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Neue Funktion für „Nieren-Gen“: WT1 spielt Rolle im zentralen Nervensystem & kontrolliert Bewegung

Das WT1-Gen ist an der Ausbildung einer gesunden, korrekt funktionierenden Niere maßgeblich beteiligt. Mutationen in WT1 haben Störungen in der Nierenentwicklung zur Folge und verursachen Wilms-Tumor, einen Nierenkrebs bei Kindern. Forscher vom Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena haben nun eine weitere wichtige und unerwartete Funktion des WT1-Gens entdeckt. Es ist auch außerhalb der Nieren im zentralen Nervensystem aktiv und an der Kontrolle von Bewegung beteiligt. Fehlt das Gen im Rückenmark, dann treten motorische Störungen auf. Die Ergebnisse wurden jetzt in Life Science Alliance veröffentlicht.

Jena. Der Transkriptionsfaktor WT1 (Wilms Tumor 1) ist seit fast 30 Jahren bekannt und maßgeblich an der Ausbildung einer gesunden, korrekt funktionierenden Niere beteiligt. Störungen im Entwicklungsprozess führen zu Nierenkrebs bei Kindern. Auch für die Aufrechterhaltung der Nierenfunktion ist das Gen zuständig. Jüngst konnte auch ein Zusammenhang zwischen ungeklärter Kinderlosigkeit und Mutationen von WT1 nachgewiesen werden.

Forscher vom Jenaer Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) und dem Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) haben mit Kollegen der Universität Uppsala, Schweden, und dem Helmholtz Zentrum München eine weitere wichtige Rolle des WT1-Gens entdeckt: Das Gen ist auch außerhalb der Nieren im zentralen Nervensystem aktiv und an der Spezifizierung von Neuronen beteiligt, die rhythmische Bewegungen kontrollieren. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Life Science Alliance veröffentlicht.

„Dieses Ergebnis war für uns erst einmal völlig überraschend, denn wir glaubten, das WT1-Gen nach langjähriger Forschung bereits bestens zu kennen“, berichtet Prof. Christoph Englert, Gruppenleiter am FLI. „Bisher war uns das Wilms-Tumor-Suppressor-Gen WT1 als wichtiges Gen für die Entwicklung und den Erhalt verschiedener Organe, wie z.B. Niere und Herz, bekannt; dass es auch unsere Bewegungen beeinflusst, ist uns neu“. Doch welche Funktion hat das Gen im zentralen Nervensystem?

Verlust von WT1 verändert Bewegungen

Die Forscher analysierten, in welchen Bereichen des Rückenmarks und Gehirns das WT1 Gen aktiv ist. Sie untersuchten Mäuse, denen das Gen fehlte. „Der Verlust des Gens verändert die motorischen Abläufe; die Mäuse zeigen Probleme bei der Koordination ihrer Beine, die zu einem verändertem Laufverhalten führen“, berichtet Dr. Danny Schnerwitzki, Erstautor der Studie.

Der Darm, die Atmung und auch unser Gang werden über neuronale Netze, die wie Schaltkreise funktionieren, gesteuert und kontrolliert. In diese Abläufe sind auch die Neuronen des Gehirns und des Rückenmarks involviert. „Wir konnten zeigen, dass das WT1-Gen eine bestimmte Gruppe von Neuronen steuert, die für die Fortbewegung zuständig sind,“ betont Dr. Schnerwitzki die Ergebnisse. Sie zeigen, dass die Entwicklung bestimmter Neuronen des Rückenmarks von der WT1-Expression abhängt und dass der Verlust von WT1 mit Veränderungen in der Fortbewegung verbunden ist.

WT1 kontrolliert Neuronenspezifikation

„In einem zweiten Schritt haben wir die Entwicklung der Neuronen in Abhängigkeit von der WT1-Expression untersucht und Bewegungsanalysen von WT1-Knockout-Mäusen durchgeführt“, erläutert Prof. Englert. Die Forscher nutzten dafür molekularbiologische und elektrophysiologische Ansätze sowie ein spezielles Röntgenverfahren, das am Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der FSU entwickelt wurde, um Veränderungen im Bewegungsablauf sichtbar zu machen. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass das Gen nicht nur zur Koordination der Fortbewegung beiträgt, sondern bei der Embryogenese auch für eine korrekte Neuronenspezifikation benötigt wird“, so Englert weiter.

Bei Zebrafischen fanden die Forscher ebenfalls WT1 in Neuronen des Rückenmarks. Ein Hinweis darauf, dass die Funktion des Gens evolutionär konserviert ist. Bei den Fischen scheint das Gen für die Steuerung der Schwimmbewegung zuständig zu sein.

Die Studie belegt nicht nur eine bisher unbeschriebene Bedeutung von WT1 bei der Entwicklung von Rückenmarksneuronen, sondern unterstreicht seine Rolle bei der für die funktionelle Umsetzung der Fortbewegung verantwortlichen Schaltkreisen in den Neuronen. „Untersuchungen an Patienten mit einer WT1-Mutation, könnten uns zeigen, in wie weit auch beim Menschen die Rolle des WT1 der der Modellsysteme entspricht und zu motorischen Veränderungen beiträgt.“

Publikation

Danny Schnerwitzki, Sharn Perry, Anna Ivanova, Fabio V Caixeta, Paul Cramer, Sven Günther, Kathrin Weber, Atieh Tafreshiha, Lore Becker, Ingrid L Vargas Panesso, Thomas Klopstock, Martin Hrabe de Angelis, Manuela Schmidt, Klas Kullander, Christoph Englert. Neuron-specific inactivation of Wt1 alters locomotion in mice and changes interneuron composition in the spinal cord. Life Science Alliance 2018, DOI: 10.26508/lsa.201800106

Videomaterial

X-ray fluoroscopy video shows skeleton of Wt1fl/fl control mouse running on a treadmill.
http://movie.life-science-alliance.org/video/10.26508/lsa.201800106/video-1
X-ray fluoroscopy video shows skeleton of Nes-Cre;Wt1fl/fl mouse running on a treadmill.
http://movie.life-science-alliance.org/video/10.26508/lsa.201800106/video-2
Video shows newborn Wt1fl/fl pup performing air-stepping after tail pinch.
http://movie.life-science-alliance.org/video/10.26508/lsa.201800106/video-3
Video shows newborn Nes-Cre;Wt1fl/fl pup performing air-stepping after tail pinch.
http://movie.life-science-alliance.org/video/10.26508/lsa.201800106/video-4

Hintergrundinformation

Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Über 330 Mitarbeiter aus 30 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten. Näheres unter http://www.leibniz-fli.de.

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 93 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 19.100 Personen, darunter 9.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro (http://www.leibniz-gemeinschaft.de).

Originalpublikation:

Danny Schnerwitzki, Sharn Perry, Anna Ivanova, Fabio V Caixeta, Paul Cramer, Sven Günther, Kathrin Weber, Atieh Tafreshiha, Lore Becker, Ingrid L Vargas Panesso, Thomas Klopstock, Martin Hrabe de Angelis, Manuela Schmidt, Klas Kullander, Christoph Englert. Neuron-specific inactivation of Wt1 alters locomotion in mice and changes interneuron composition in the spinal cord. Life Science Alliance 2018, DOI: 10.26508/lsa.201800106