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Ungewöhnliche Virusabwehr im Gehirn entschlüsselt – neuer Ansatz für die Behandlung von Virus-Enzephaliden
Unser Gehirn ist einer der am besten geschützten Bereiche unseres Körpers. Unter anderem sorgt die Blut-Hirn-Schranke dafür, dass nur ausgewählte Stoffe aus unserem Blutkreislauf in das zentrale Nervensystem übergehen können und schirmt unser Gehirn vor Krankheitserregern, Gift- und Botenstoffen ab. Wie jedes Sicherheitssystem hat auch das des Gehirns Schwachstellen. Eine Lücke, die Viren wie beispielsweise Influenza-, FSME-, Dengue- oder Herpesviren nutzen, ist unser Geruchssinn. Gelingt es den Viren, diese Schranke zu überwinden, entzündet sich das Gehirn: eine lebensbedrohliche Enzephalitis kann entstehen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des TWINCORE haben nun eine sehr spezielle Immunantwort des Gehirns entschlüsselt, die auf gänzlich anderen Mechanismen beruht, als die Erregerabwehr im Rest unseres Körpers. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt im Journal Cell Reports.
„Eigentlich sind wir davon ausgegangen, dass die erste Abwehrreaktion des Immunsystems im Gehirn nach ähnlichen Mustern abläuft, wie im Rest des Körpers, auch wenn die Immunsysteme durch die Blut-Hirn-Schranke getrennt sind: Immunzellen registrieren das eingedrungene Virus und leiten die weitere Abwehr über Interferon-Signale ein“, sagt Dr. Chintan Chhatbar, Nachwuchswissenschaftler am Institut für Experimentelle Infektionsforschung. „Wir haben diese Abläufe genauer untersucht, um besser zu verstehen, wie eine schützende Immunantwort im Gehirn funktioniert.“ Selbst wenn sich die Patienten erfolgreich von einer Enzephalitis erholen, leiden Patienten häufig unter Persönlichkeitsveränderungen, Epilepsie oder motorischen Störungen. Die Frage, die sich das Team am TWINCORE stellt: Wie kann Patienten am besten bei einer viralen Enzephalitis geholfen werden – ohne dass das Gehirn Schaden nimmt?
Der Weg des Virus führt über den Riechnerv direkt ins Gehirn. Die einzelnen Riechfäden des Nervs laufen durch eine durchlöcherte Knochenplatte des Schädels – die sogenannte Siebplatte – zum Riechkolben. Der gibt die einlaufenden Signale an das Gehirn zur Verarbeitung weiter und dort findet auch die erste Abwehrreaktion des Gehirns gegen das Virus statt: Interferon wird produziert, um die Viren abzufangen, die den Riechnerv hinaufgewandert sind. Aber wer löst diese Interferonproduktion aus und wer verarbeitet die Information? „Mit bildgebenden Verfahren können wir direkt verfolgen, was bei einer Infektion mit dem Vesikulären Stomatitis Virus (VSV) – unserem Modellvirus – in den Gehirnstrukturen geschieht“, erklärt Chintan Chhatbar. Im Zentralnervensystem sind vier Zelltypen besonders wichtig: Mikrogliazellen, Wächter und Räumkommando des Gehirns; Astrozyten, Assistenztrupp der elektrisch erregbaren Strukturen des Gehirns; Oligodendrozyten, Isolierung und Tankstelle der Nervenbahnen und natürlich die unterschiedlichsten Neuronen, die Recheneinheiten unseres Supercomputers. Nach der Infektion mit dem VSV begannen sich die Immunzellen des Gehirns, die Mikrogliazellen, in der weiteren Umgebung des Riechkolbens erst zu vermehren und dann zum Infektionsherd zu wandern, um die Viren zu eliminieren. Entfernen die Forschenden hingegen die Mikrogliazellen, hat das Virus freie Bahn und das Gehirn kann sich nicht gegen die Infektion wehren.
Um die Signalkette besser zu verstehen, die zu dieser Mikroglia-Aktivierung und Wanderung führt, analysiert das Team am TWINCORE insbesondere die zentrale Informationseinheit des Immunsystems: den Botenstoff Interferon. Interferon wird bei jedem viralen Angriff von den Zellen ausgeschüttet, die das Virus entdecken. Sie alarmieren damit alle anderen Zellen und die Abwehrreaktion nimmt ihren Lauf. „Wir haben jeweils die Interferonrezeptoren der Mikrogliazellen, Astrozyten oder Neuronen ausgeschaltet, so dass sie kein Interferon mehr registrieren können“, sagt Chintan Chhatbar. „Was wir gesehen haben, war erstaunlich: Für die Mikrogliazellen spielt es keine Rolle, ob sie Interferon wahrnehmen können oder nicht – sie wandern und wehren die Viren in jedem Fall ab. Aber wenn Astrozyten oder Neuronen keine Interferonrezeptoren mehr haben, reagieren auch die Mikrogliazellen nicht. Weder vermehren sie sich, noch wandern sie zum Infektionsherd.“ Offenbar bilden diese beiden Zelltypen spezifische Botenstoffe, nachdem sie das Interferonsignal wahrgenommen haben, die dann wiederum die Mikrogliazellen zur Vermehrung und Wanderung anregen. Ein sehr komplexer und damit sehr sicherer Mechanismus, denn alle drei Zelltypen müssen miteinander interagieren, um die Mikroglia-Zellen zu aktivieren. „Wir wissen zwar noch nicht, um welche Botenstoffe es sich handelt“, sagt Prof. Ulrich Kalinke, Leiter des Instituts für Experimentelle Infektionsforschung, „aber in dieser Signalkette steckt der Schlüssel, mit dem wir das Gehirn bei Virusinfektionen unterstützen können. Hoffentlich ergibt sich daraus eine Strategie für die Entwicklung neuer Therapien für Virus-Enzephaliden, die Heilungsprozesse im Gehirn unterstützen, ohne es dabei zu schädigen.“
Publikation:
Chhatbar C, Detje CN, Grabski E, Borst K, Spanier J, Ghita L, Elliott DA, Costa Jordão MJ, Mueller N, Sutton S, Prajeeth CK, Gudi V, Klein MA, Prinz M, Bradke F, Stangel M, Kalinke U (2018) Type I interferon receptor signaling of neurons and astrocytes regulates microglia activation during viral encephalitis. Cell Rep (in press). (IF 7,338)