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Wie die Lunge zu ihren Immunzellen kommt
Die Lunge eines Erwachsenen besteht aus verschiedenen, hochspezialisierten Zelltypen, die von einer Vielzahl an Immunzellen beschützt werden. Wie sich diese im Embryo und nach der Geburt in der Lunge ansiedeln und gegenseitig beeinflussen, ist jedoch in weiten Teilen noch unerforscht. Israelische und Österreichische ForscherInnen haben nun mit eigens entwickelten Hightech-Verfahren im Mausmodell einen fundamentalen, neuen Mechanismus entdeckt: Basophile, bisher hauptsächlich für allergische Reaktionen bekannte Immunzellen, spielen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung von Fresszellen in der Lunge.
(Rehovot/Wien) Zwei Lungenflügel mit astförmigen Bronchien, die sich bis in die Lungenbläschen verzweigen – so viel ist vom Aufbau der Lunge wohl den meisten bekannt. Will man das Atmungsorgan jedoch wirklich verstehen, muss man genauer hinschauen: Eine große Bandbreite spezialisierter Zellen arbeiten eng zusammen, damit die Lunge reibungslos funktioniert und der lebenswichtige Gasaustausch stattfinden kann. Darunter auch eine ganze Palette an Immunzellen, die eindringende Mikroorganismen in Schach halten und gleichzeitig dafür sorgen, dass Entzündungen beschränkt bleiben, um die Lungenfunktion nicht zu beeinträchtigen. Das erfordert ausgefeilte Kommunikation zwischen den Zelltypen und eine straff organisierte Aufgabenteilung.
Über die Entwicklung dieses hochkomplexen Organs während der Embryonalphase und kurz nach der Geburt lag vieles bisher im Dunkeln. Mit neuesten Methoden gelang es nun ForscherInnen aus Israel und Österreich einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Immunologie der Lungenentwicklung zu leisten. Die Forschungsgruppe von Ido Amit vom Weizmann Institute of Science, gemeinsam mit den Teams von Sylvia Knapp am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und an der Klinik für Innere Medizin 1 der Medizinischen Universität Wien, und von Tibor Harkany am Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien, konnte durch eine Kombination aus zehntausenden Einzelzell-RNA-Analysen zusammen mit Zelloberflächenfärbungen sowie neuesten Mikroskopiemethoden nun die erste, vollständige Entwicklungskarte der Lunge nachzeichnen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Cell (DOI: 10.1016/j.cell.2018.09.009) veröffentlicht.
Das Ergebnis überraschte: basophile Granulozyten, Zellen des Immunsystems, die man bisher für allergische Reaktionen verantwortlich zeichnete, sind als eigene Unterart in der Lunge ansässig und produzieren hier entscheidende Wachstumsfaktoren und Zytokine für die Entwicklung der Lunge. Sie unterscheiden sich stark von bisher bekannten Basophilen, die im Blut zirkulieren, und noch nie wurde über eine Rolle dieser Immunzellen in Entwicklung und Homöostase, speziell der Lunge, berichtet.
„Wir konnten zeigen, dass die Lungenentwicklung in mehreren Schüben verläuft, und dass die Basophilen der Lunge eine wichtige Rolle dabei einnehmen“, erklärt Anna-Dorothea Gorki, CeMM PhD-Studentin und Co-Erstautorin der Studie. „Sie interagieren auf breiter Basis mit anderen Zelltypen der Lunge, insbesondere den Makrophagen, einer extrem wichtigen Art von Immunzellen. Molekularen Signale, die von Basophilen ausgeschüttet werden, führen zur Reifung der Makrophagen-Vorläufer in ihre lungenspezifische Form, die sogenannten Alveolarmakrophagen.“
„Diese Entdeckung ist klinisch höchst interessant“, ergänzt Sylvia Knapp, Forschungsgruppenleiterin am CeMM und Professorin an der MedUni Wien. „Diese außergewöhnliche Funktion der Basophilen und ihr Einfluss auf Makrophagen weisen darauf hin, dass sie auch bei Lungenerkrankungen eine Rolle spielen könnten und somit auch ein potentielles, therapeutisches Ziel für Immuntherapien darstellen.“
Die Studie „Lung single cell signaling interaction map reveals basophil role in macrophage“ erschien in der Zeitschrift Cell am 11.10.2018. DOI: 10.1016/j.cell.2018.09.009
Autoren: Merav Cohen, Amir Giladi, Anna-Dorothea Gorki, Dikla Gelbard Solodkin, Mor Zada, Anastasiya Hladik, Andras Miklosi, Tomer-Meir Salame, Keren Bahar Halpern, Eyal David, Shalev Itzkovitz, Tibor Harkany, Sylvia Knapp, Ido Amit.
Förderung: Die Studie wurde von der Chan Zuckerberg Initiative (CZI), einem HHMI International Scholar award, dem Europäischen Forschungsrat (ERC), einem MRA Established Investigator Award, der Israel Science Foundation, einem Helen and Martin Kimmel award for innovative investigation, dem Israelischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie, dem Fond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) sowie der European Molecular Biology Organisation (EMBO) gefördert.
Sylvia Knapp studierte Medizin in Wien und Berlin, absolvierte ihre Facharztausbildung in Innerer Medizin in Wien, bevor sie ein PhD-Studium an der Universität von Amsterdam anschloss. 2006 wurde sie Forschungsgruppenleiterin am CeMM, 2012 trat sie die Professur für Infektionsbiologie an der Medizinischen Universität Wien an. Sie ist Mitglied des Acadmeia.Net-Kreises exzellenter Wissenschaftlerinnen, korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Unirätin an der Medizinischen Universität Graz und Mitglied verschiedener nationaler und internationaler Beratungsgremien.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at
Die Medizinische Universität Wien (MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit 5.500 MitarbeiterInnen, 26 Universitätskliniken und etlichen medizintheoretischen Zentren und hochspezialisierten Laboratorien zählt sie zu den bedeutendsten Forschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich. Der klinische und forscherische Schwerpunkt der Medizinischen Universität liegt auf den Themen Immunologie, Neurobiologie, Imaging, Onkologie und Herz-Kreislauferkrankungen. www.meduniwien.ac.at
Originalpublikation:
Lung single cell signaling interaction map reveals basophil role in macrophage. Cell,11.10.2018. DOI: 10.1016/j.cell.2018.09.009