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DGKN: Erste Schritte zur Überwindung der Querschnittslähmung dank Rückenmarkstimulation

Zumindest kurz auf eigenen Beinen zu stehen oder gar einige Meter laufend zurückzulegen – für Menschen, die aufgrund einer Querschnittslähmung im Rollstuhl sitzen, ist das bislang unerreichbar. Mediziner und Therapeuten an zwei US-Kliniken haben nun mit insgesamt fünf Patienten an diesem Traum gearbeitet. Die motorischen Fortschritte gehen zwar nicht über die eingangs erwähnten Fähigkeiten hinaus und sind auch nur mit Hilfestellung möglich, dennoch legen die Ergebnisse möglicherweise den Grundstein für weitere Entwicklungen auf diesem Gebiet, so die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN).

Die Mediziner um Susan Harkema von der University of Louisville, Kentucky, sowie Kendall Lee und Kristin Zhao von der Mayo-Clinic in Rochester arbeiteten mit Elektroden-Arrays, die über 16 Kontaktstellen direkt an das Rückenmark der Patienten unterhalb der Läsion angelegt wurden. Aktiviert wurden die Elektroden über einen ebenfalls implantierten Stimulator, der die Signale des Gehirns beim Gehen und Stehen imitiert. „Ein solches Stimulationssystem ist allerdings auf externe Impulse angewiesen und aktiviert die Motorik nicht durch willentliche Befehle“, erläutert Professor Dr. Stefan Knecht, Chefarzt der Klinik für Neurologie, St. Mauritius Therapieklinik, Meerbusch und Pressesprecher der DGKN. Dies wäre eine Voraussetzung für kontrollierte Bewegungen.

Nach intensivem Training, das bis zu eineinhalb Jahre dauerte, konnten zwei von Harkemas Patienten mithilfe eines Therapeuten oder eines Gehrahmens wieder einige Schritte selbstständig gehen. Beide Patienten hatten ohne die Stimulation keinerlei motorische, aber noch eine sensorische Restfunktion unterhalb der Läsion. Die beiden anderen Patienten, die Harkemas Team betreute, hatten durch die Rückenmarksverletzung auch ihre Sensorik komplett eingebüßt. Sie konnten auch unter der Stimulation nur stehen, aber nicht gehen. Anders verhielt es sich beim fünften Patienten, der an der Mayo-Clinic behandelt wurde: Trotz einer kompletten motorischen und sensorischen Läsion gelang es ihm mithilfe der Stimulation, wieder einige Meter mit einem Gehrahmen zurückzulegen.

Welche Mechanismen bei der als „epidurale Stimulation“ bezeichneten Methode zum Tragen kommen, ist noch unklar. Möglicherweise verstärkt sie Restsignale von Nervenfasern, die die Verletzung überstanden haben. Dafür spricht, dass Willkürbewegungen einzelner Muskeln bei manchen Patienten bereits wenige Tage nach Beginn der Stimulation möglich waren. „In dieser Zeit können sich aber noch keine neuen Nervenfasern gebildet haben“, so Knecht. Allerdings sei denkbar, dass die motorische Aktivierung auch die Regeneration von Nervenfasern anrege. Dies könne möglicherweise die längerfristigen Trainingserfolge erklären.

Da das Gehirn bei der Methode keinerlei Rückmeldung über die Stellung der Beine im Raum erhält, können die Patienten die Balance nicht alleine halten und benötigen die Hilfe oder einen festen Halt durch einen Gehrahmen. Knecht warnt daher vor überzogenen Erwartungen; alltagstauglich sei das Verfahren noch lange nicht. „Wissenschaftlich interessant sind die Ergebnisse aber allemal“, sagt er. Sie zeigten, dass die Rückenmarkstimulation prinzipiell funktioniere und möglicherweise ausbaufähig sei. Letztlich könne auch ein kleiner Gewinn an Selbstständigkeit den Betroffenen ein Stück Lebensqualität zurückgeben.

Quellen:

Angeli CA, Boakye M, Morton RA, Vogt J et al.: Recovery of Over-Ground Walking after Chronic Motor Complete Spinal Cord Injury. N Engl J Med. 2018 Sep 27;379(13):1244–1250. doi: 10.1056/NEJMoa1803588. Epub 2018 Sep 24.
Gill ML, Grahn PJ, Calvert JS et al.: Neuromodulation of lumbosacral spinal networks enables independent stepping after complete paraplegia. Nat Med. 2018 Sep 24. doi: 10.1038/s41591-018-0175-7. [Epub ahead of print]

Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Ärzte und Wissenschaftler in Deutschland, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Neurophysiologie tätig sind. Anliegen der DGKN ist es, die Forschung auf diesem Gebiet zu fördern sowie eine qualitätsgesicherte Aus-, Weiter- und Fortbildung zu garantieren. Zu diesem Zweck richtet die DGKN wissenschaftliche Tagungen, Symposien und Fortbildungsveranstaltungen aus. Sie erarbeitet Richtlinien und Empfehlungen für die Anwendung von Methoden wie EEG, EMG oder Ultraschall. Darüber hinaus setzt sich die DGKN für den wissenschaftlichen Nachwuchs ein, indem sie etwa Stipendien und Preise vor allem für junge Forscher vergibt. Die Methoden der klinischen Neurophysiologie kommen Patienten bei der Diagnose und Therapie neurologischer Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Migräne, Epilepsie, Schlaganfall oder Multiple Sklerose zugute.