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Luftverschmutzung – eine unterschätzte Todesursache

Bei Kindern in armen Ländern erhöht Feinstaub die Sterblichkeit deutlich

Rund 4,5 Millionen Menschen starben 2015 vorzeitig an den Krankheitsfolgen von verschmutzter Außenluft. Darunter sind 237.000 Kinder unter fünf Jahren, die an Atemwegsinfektionen starben. Das ergab eine Untersuchung, die das Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie zusammen mit der London School of Hygiene & Tropical Medicine herausgegeben hat.

Wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) meldete, starben 2015 rund eine Million Kleinkinder unter fünf Jahren an Infektionen der unteren Atemwege. Feinstaub mit Partikeln kleiner als 2,5 Mikrometern (PM2,5) spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Partikel dringen tief in die Atemwege ein, wo sie bei Kindern vor allem Entzündungen verursachen können. Bei Erwachsenen kommen ischämische Herzerkrankungen (Herzattacken), zerebrovaskuläre Erkrankungen (Hirnschläge) und Lungenkrebs dazu. Die Konzentration von Feinstaub, denen Menschen auf der Welt im Schnitt ausgesetzt sind, ist zwischen den Jahren 2000 und 2015 von etwa 40 auf 44 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gestiegen. Das liegt mehr als das Vierfache über der Konzentration von 10 Mikrogramm, die von der WHO als Grenzwert empfohlen wird. Zudem trägt das Reizgas Ozon zu gesundheitlichen Auswirkungen der Atemwege bei.

Die Herkunft des Feinstaubs ist von Land zu Land unterschiedlich: So überwiegt in Indien die Verbrennung von feste Brennstoffe zum Kochen und Heizen, während in den USA Kraftwerke, Verkehr und Landwirtschaft als größte Quellen gelten. Auch wenn verschmutzte Innenraumluft ebenfalls ein großes Gesundheitsrisiko darstellen kann, geht es in einer neuen Studie, die am 29. Juni 2018 in der Zeitschrift The Lancet Planetary Health veröffentlicht wird, um die Umgebungsluft.

Durch den frühzeitigen Tod gingen 122 Millionen Lebensjahre verloren

Die jeweilige Belastung durch Feinstaub und Ozon haben die Autoren Jos Lelieveld, Andy Haines und Andrea Pozzer mit einem etablierten globalen Atmosphärenchemiemodell ermittelt. Diese Werte verknüpften sie mit Daten über die Bevölkerungsstrukturen sowie Krankheiten und Todesursachen in den einzelnen Ländern. So kamen sie für das Jahr 2015 auf weltweit 270.000 vorzeitige Todesfälle durch Ozon und 4,28 Millionen Opfer von Feinstaub. Mit insgesamt mehr als 4,5 Millionen führt das Team um Jos Lelieveld jetzt noch einmal deutlich mehr vorzeitige Tode auf Feinstaub und Ozon zurück als in einer ähnlichen Studie aus dem Jahr 2015. Damals bezifferten die Forscher die frühzeitigen Sterbefälle durch Luftverschmutzung auf 3,3 Millionen. Dass sie nun zu einem noch alarmierenderen Resultat gelangen, begründen sie mit genauere Daten epidemiologischer Studien, die ihnen nun zur Verfügung standen.

Die Krankheiten, die letztlich zum Tod führten, waren bei 727.000 Menschen Entzündungen der tiefen Atemwege, bei 1,09 Millionen chronische Lungenerkrankungen, bei 920.000 zerebrovaskuläre Erkrankungen, bei 1,5 Millionen Herzerkrankungen und bei 304.000 Lungenkrebs. Durch frühzeitigen Tod gingen der Menschheit in 2015 nach diesen Berechnungen 122 Millionen Lebensjahre verloren. „Die ermittelten Zahlen sind vorsichtig geschätzt, weil wir weitere Krankheiten, die ebenfalls mit der Luftverschmutzung im Zusammenhang stehen könnten, nicht berücksichtigt haben“, sagt Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie.

Schlechte medizinische Versorgung und Unterernährung erhöhen die Gefahr für Kinder

Einen Schwerpunkt legt die Studie auf Kinder unter fünf Jahren, die besonders sensibel auf Luftschadstoffe reagieren. Die Berechnungen ergaben, dass 2015 von insgesamt 669 Millionen Kleinkindern weltweit rund 246.000 wegen schlechter Luft gestorben sind, wobei die meisten (237.000) einer Infektion der unteren Atemwege wie bei einer Lungenentzündung erlagen. Zum Vergleich: Im selben Jahr starben 87.000 Kleinkinder an HIV/AIDS, 525.000 an Durchfallerkrankungen und 312.000 an Malaria.

Einen noch dramatischeren Befund, wie Luftverschmutzung die Kindersterblichkeit erhöht, liefert eine Studie, die ein Team um Marshall Burke von der Universität Stanford in dieser Woche im Fachmagazin Nature präsentiert. Demnach ist die Kindersterblichkeit in Subsahara-Afrika zu 20 Prozent auf Luftschadstoffe zurückzuführen. Das heißt, im Jahr 2015 starben mehr als 400.000 Kinder alleine in dieser Region durch verschmutzte Luft. Den Autoren der Nature-Studie zufolge rufen die Schadstoffe bei Kindern nicht nur lebensbedrohliche Atemwegsinfektionen hervor, sondern machen Kinder offenbar auch in anderer Weise schwer krank. Worin diese zusätzliche gesundheitsschädliche Wirkung der Luftverschmutzung auf Kinder liegt, wissen die Forscher allerdings noch nicht genau.

Die Wahrscheinlichkeit, wegen schlechter Atemluft zu sterben, ist in Afrika besonders hoch. Denn in Ländern mit niedrigem Durchschnitteinkommen führen heilbare Krankheiten oft zum Tod, weil viele Kinder unterernährt sind und die medizinische Versorgung mangelhaft ist. Im Tschad ist das Risiko für Kinder, an der Luftverschmutzung zu sterben, gegenüber dem weltweiten Mittel sogar fast auf das Zehnfache erhöht. Auch die Lebenserwartung sinkt wesentlich. In Subsahara-Afrika verliert jedes Kind im Durchschnitt vier bis fünf Lebensjahre durch verschmutzte Umgebungsluft.

„Eine Dreifach-Strategie ist nötig.“

Die Studie zeigt zudem, dass in einigen Ländern mit niedrigem bis mittlerem Durchschnittseinkommen, insbesondere in Indien und Pakistan, die Sterblichkeitsrate für Mädchen 1,2 Mal höher liegt als für Jungen. Die Autoren führen das auf Unterschiede in der Ernährung und der medizinischen Versorgung zurück. Andererseits zeigt die Studie, dass in Indien, die Kindersterblichkeit bedingt durch schlechte Luft rückläufig ist, weil sich der Versorgungszustand, die Luftqualität in Innenräumen und die Ernährung verbessern.

Da sich jedoch die Luftqualität der Außenluft weiter verschlechtert, verschiebt sich die Sterblichkeit auf andere Krankheiten und ältere Menschen. „Um die Todesfälle von Kindern durch Luftverschmutzung zu verhindern, ist eine Dreifach-Strategie nötig“, sagt Atmosphärenforscher Lelieveld: „Ausreichende Ernährung, eine verbesserte medizinische Versorgung und bessere Luftqualität.“

Originalveröffentlichung
Jos Lelieveld, Andy Haines, Andrea Pozzer
Age-dependent health risk from ambient air pollution: a modelling study of childhood mortality in middle and low-income countries
The Lancet Planetary Health, 2. Juli 2018; Vorabveröffentlichung am 29. Juni 2018