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Herzinfarkt-Vorsorge: Prävention darf kein soziales Privileg werden
Studien legen bei Präventionsprogrammen Fokus auch auf sozial Benachteiligte nahe. Herzspezialisten fordern mehr Priorität für gezielte Präventionskonzepte zur Bekämpfung der Herzinfarkt-Sterblichkeit
Die Präventionsmedizin muss viel gezielter auf Unterschiede im Gesundheitsverhalten der Bevölkerung, darunter auch soziale Aspekte wie Bildung und Arbeitslosigkeit, eingehen. „Vorbeugung richtet sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene aller Altersgruppen aus unterschiedlichen sozialen Milieus – das sind herzgesunde wie chronisch herzkranke Menschen, deren Lebensqualität und Prognose wir durch immer bessere Therapien, aber eben auch durch viel mehr flächendeckende Prävention verbessern und erhalten müssen“, unterstreicht Prof. Dr. med. Rainer Hambrecht vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung und Chefarzt für Kardiologie am Klinikum Links der Weser in Bremen anlässlich der Vorstellung des „Deutschen Herzberichts 2018“ (https://www.herzstiftung.de/herzbericht) in Berlin.
Rauchen und Übergewicht häufiger in sozial benachteiligten Stadtgebieten
Untersuchungen des von Hambrecht geleiteten Bremer Herzinfarkt-Registers („STEMI-Register“) an über 3.400 Herzinfarktpatienten in der Region Bremen und dem umliegenden Niedersachsen haben gezeigt, dass Herzinfarkt-Patienten je nach Alter und sozioökonomischem Status unterschiedlich mit den Möglichkeiten der lebensstilbedingten Senkung von Herzinfarkt-Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel oder Übergewicht umgehen. „Raucher und stark übergewichtige Personen mit einem erhöhten Herzinfarkt-Risiko und Herzinfarkt-Patienten waren häufiger in sozial benachteiligten als in besser gestellten Stadtgebieten anzutreffen“, berichtet Hambrecht und fügt hinzu, dass diese Häufung von Infarkten zudem ausgeprägter bei den jüngeren unter 50-jährigen Personen in den sozial benachteiligten Stadtteilen anzutreffen gewesen sei. Auch in der Fünf-Jahres-Langzeit-Prognose zeigten sich schwerwiegende Herz-Kreislauf-Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall stärker in diesen Stadtgebieten. „Diese Daten bestärken Präventionskonzepte, die auf sozial benachteiligte Personen und ,Brennpunkt‘-Stadtteile fokussieren, um die Herzinfarkt-Erkrankungshäufigkeit und -Sterblichkeit zu senken“, heißt es im Herzbericht. „Unsere Daten legen vor allen Dingen nahe, dass ein lückenloses Tabakwerbeverbot in Deutschland längst überfällig ist, um die Raucherquote besonders unter den Jugendlichen effektiv einzudämmen.“
Jährlich kommt es zu über 218.000 Klinikeinweisungen wegen Herzinfarkten in Deutschland, rund 49.000 Menschen sterben daran. Hinzu kommen die Koronare Herzkrankheit (KHK) mit über 73.000 Sterbefällen (ohne Herzinfarkt) und die Herzschwäche mit über 40.000 Gestorbenen. Die durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachten Kosten in der EU beziffern Wissenschaftler nach Schätzungen mit 210 Mrd. Euro pro Jahr. „Eine beträchtliche Zahl Krankenhausaufnahmen und Todesfälle aufgrund von Herzerkrankungen könnte auch deutlich verringert werden, wenn die Menschen mehr Vorsorge betrieben.“ Studien zufolge sind 90 % aller Infarkte durch einen ungesunden Lebensstil bei Männern und Frauen zu erklären* (Rauchen, Bewegungsmangel, Fettleibigkeit). Tipps unter www.herzstiftung.de/ausdauer-verbessern
Schlechte Einstellung der Herzinfarkt-Risikofaktoren bei KHK-Patienten
Ein weiteres Problem stellt die unzureichende Einstellung von Herz-Kreislauf-Risikofaktoren bei Herzpatienten im klinischen Alltag dar. Beim Vergleich von Versorgungsdaten von mehreren Tausend KHK-Patienten in Europa aus den Untersuchungen EUROASPIRE IV (6.905 Pat.) und EUROASPIRE V (4.793 Pat.) im Fünf-Jahres-Abstand ergab: Die Zahl der Raucher und inaktiven Patienten hat sich deutlich verschlechtert, die Rate der Patienten mit Adipositas (Fettleibigkeit) hat sich deutlich erhöht. Zwei Drittel der Patienten erreichten nicht den LDL-Cholesterin-Zielwert bei KHK (niedriger als 70 mg/dl). Ähnliche Befunde zeigte für den deutschen Kontext das Bremer STEMI-Register: „Nicht mal ein Drittel der Herzinfarkt-Patienten erreichte den LDL-Cholesterin-Zielwert und nur zwölf Prozent erreichten den BMI- oder Body-Mass-Index-Zielwert“, bestätigt Hambrecht. Von den über 75.500 Herzpatienten in kardiologischer Reha (2017) hatten rund 38 % Patienten die Diagnose KHK und 21 % Herzinfarkt. Die Ergebnisse der EUROASPIRE-V-Studie und des Bremer STEMI-Registers zur unzureichenden Einstellung der Risikofaktoren übertragen auf diese Patientenzahl zeigt, wie enorm wichtig gezielte Präventionskonzepte sind, die nachhaltig eine Verdrängung beeinflussbarer Risikofaktoren wie körperliche Inaktivität, Rauchen und Stress ohne Ausgleich bewirken und so erneute Herzinfarkte, Krankenhausaufnahmen infolge einer Entgleisung der Herzkrankheit oder die Entstehung neuer Begleiterkrankungen verhindern. „Die medizinische Versorgung ist ein Eckpfeiler. Darüber hinaus sollten aber Länderministerien mehr in Vorsorge-Programme investieren, die zur Schaffung förderlicher Bedingungen für ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung in Kitas, Schulen, Betrieben besonders in benachteiligten Wohnquartieren beitragen“, empfiehlt der Bremer Herzspezialist und Autor des Präventionskapitels im neuen Herzbericht.
*Interheart-Studie, Lancet 2004
Schutz vor erneutem Herzinfarkt: Langzeit-Prävention mit Präventions-Assistenten
Weil Effekte der Rehabilitation bei Herzpatienten meistens nur für begrenzte Zeit nachwirken, gewinnen Individual-medizinische Präventionsprogramme für Langzeiteffekte an Bedeutung. Das zeigt das von Prof. Rainer Hambrecht geleitete, von der Herzstiftung mit über 63.000 Euro geförderte Präventionsprogramm IPP („Intensives Präventions-Programm nach akutem Myokardinfarkt in Nordwest-Deutschland“). Ergebnisse der randomisierten IPP-Studie mit 310 Herzinfarktpatienten zeigen, dass ein langfristiges intensives Präventionsprogramm mit Schrittzählern, telemedizinischer Beobachtung, regelmäßigen Gruppenfortbildungen und Telefonkontakten hilft, die körperliche Aktivität und die Einstellung der Infarkt-Risikofaktoren und die Lebensqualität der Patienten nach sechs Monaten zu verbessern. Eine Schlüsselrolle spielen die medizinischen Präventions-Assistenten, die die Zusammenarbeit zwischen Klinik, Hausarzt und Kardiologen koordinieren und einen engmaschigen Kontakt zu Patienten und Angehörigen halten. Die IPP-Gruppe wurde mit einer Kontrollgruppe (Standardversorgung) verglichen. Wohlgemerkt: Beide Gruppen mit Herzinfarktpatienten hatten gerade eine dreiwöchige stationäre oder ambulante kardiologische Rehabilitation durchlaufen und waren in punkto Risikofaktoren bestens eingestellt. Trotzdem konnten Patienten der IPP-Gruppe ihre Werte im Unterschied zur Kontrollgruppe innerhalb von sechs Monaten zusätzlich verbessern: Steigerung der täglichen Schrittzahl um mehr als 30 %, Senkung des Body Mass Index (BMI) im Schnitt um 3,9 %, Senkung von Blutdruck und LDL-Cholesterin-Wert um jeweils 4,9 %. In einer Subanalyse, in der die Studienteilnehmer nach ihrem Schulabschluss klassifiziert wurden, zeigte sich, dass Patienten mit Hauptschulabschluss zu Studienbeginn mehr Risikofaktoren hatten als Patienten mit Abitur. Durch IPP konnte aber gerade bei den Patienten mit Hauptschulabschluss eine hochsignifikante Verbesserung der Risikofaktoren erreicht werden.
Tipps und Infos (kostenfrei) zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhalten Betroffene bei der Deutschen Herzstiftung per Telefon 069 955128400 oder unter www.herzstiftung.de
Der neue Deutsche Herzbericht 2018 kann kostenfrei angefordert werden unter https://www.herzstiftung.de/herzbericht.
Einen Herzinfarkt-Risiko-Selbsttest bietet die Herzstiftung unter https://www.herzstiftung.de an.
Weitere Informationen:
https://www.herzstiftung.de
https://www.herzstiftung.de/herzbericht