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Wie pflegende Angehörige ihren Alltag meistern
Wie gestalten pflegende Angehörige ihren Alltag unter verschiedenen Voraussetzungen? Welche Strategien haben sie entwickelt, um die Pflege zu bewältigen? Mit diesen Fragen haben sich Wissenschaftlerinnen der TH Köln, der Universität Duisburg-Essen und der Fachhochschule Bielefeld in einem gemeinsamen Forschungsprojekt beschäftigt.
Sie erarbeiteten dabei typische Bewältigungsmuster der Pflegenden und konnten zeigen, wie wichtig zentrale Unterstützungsangebote der Kommunen sind.
Die häusliche Pflege gewinnt in Deutschland mit bundesweit rund 3,5 Millionen Pflegebedürftigen immer mehr an Bedeutung. In Nordrhein-Westfalen werden ca. 80 Prozent der rund 769.000 Pflegebedürftigen zu Hause von Angehörigen, teils mit Unterstützung ambulanter Dienste, versorgt.
„Ohne Menschen, die ihre Familienmitglieder zu Hause pflegen, kann die Pflege in Deutschland nicht funktionieren. Sie erbringen eine wertvolle Dienstleistung für die Gesellschaft. Damit die häusliche Pflege unter guten Bedingungen und sozial nachhaltig funktioniert, sollte gerade dieser Personenkreis bestmöglich unterstützt werden“, sagt Projektleiterin Prof. Dr. Sigrid Leitner von der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der TH Köln.
Ziel der Studie war es herauszuarbeiten, ob und welchen Einfluss Bildung, Einkommen, Geschlecht, sozioökonomischer Status, Erwerbstätigkeit oder ein Migrationshintergrund auf die Pflegestrategien von sorgenden Angehörigen haben. Die Grundlage der Studie bildeten 20 leitfadengestützte Interviews mit deutschen und türkischstämmigen Personen aus dem städtischen Raum, die ein Eltern- oder Schwiegerelternteil ab Pflegegrad drei (körperlich schwerst beeinträchtigte Menschen) oder mit Demenz in einem fortgeschrittenen Stadium Vollzeit oder stundenweise pflegen oder gepflegt haben. „Dabei ging es nicht darum, die Effektivität der Pflege der Kinder und Schwiegerkinder zu bewerten, sondern ausschließlich um die Frage, wie sorgende Angehörige mit ihrem Pflegealltag zurechtkommen, was ihnen bei der Bewältigung frühzeitig hilft und was fehlt“, sagt Prof. Dr. Diana Auth vom Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Bielefeld.
Anhand der Befragungen erarbeiteten die Wissenschaftlerinnen ein Schema von fünf Angehörigentypen, die aufgrund ihrer jeweiligen Lebenssituation ihre Pflegeaufgaben unterschiedlich bewältigen. Die eine Gruppe hat die finanziellen Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen und Dienste dazuzukaufen, die andere Gruppe verfügt über weniger Einkommen, kann sich aber auf ein familiäres Netzwerk stützen. Die dritte Gruppe ist nicht oder stundenweise berufstätig und sieht die Vollzeitpflege eines Angehörigen als sinnstiftende Beschäftigung oder Phase, die zum Leben dazugehört. „Diesen Menschen gelingt es über einen langen Zeitraum hinweg die Pflege als Lebensentwurf anzunehmen, allerdings sind sie langfristig latent von Burn-out bedroht, wenn sie das über Jahre ohne Hilfe oder Auszeiten alleine machen“, sagt Prof. Dr. Sigrid Leitner.
Hinzu kommen zwei Gruppen, bei denen die Bewältigung der Pflege als „prekär“, das heißt als gefährdet, gilt: Die eine Gruppe pflegt aus einem emotionalen Abhängigkeitsverhältnis heraus, da sie sich zur Pflege verpflichtet fühlt und keine andere Alternative durch finanzielle Mittel oder Angehörige hat oder die pflegebedürftige Person alle Alternativen ablehnt. Die andere Gruppe steht in einem ständigen Konflikt, weil ihre eigenen Wünsche nach Erwerbstätigkeit nicht denen der zu pflegenden Person oder auch den Erwartungen anderer Familienmitglieder entsprechen oder die Arbeitsbedingungen mit der Pflege nur schwer vereinbar sind. Die sorgende Person ringt um Kontrolle, ihren eigenen Lebensentwurf aufrechterhalten zu können.
Selbstsorge zum Schutz vor Überforderung
Damit Angehörige die Pflege gut bewältigen, ist die Selbstsorge entscheidend. Kümmern sich Pflegende zu wenig um sich selbst, dann ist die Bewältigung der Pflege gefährdet. Das passiert unter anderem, wenn die Zeit fehlt, sich über Hilfsangebote zu informieren oder für Freiräume zu sorgen. Keine dominierende Rolle spielt hingegen der hohe sozioökonomische Status, da bei manchen Gruppen teure Dienstleistungen beispielsweise durch andere Ressourcen, wie ein gut funktionierendes Familiennetzwerk, kompensiert werden können. Außerdem ließen sich keine einheitlichen oder dominierenden Unterschiede bei Pflegenden mit Migrationshintergrund im Vergleich zu den pflegenden Angehörigen ohne Migrationshintergrund feststellen.
„Wir fordern von den Kommunen eine aufsuchende, individuelle Beratung und Begleitung in allen Pflegephasen für pflegende Angehörige am besten aus einer Hand. Damit sichern wir eine qualitativ hochwertige Versorgung der Pflegebedürftigen und vermeiden vorbeugend gesundheitsgefährdende Belastungen und Armutsrisiken der Pflegepersonen“, sagt Prof. Dr. Simone Leiber vom Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik der Universität Duisburg-Essen.
Das Forschungsprojekt PflegeIntersek „Pflegende Angehörige als Adressat_innen einer vorbeugenden Pflegepolitik: Eine intersektionale Analyse“ ist in Kooperation von der TH Köln, der Universität Duisburg-Essen sowie der Fachhochschule Bielefeld zwischen September 2016 und August 2018 durchgeführt worden. Es wurde gefördert vom Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) NRW.