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Krebstherapie in Zeiten der Präzisionsmedizin: Von der vernetzten Forschung zur wissensgenerierenden Versorgung
Die Innovationswelle der letzten Jahre in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie rollt weiter: Bei der Jahrestagung von DGHO, OeGHO, SGMO und SGH+SSH in Wien stehen unter anderem aktuelle Entwicklungen im Bereich der Zelltherapie im Fokus, die insbesondere bei malignen hämatologischen Neoplasien längere Überlebensraten bei besserer Lebensqualität ermöglichen. Gleichzeitig stehen die Bereiche Forschung und Versorgung bei Blut- und Krebserkrankungen großen Herausforderungen gegenüber, die sich mit Begriffen wie Demographie, Finanzierung und Personalisierung umreißen lassen. Zentrale Aufgaben für das Fachgebiet in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind in den nächsten Jahren u. a. der weitere Ausbau der vernetzten Forschung und eine deutlich stärkere, auch digitale Integration von klinischer Forschung und Patientenversorgung, um die Wissensschätze zu heben, die in der breiten Versorgung schlummern.
Die Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie ist auch in diesem Jahr wieder zentraler Termin für die in der Versorgung von Bluterkrankungen und soliden Tumoren Tätigen. Etwa 5.600 Experten werden sich im Austria Center in Wien fünf Tage lang über therapeutische Neuerungen informieren und medizinische, versorgungspolitische, ökonomische und ethische Fragestellungen diskutieren. Neben Ärzten und Pflegekräften nehmen auch Vertreter anderer therapeutischer Berufe, Versorgungs- und Grundlagenforscher sowie Gesundheitsökonomen an der Jahrestagung teil.
Wissenschaftliches Highlight Zelltherapien
Eines der Schwerpunktthemen und Highlights des diesjährigen Kongresses sind die zelltherapeutischen Ansätze und das T-Zell-Engineering. Mit der Ende August auch in Europa erfolgten Zulassung der Therapie mit chimären Antigen-Rezeptor-T-Zellen (CAR-T-Zellen) für die Behandlung von Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) oder diffus großzelligem B-Zell-Lymphom wird das therapeutische Portfolio um ein völlig neues, in ersten Studien teilweise hoch effektives Prinzip für die Behandlung von Patienten mit malignen hämatologischen Erkrankungen erweitert: „In klinischen Studien erreichen wir Ansprechraten von 60 bis 90 Prozent bei der ALL und 30 bis 50 Prozent bei Non-Hodgkin-Lymphomen in fortgeschrittenen Krankheitsstadien. Das ist bei diesen bisher schwer zu behandelnden Patienten weit mehr als mit anderen Therapien“, betonte Prof. Dr. med. Hildegard Greinix von der Klinischen Abteilung für Hämatologie am LKH-Universitätsklinikum Graz und Kongresspräsidentin der Jahrestagung 2018.
Fortschritte durch gezielte und immunologische Therapien
Die CAR-T-Zellen sind dabei nur ein Beispiel für die enormen therapeutischen Fortschritte, die in den letzten Jahren speziell auf dem Gebiet der immunologisch basierten Anti-Tumor-Therapien zu verzeichnen sind. Zu den Immuntherapien zählen neben gentechnisch veränderten T-Zellen auch die so genannten Checkpoint-Inhibitoren, die unter anderem bei der Behandlung von Patienten mit malignem Melanom eine neue „therapeutische Ära“ eingeläutet haben. Immuntherapien sind ein gutes Beispiel dafür, wie langjährige und beharrliche Grundlagenforschung – in diesem Fall zu den Interaktionen zwischen Immunsystem und malignen Zellen – letztlich den Patienten zugutekommt.
Was für die Immuntherapien gilt, gilt auch für die gezielten Krebstherapien, die sich an den individuellen genetischen Eigenschaften des jeweiligen Tumors orientieren und daher als „personalisiert“ bezeichnet werden. Insgesamt wurden im Jahr 2016 von der Europäischen Kommission 14 neue Arzneimittel in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie zugelassen. Im Jahr 2017 waren es bereits 19. Das ist deutlich mehr als in anderen Fachgebieten, illustriert die enorme Entwicklungsdynamik im Bereich der Hämatologie und Medizinischen Onkologie und macht deutlich, dass sich Investitionen in Forschung auszahlen.
Vernetzte Forschung muss gestärkt werden
Die Fortschritte im Bereich der Grundlagenforschung und die letztlich daraus resultierende, immer stärkere Stratifizierung bzw. Personalisierung bei der Behandlung von Bluterkrankungen und soliden Tumoren sind dabei nicht nur ein Segen für viele Patienten. Gleichsam sind sie eine Herausforderung insbesondere für die klinische Forschung. Denn klinische Studien müssen heutzutage immer häufiger auf ganz bestimmte, oft kleine Subgruppen von Patienten zugeschnitten werden. Der Präsident der OeGHO, Prof. Dr. med. Andreas Petzer vom Ordensklinikum Linz, illustrierte das am Beispiel des Lungenkarzinoms – einer Entität, bei der mittlerweile zahlreiche therapierelevante genetische Mutationen bekannt sind, die zumindest teilweise nur einen einstelligen Prozentsatz aller Patienten mit Lungenkarzinom betreffen.
„Die Entwicklung zu immer mehr Subgruppen kann dazu führen, dass ein Zentrum, das an einer klinischen Studie zur Wirksamkeit eines neuen Arzneimittels teilnimmt, heute weniger Patienten in eine entsprechende Studie einbringen kann“, so Petzer. Für das Fachgebiet in den deutschsprachigen Ländern kann das ein Nachteil sein, weil sich kleinere oder mittelgroße Krankenhausstrukturen mitunter schwertun, genug Patienten zu rekrutieren, um für internationale Studienprojekte attraktiv zu sein. „Wir müssen deswegen Netzwerkstrukturen weiter ausbauen und klinische Studien besser zentrenübergreifend koordinieren, um unseren Patienten auch künftig frühzeitig innovative neue Therapieoptionen zur Verfügung stellen zu können“, so Petzer.
Auf dem Weg in die wissensgenerierende Versorgung
Einen weiteren Ansatz, um in Zeiten steigender Behandlungskosten und immer stärkerer Ausdifferenzierung der therapeutischen Konzepte in der klinischen Forschung konkurrenzfähig zu bleiben und einen frühen Zugang von Patienten zu innovativen Krebsmedikamenten dauerhaft zu gewährleisten, brachte der Geschäftsführende Vorsitzende der DGHO, Prof. Dr. med. Michael Hallek vom Universitätsklinikum Köln, in die Diskussion. Er plädierte für eine stärkere Verquickung von klinischer Forschung und Versorgungsforschung im Sinne einer wissensgenerierenden Versorgung. Bei diesem Ansatz ist letztlich jede Behandlung auch gleichzeitig klinische Forschung, bei der die in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie Tätigen Daten zum Therapieansprechen, zum langfristigen Outcome und zu unerwünschten Wirkungen unmittelbar auswerten.
„Eine wissensgenerierende Versorgung ermöglicht es, innovative Arzneimittel früh in die Versorgung zu bringen und gleichzeitig auf Basis aktueller Daten schnell zu reagieren, wenn sich eine Therapie beispielsweise in spezifischen klinischen Konstellationen oder bei bestimmten Subgruppen als besonders günstig oder ungünstig erweist“, so Hallek. Eine der Voraussetzungen für einen solchen Paradigmenwechsel sind umfassende Patientenregister, die in Echtzeit oder zumindest sehr zeitnah analysiert werden können. Das kann nur bei konsequenter, einrichtungsübergreifender und intelligent standardisierter Digitalisierung der Versorgungsdaten gelingen. Entsprechende Netzwerke und Register befinden sich in den USA bereits im Aufbau und sollten auch in Europa zügig umgesetzt werden.
Versorgung in Zeiten des demographischen Wandels
Nicht nur das zunehmende Wissen um die Grundlagen von hämatologischen und onkologischen Erkrankungen führt derzeit zu einem Wandel in Forschung und Versorgung. Die Veränderung in der Altersstruktur der Bevölkerung beeinflusst zusätzlich Häufigkeit und Verteilung von Krebserkrankungen. Die DGHO hat dies zum ersten Mal im Jahr 2012 in einem umfangreichen Gutachten analysiert und für das deutsche Gesundheitswesen Hochrechnungen für das Jahr 2020 erstellt. Ziel des Gutachtens, das im 1. Band der Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO veröffentlicht wurde, war es, abzuschätzen, wie sich die Inzidenz und Prävalenz von Krebserkrankungen verändert und welche Auswirkungen das auf die regionale Versorgung hat. Dieses Gutachten wurde nun im Auftrag der DGHO mit Hochrechnungen für das Jahr 2025 unter Berücksichtigung neuer Bevölkerungsprognosen und einer stärkeren Zuwanderung aktualisiert. Es wird in Wien in Auszügen vorgestellt.
Die Wissenschaftler gehen von einer deutlichen Zunahme der Neuerkrankungen insbesondere bei altersabhängigen Tumorerkrankungen wie dem Prostatakarzinom aus und rechnen bevölkerungsbezogene Inzidenzen und Prävalenzen der zehn häufigsten Krebserkrankungen getrennt nach Männern und Frauen auf Landkreisebene hoch: „Wenn wir die Herausforderungen, mit denen unser Fachgebiet konfrontiert ist, bewältigen wollen, brauchen wir eine Planungsgrundlage“, betonte DGHO-Vorsitzender Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Das Gutachten erlaubt es uns, den regionalen Versorgungsbedarf in den nächsten Jahren genauer abzuschätzen“, so Bokemeyer. „Es zeigt, dass die Bedeutung von Krebserkrankungen auf absehbare Zeit weiter zunehmen wird. Darauf müssen sich die Gesundheitssysteme einstellen, nicht zuletzt, weil dies mit steigenden Kosten verbunden sein wird.“
Ausführliche Informationen unter: www.haematologie-onkologie-2018.com
Jahrestagung 2018
Über die Herausforderungen, Chancen und Erfolge der neuen Ansätze in der Diagnostik und Therapie von Blut- und Krebserkrankungen diskutieren vom 28. September bis zum 2. Oktober 2018 ca. 5.600 nationale und internationale Expertinnen und Experten für medikamentöse Tumortherapie auf der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Die 839 wissenschaftlichen Beiträge zeigen die ganze Bandbreite des Faches und unterstreichen die Bedeutung der Jahrestagung als wichtiges Forum für Ärzte, Wissenschaftler, therapeutisches Personal und Pflegekräfte im deutschsprachigen Raum.
Pressemitteilung als PDF-Datei zum Downloaden:
PM03_Jahrestagung2018_180929.pdf