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Depression

Altersunangemessen und demenzfördernd? Anticholinergische Medikamente auf dem Prüfstand

Original Titel:
Anticholinergic drugs and risk of dementia: case-control study

Zusammenfassend erhöhen manche Medikamente messbar das Risiko, Jahre später an Demenz zu erkranken. Dieser Zusammenhang scheint nicht durch jeweilige Vorerkrankungen bedingt zu sein, sondern steigert sich mit der Belastung der Denkleistung durch das jeweilige Medikament nach der ACB-Skala. Da diese Mittel nach der ACB-Bewertung auch direkt im Rahmen der Behandlung die geistige Leistung einschränken können, sollte mit dieser Sorte von Medikamenten also bedacht werden, ob eine Alternative genutzt werden kann, die vergleichbar das medizinische Problem behandeln kann, ohne Demenzrisiken in Kauf zu nehmen.


Anticholinergische Medikamente blockieren den Nervenbotenstoff (Neurotransmitter) Acetylcholin im zentralen (beispielsweise Gehirn) oder peripheren (beispielsweise Darm) Nervensystem. Je nach Wirkort sind die Effekte dieser Mittel sehr unterschiedlich. Manche der Wirkstoffe werden gegen Depressionen (Trizyklika) eingesetzt, andere bei Erkrankungen des Verdauungstrakts. Wieder andere können Symptome der Parkinson-Erkrankung lindern, Inkontinenz, Epilepsie oder Allergien behandeln. Viele der Mittel wirken auf die Denkleistung. Deswegen gibt es Leitlinienhinweise, solche Medikamente nicht bei gebrechlichen älteren Patienten einzusetzen. Frühere Studien konnten z. B. zeigen, dass längere Behandlung mit bestimmten anticholinergischen Medikamenten zu langfristigem Abbau der Denkleistung bei älteren Patienten, unter anderem auch in Pflegeheimen führte (Chatterjee und Kollegen, 2016 im Fachjournal American journal of geriatric psychiatry veröffentlicht). Allerdings konnten solche Studien nicht klar bestimmen, ob dieses erhöhte Risiko durch die Mittel oder durch die Vorerkrankung zustande kam, wegen der die Patienten die Medikamente erhielten. Am Beispiel von Antidepressiva der Trizyklika-Klasse: Altersdepressionen können ein frühes Symptom einer Demenzerkrankung sein. Eine antidepressive Behandlung würde in diesem Fall nicht zur Demenz führen, sondern lediglich zur Behandlung eines Symptoms der Demenz eingesetzt werden. Bei späterer Feststellung der Demenzerkrankung wäre aber nicht mehr zu unterscheiden, ob das Medikament die Demenz gefördert hat oder ob es nur zufällig bei einer noch unerkannten Demenz verordnet wurde. Britische Forscher verschiedener Forschungsinstitute, rund um Dr. Richardson von der University of East Anglia, ermittelten nun, ob die Behandlung mit verschiedenen anticholinergischen Medikamenten das spätere Demenzrisiko beeinflusste.

Beeinflussen anticholinergische Medikamente das spätere Demenzrisiko?

Die Wissenschaftler nutzten die Daten des britischen clinical practice research datalink, einer Datenbank mit anonymisierten Diagnosen, Überweisungen und Verschreibungsinformationen über mehr als 11 Millionen Patienten von 674 Hausarztpraxen in Großbritannien. Aus dieser Datenbank wurden 40 770 Patienten im Alter von 65 bis 99 Jahren ermittelt, deren Demenzdiagnose zwischen April 2006 und Juli 2015 erfolgte. Weitere 283 933 Kontrollen ohne Demenz wurden zusätzlich erfasst. Die jeweilige Dosierung von täglich eingenommenen anticholinergischen Medikamenten, die zwischen 4 und 20 Jahre vor der Demenzdiagnose verordnet wurden, wurde nach einer Skala gruppiert, die die geistige Beeinträchtigung durch die Mittel beschreibt (anticholinergic cognitive burden). Die Skala ergibt den ACB-Wert: ACB 1 steht für Substanzen, die keine bekannten negativen Effekte auf die Denkleistung haben, die klinisch relevant wären. Hierzu zählten die Forscher Mittel wie Diuretika und Antihistamine (gegen Allergien). Mittel, die auf jeden Fall die Blut-Gehirn-Schranke durchdringen, erhalten einen ACB-Wert von 2. Wenn sie zudem mit Delirium-Symptomen in Zusammenhang gebracht werden können, wird ihnen ein ACB-Wert von 3 zugeschrieben. Hierzu zählten in dieser Studie beispielsweise Antidepressiva aus der Trizyklika-Klasse. Die ACB-Werte wurden insgesamt sowie gruppiert nach Patientengruppen verglichen. Daraus wurde die Wahrscheinlichkeit berechnet, mit einer bestimmten Medikation und Dosierung eine Demenz zu entwickeln. Bei der Berechnung dieser Wahrscheinlichkeit (odds ratio) wurden demographische (Alter, Geschlecht u. ä.) und gesundheitliche (Altersdepression) Faktoren berücksichtigt.

ACB-Wert: gibt es negative Effekte des Medikaments auf die Denkleistung?

14453 (35 %) Demenzpatienten und 86403 (30 %) Kontrollen aus der gesamten betrachteten Patientengruppe hatten in der analysierten Zeit mindestens ein anticholinergisches Medikament verschrieben bekommen, das einen ACB-Wert von 3 erreichte. Diese Medikamente sind für negative Auswirkungen auf die Denkleistung bekannt. Berechneten sie nun die Wahrscheinlichkeit einer Demenzdiagnose nach Behandlung mit diesen problematischen, alters-unangemessenen Medikamenten, fanden sie eine odds ratio von 1,11. Mit dem Konfidenzintervall von 1,08 bis 1,14 bedeutete dies, dass 97,5 % der Menschen, denen eines dieser Medikamente verordnet wurde, ein um mindestens Faktor 1,08 erhöhtes Risiko für eine spätere Demenzerkrankung hatten. Eine Demenz war demnach assoziiert mit Medikamenten mit höheren ACB-Werten. Bei Betrachtung der konkreten Mittel gingen Medikamente, die auf den Verdauungstrakt wirkten, trotz ACB-Wert von 3 nicht klar mit einem erhöhten Demenzrisiko einher. Anders sah dies für Antidepressiva, urologisch wirksame und Antiparkinson-Medikamente mit dem hohen ACB-Wert aus: diese erhöhen statistisch betrachtet das Demenzrisiko. Dies konnten die Forscher selbst bei Verordnungen ermitteln, die 15 bis 20 Jahre vor der Demenzdiagnose stattfanden.

Häufiger Demenz nach Medikamenten mit höheren ACB-Werten, also mit schädlichem Einfluss aufs Denken

Zusammenfassend erhöhen manche Medikamente messbar das Risiko, Jahre später an Demenz zu erkranken. Dieser Zusammenhang scheint nicht durch jeweilige Vorerkrankungen bedingt zu sein, sondern steigert sich mit der Belastung der Denkleistung durch das jeweilige Medikament nach der ACB-Skala. Da diese Mittel nach der ACB-Bewertung auch direkt im Rahmen der Behandlung die geistige Leistung einschränken können, sollte mit dieser Sorte von Medikamenten also bedacht werden, ob eine Alternative genutzt werden kann, die vergleichbar das medizinische Problem behandeln kann, ohne Demenzrisiken in Kauf zu nehmen.

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