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Infektionsgefahren nehmen zu
Spitalskeim, Antibiotika-Resistenzen und Impfmüdigkeit – werden die von Infektionskrankheiten ausgehenden Gefahren immer stärker unterschätzt? Darüber wurde bei einer öffentlichen Gesamtsitzung der ÖAW diskutiert.
„Müssen wir uns fürchten?“ Mit dieser Frage begann Wolfgang Graninger seinen Vortrag zum Thema Infektionskrankheiten in der öffentlichen Gesamtsitzung im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Graninger ist ehemaliger Leiter der klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin am AKH Wien und einer der bekanntesten Infektiologen des Landes, der auch schon ehemalige Bundespräsidenten behandelt hat.
„Wenn die Herdenimmunität verschwindet, reicht unter Umständen eine einzige Infektion, um alle anderen anzustecken“, sagte Graninger. Er illustrierte dies am Beispiel der Färöer-Inseln: 1846 reiste ein dänischer Tischler auf eine der Inseln im Nordatlantik, kurz nachdem er eine Masernerkrankung überstanden hatte. Obwohl klinisch gesund trug er den Virus immer noch in sich – und infizierte in kürzester Zeit einen Großteil der 8.000 Inselbewohner/innen, von denen hunderte starben. Die letzte Masernepidemie auf den Färöern lag damals schon 65 Jahre zurück, weswegen nur die inselältesten Bewohner/innen noch immun, alle anderen aber ungeschützt waren.
Auch das 20. Jahrhundert sah große Epidemien – insbesondere die Grippe war der „Sensenmann des 20. Jahrhunderts“, sagte Graninger. Allen voran die Spanische Influenza 1918 mit 50 Millionen Toten, aber etwa auch die Asiatische Grippe (1957-1958) und die Hongkong-Grippe (1968-1970) rafften Millionen Menschen dahin. Bis heute bleiben Grippeviren ein großes Risiko, weil sie permanent mutieren und so neue Angriffspunkte im Körper finden. Gefährlich werden sie besonders dann, wenn mutierte Viren von Zuchttieren, besonders von Hühnern und Schweinen, auf den Menschen überspringen und sich dann verbreiten.
Vormarsch der Mücken
Ein größeres Problem sind zugleich Tropenkrankheiten: So fordert die Malaria immer noch 3 Millionen Tote jährlich, insbesondere in Afrika. Es gibt zwar heute endlich eine Impfung gegen Malaria, auch die Diagnose ist mittlerweile leicht möglich. Das Problem sind aber nach wie vor die Überträger, die Anophelesmücken. Aufgrund der Erderwärmung breiten sie sich in Gebiete aus, wo es sie früher nicht gab. Dies betrifft auch andere sogenannte Vektoren, also Überträgermücken: So werden sich auch Tropenkrankheiten wie Dengue-Fieber, Chikungunya und Leishmaniose durch den Klimawandel weiter ausbreiten, prognostizierte Graninger.
Aufgrund gestiegener Mobilität sowie Migration und Tourismus werden diese Erkrankungen auch in unseren Breiten künftig eine größere Rolle spielen, so der Experte. Um sich gar nicht erst anzustecken, ist Expositionsprophylaxe noch immer die wirksamste Methode. Bei Reisen in Risikogebiete für Tropenkrankheiten sollte man also Mückensprays und Moskitonetz keinesfalls vergessen und immer darauf achten, den Körper abzudecken.
Problematisch auch in Europa sind die Antibiotikaresistenzen: Weil Antibiotika „in Unmaßen verwendet werden“ – auch in der Landwirtschaft – greifen die gängigsten Wirkstoffe teilweise nicht mehr. Selbst Kombinationspräparate kommen an ihre Grenzen und fallweise stehen Ärzte vor der Situation, dass sie keine wirksame Therapie anbieten können. In Österreich sei das zwar noch nicht der Fall, in Ländern wie Indien, wo selbst im Grundwasser hohe Antibiotikaspiegel vorliegen, ist es aber ein enormes Problem.
Erfolgsbeispiele geben Hoffnung
Graningers Fazit auf die eingangs gestellte Frage lautet also: „Ja, wir müssen uns fürchten.“ Es gebe aber Möglichkeiten, dem Vormarsch der Infektionskrankheiten entgegenzuwirken: Gesundheitspolitische und klinische Richtlinien, Antibiotika nur dann zu verschreiben, wenn es unbedingt nötig ist. Dazu zählt aber auch die Entwicklung neuer Antibiotika – auch wenn sich dies wirtschaftlich noch nicht rechnet –, das Sicherstellen der nötigen Infrastruktur im Gesundheitssystem sowie hohe Durchimpfraten der Bevölkerung: In Zeiten steigender Impfmüdigkeit sei es wichtig, die Menschen wieder zu erinnern, dass nur ein wirksamer Herdenschutz der Gesamtbevölkerung vor neuen Krankheitswellen schützt.
Aber immerhin gibt es auch Erfolgsbeispiele, auf die Graninger verweisen konnte: So würden nach wie vor neue Wirkstoffe entwickelt, etwa zuletzt gegen Malaria, auch die noch sehr jungen virostatischen Therapien von HIV und Hepatitis C seien hochwirksam. Und noch eine gute Nachricht gab es: Anders als auf den Färöer-Inseln ist unsere Bevölkerung durch Partnerschaften über soziale und kulturelle Grenzen hinweg heutzutage viel stärker durchmischt. Massenepidemien wie 1846 sind zwar nicht völlig auszuschließen, die Ausgangslage ist aufgrund des vielfältigeren Genpools und eines gewissen Herdenschutzes aber deutlich besser.