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Genen beim An- und Abschalten zusehen

SLAMseq steht für ein neues Werkzeug in der Biomedizin. Man kann damit sehen, welche Gene wann und wie lange aktiv sind – und wo es zu krankmachenden Abweichungen kommt. ÖAW-Forscher Stefan L. Ameres hat das Tool entwickelt. Dafür wurde er kürzlich mit dem Houskapreis 2018 ausgezeichnet.

Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Viel mehr noch kann ein Film erzählen. Ganz ähnlich verhält es sich auch auf molekularer Ebene. Stefan L. Ameres und sein Team am IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben eine Methode entwickelt, mit der sich die Dynamik von aktiven Genen beobachten lässt. Ähnlich wie bei einem Film kann mit SLAMSeq im Zeitverlauf gemessen werden, wie sich Gene verändern. Bisher war das nur in Form von – quasi fotografischen – Momentaufnahmen möglich.

Für seine Neuentwicklung wurde Ameres kürzlich mit dem Houskapreis 2018, dem größten privaten Forschungsförderungspreis in Österreich, ausgezeichnet. Denn das Potential von SLAMseq ist groß: Es ermöglicht nicht nur, die Entstehung des Lebens auf zellulärer Ebene besser zu verstehen, sondern auch Abweichungen in der Gendynamik festzustellen, die Krankheiten auslösen können.

Wie die Idee zu SLAMseq entstanden ist, welche Vorteile die Methode für Forschung als auch Medizin bringt und wohin die Reise mit SLAMSeq noch gehen könnte, erzählt Stefan L. Ameres im Interview.

Sie wurden kürzlich für Ihre Entwicklung der neuen Technologie SLAMseq mit dem renommierten Houskapreis ausgezeichnet. Was macht SLAMseq so besonders?

Stefan L. Ameres: Vor 18 Jahren gelang der biomedizinischen Forschung mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ein bedeutender Schritt, um den „Code des Lebens“ zu knacken. Aber Leben entsteht nicht dadurch, dass eine Zelle ein Genom enthält, sondern dass der Organismus die kodierte Information selektiv aktiviert. Das geschieht in Form von Ribonukleinsäure – kurz RNA. Erst wenn wir diese RNA detektieren, wissen wir, welche Gene in welchen Zellen unseres Körpers gerade aktiv sind. Und diese aktiven Gene bestimmen die Funktion unserer Zellen und bilden damit die Grundlage allen Lebens. Durch die Fortschritte, vor allem in der Hochdurchsatz-Messung von Genexpressionsdynamiken, können wir Millionen von RNA-Molekülen parallel auf einer Maschine identifizieren, um eine Abbildung von aktiven Genen zu erhalten.

„SLAMseq ermöglicht zum allerersten Mal ein Foto von aktiven Genen in der Zelle in einen Film umzuwandeln, also die Dynamik von aktiven Genen zu messen.“

SLAMseq setzt hier an und geht noch einen Schritt weiter: Es ermöglicht nun zum allerersten Mal ein Foto von aktiven Genen in der Zelle in einen Film umzuwandeln, also die Dynamik von aktiven Genen zu messen. Durch diese neue Technologie erhalten wir Einblicke in die Art und Weise, wie Gene reguliert werden und damit in die molekularen Grundlagen, die zum Entstehen von Leben führen. Außerdem können wir nun lernen, wie Krankheiten entstehen und behandelt werden können. Denn Fehler im Regulationssystem der Gene sind eine der Hauptursachen für die Entstehung von Krankheiten wie zum Beispiel Krebs. SLAMseq birgt daher enorm viel Potenzial für die biomedizinische Forschung.

Welche Vorteile bringt die neue Messung der Forschung und der Medizin?

Ameres: Die neuartige Messung von Genexpressionsdynamiken hat unmittelbare Relevanz – sowohl für die molekularbiologische Grundlagenforschung als auch für die pharmazeutische Industrie. Auf der einen Seite kann man durch SLAMseq neue Erkenntnisse in der sogenannten transkriptionellen und posttranskriptionellen Genregulation gewinnen. Wir lernen also, wie Zellen ihre Genaktivitäten kontrollieren und wie diese durch Umweltfaktoren moduliert werden.

„Es lässt sich zum Beispiel der Wirkmechanismus von Medikamenten in lebenden Zellen bestimmen. So können neue Therapien und Medikamente entwickelt werden.“

Auf der anderen Seite ist die Anwendung auch in der pharmazeutischen Industrie von Bedeutung. Mit SLAMseq lässt sich zum Beispiel der Wirkmechanismus von Medikamenten in lebenden Zellen bestimmen. So können auch neue Therapien und Medikamente entwickelt werden. Denn nachdem wir herausgefunden haben, wie die in der Anwendung befindlichen Krebstherapien wirklich funktionieren und wir erfahren können, welche Gene dabei an und abgeschaltet werden, können wir neue therapeutische Ansätze finden.

Wie lange haben Sie an der neuen Technologie gefeilt?

Ameres: Die Idee zu SLAMseq ist bereits vor einigen Jahren entstanden. Anfang 2012 habe ich dann als Gruppenleiter am IMBA der ÖAW in Wien begonnen, an dieser Technologie zu forschen und konnte die ersten vielversprechenden Experimente damals noch selbst im Labor durchführen. Diese haben gezeigt, dass die Methode an sich funktionieren kann. Danach begann der lange Prozess der Optimierung. Ende des vergangenen Jahres haben wir dann unsere Forschungsergebnisse publiziert.

Davor haben wir uns aber bereits mit Kolleg/innen am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) sowie dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim zusammengesetzt und die Anwendungen in der Krebsforschung getestet. Parallel dazu sind unsere Patentanmeldungen rausgegangen. Mit der österreichischen Biotech-Firma Lexogen haben wir uns ebenfalls zusammengeschlossen, um die Methode anwendungsfreundlich zu gestalten und um sie als molekularbiologisches Werkzeug – einen sogenannten „Kit“ – vermarkten zu können. Dieser befindet sich nun seit Ende letzten Jahres auf dem Markt und wird bereits weltweit vertrieben. Somit konnten wir auch einen kommerziellen Effekt erzielen, durch den die Biotech-Landschaft in Österreich gefördert wird.

Was möchten Sie in Zukunft mi SLAMseq erreichen?

Ameres: Unser primäres Ziel ist es, die bedeutenden Mechanismen der Genregulation auf der posttranskriptionalen Ebene zu charakterisieren. Wir möchten erforschen, welche Gene wie an und ausgeschaltet werden, um damit Einblicke zu gewinnen, wie die faszinierende zelluläre Vielfalt des menschlichen Körpers entstehen kann. Mit SLAMseq haben wir dafür eine neue Methode entwickelt, um in der biotechnologischen Grundlagenforschung ein breit einsetzbares Werkzeug zu haben.

„Wir möchten erforschen, welche Gene wie an und ausgeschaltet werden, um damit Einblicke zu gewinnen, wie die faszinierende zelluläre Vielfalt des menschlichen Körpers entstehen kann.“

Zum anderen arbeiten wir auch mit Arbeitsgruppen zusammen, die in der medizinischen Anwendung tätig sind. Dort versuchen wir die Grenzen des Möglichen zu erweitern und zu prüfen, wie wir SLAMseq noch einsetzen könnten, um Krankheiten zu diagnostizieren und neue therapeutische Ansätze anzustoßen. Unsere Hauptfrage bleibt vor allem: Was sind die entscheidenden zellulären Prozesse, welche die Expression von Genen regulieren und wie führt deren Fehlsteuerung zu schwerwiegenden menschlichen Krankheiten? Mit SLAMseq haben wir eine Technologie entwickelt, die uns die Beantwortung dieser Frage wesentlich leichter macht.

INFORMATION:
Stefan L. Ameres studierte Mikrobiologie an der Universität Nürnberg-Erlangen und war für seine Doktorarbeit an den Max F. Perutz Laboratories tätig. Als PostDoc forschte er an der University of Massachusetts Medical School. 2012 wurde Ameres Gruppenleiter am IMBA der ÖAW, 2013 erhielt er einen ERC Starting Grant und einen START-Preis des Wissenschaftsfonds FWF. Er ist seit 2016 Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW und wurde in das Young Investigator Program der European Molecular Biology Organization (EMBO) aufgenommen.
STEFAN AMERES LAB

Link zum Originalartikel: https://www.oeaw.ac.at/oesterreichische-akademie-der-wissenschaften/die-oeaw/article/genen-beim-an-und-abschalten-zusehen/