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Gegen Alzheimer: Das Gehirn in Balance halten
Martin Korte über eine neue Studie zu „Gedächtnisdieben“ und ihren Gegenspielern
Noch gibt es keine erfolgreiche Therapie zur Heilung von Alzheimererkrankungen. Es gibt jedoch Untersuchungen dazu, welche Eiweiße dem Gehirn schaden und welche es schützen. Ein Forscherteam um Heather C. Rice aus England und Belgien hat sich Eiweißfragmente mit positiver Wirkung auf die Nervenzellen unseres Gehirns genauer angeschaut. Professor Martin Korte, Neurobiologe am Institut für Zoologie der Technischen Universität Braunschweig, hat das Paper für das „Science“-Magazin rezensiert.
Worum geht es in dem „Science“-Paper?
Professor Martin Korte: „In der Alzheimerforschung ist das prominenteste Molekül das β-Amyloid-Peptid, kurz Aβ. Ich sage dazu auch, es sei eines der „Gedächtnisdiebe“. Es führt zu unlöslichen Eiweißablagerungen an Nervenzellen. Es kann möglicherweise toxisch auf die Nervenzellen wirken und so maßgeblich an der Alzheimererkrankung beteiligt sein. Bislang hat sich die Forschung auf das Aβ konzentriert. Erst in den letzten Jahren hat man nach der Physiologie gefragt, zum Beispiel woher kommt Aβ?
Man hat festgestellt, dass es ein Vorläuferprotein gibt: Amyloid Precursor Protein, kurz APP. Dieses Schlüsselprotein lässt sich fallweise in mehrere Produkte aufspalten, z.B. Aβ oder APPsα. Beide schließen sich aus, es wird also entweder das eine oder das andere Spaltprodukt gebildet. Die Fragestellung des „Science“-Papers von Heather C. Rice et al lautete: Woran bindet sich APPsα und welche Wirkung hat es? APPsα bindet sich an bestimmte Signalempfänger der Nervenzelle (Rezeptoren GABABR1α und GABABR2). Das Proteinfragment reguliert damit die Aktivität der Synapsen. Anders ausgedrückt: Es kümmert sich darum, dass die Nervenzellen nicht überreagieren und hyperaktiv werden. Läuft das Gleichgewicht aus dem Ruder, schadet das dem Gehirn.“
Warum wurden Sie von der TU Braunschweig gebeten, ein Review des Papers anzufertigen?
„Eine Art Rezension eines wissenschaftlichen Papers wird immer dann angefertigt, wenn es von überfachlicher Bedeutung ist. Beim „Science“-Magazin wählt dazu die Redaktion nach sehr strengen Kriterien einen Experten aus dem entsprechenden Forschungsbereich aus. Die Aufgabe: Eine breitere Einordnung des Themas für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anderer Disziplinen verfassen. In dem Fall fiel die Wahl auf mich. Der Grund dafür könnte sein, dass wir uns an der TU Braunschweig bereits mit dem Thema auseinandergesetzt haben.
Gemeinsam mit Kollegen der Universität Heidelberg hatten wir einen anderen Rezeptor (α7-nAChR) gefunden. Wird dieser durch APPsα aktiviert, unterstützt dieser das Lernen: Diese sogenannte „synaptische Veränderbarkeit“ ist die Voraussetzung dafür, dass wir etwas lernen können. Wir arbeiten an dem Thema bereits seit sechs Jahren und können auch auf zehn Publikationen verweisen. Das Paper von Rice et al. fußt gewissermaßen auch auf Arbeiten der TU Braunschweig und der Universität Heidelberg.“
Wie kann man die Spaltprozesse des Schlüsselproteins APP so lenken, dass keine schädliches Peptid entsteht?
„Dazu müssen wir herausfinden, welche Signalmoleküle für die Spaltung von APP in APPsα (unterstützt Funktion von Nervenzellen) oder Aβ (verschleißt Nervenzellen) verantwortlich sind. Vielleicht sind es aber auch Lebensumstände wie Rauchen oder Sport, die Einfluss auf diesen Spaltprozess haben. Spielen vielleicht Entzündungen im Körper eine Rolle oder kann es eine immunologische Reaktion sein? Eine der nächsten Arbeitsschritte zielt auf die Beantwortung der Frage: Was macht Aβ so toxisch?“
Warum ist das bedeutsam für die Alzheimer-Forschung?
„Das Paper und auch mein Review lenken die Aufmerksamkeit auf die Physiologie in der Alzheimerforschung. Der Schwerpunkt liegt allgemein eher auf der medizinischen Forschung. Doch auch die Grundlagenforschung ist wichtig: Nicht nur die Wirkung der Moleküle muss untersucht werden, sondern auch die Vorgänge im Organismus, zum Beispiel die Herkunft und Bindung der Moleküle.“
Was ließe sich aus den neuen Erkenntnissen für die Entwicklung von Therapien oder Medikamenten ableiten?
„Zum Beispiel könnte man einen Blocker entwickeln, der die Produktion des schädigenden Aβ verhindert. Oder man stärkt die Signalempfänger bzw. Rezeptoren. Geht man davon aus, dass bei einer Alzheimererkrankung mehr Aβ produziert wird und es gleichzeitig zu einer APPsα-Reduktion kommt, müsste der Gegenspieler des Aβ mobilisiert werden: Es sind also auch Wirkstoffe, die ja eines der Schwerpunktthemen an er TU sind, denkbar, die wie APPsα wirken und die Aktivität der Nervenzellen in Balance halten sowie Lern- und Gedächtnisprozesse unterstützen.“