, die an der TU Wien entwickelt wurden, wendet die Sandoz GmbH nun für ihren Penicillin-Herstellungsprozess an. „Wir freuen uns sehr, dass unsere Grundlagenforschung so rasch den Weg in die industrielle Anwendung gefunden hat, und dass unser Ansatz des biochemischen Modellierens nun dabei hilft, eine automatisierte Regelung des pharmazeutischen Produktionsprozesses zu ermöglichen“, sagt Julian Kager.
Originalpublikation: J.Kager, C. Herwig, I. Stelzer, Chemical Engineering Science 177, 234 (2018). https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0009250917307388