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Videorasterstereographie bei Skoliose: Vorteil trotz schlechter Datenlage

In Verlaufskontrolle teilweise Ersatz für strahlenbelastendes Röntgen möglich / IQWiG bittet um Stellungnahmen zu ThemenCheck-HTA

Bei einer Skoliose ist die Wirbelsäule dreidimensional verbogen und verdreht. Meist tritt sie in der Wachstumsphase auf und muss ab einem bestimmten Krümmungswinkel behandelt werden. Als technisches Hilfsmittel zur Untersuchung gibt es neben dem Röntgen auch eine strahlungsfreie Methode, die Videorasterstereographie. Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) haben Wissenschaftlerinnen der Universität Duisburg-Essen nun untersucht, ob dieses
bildgebende Verfahren geeignet ist, die Röntgenaufnahme in der Nachsorge zu ersetzen.

Den vorläufigen Ergebnissen zufolge sind die beiden Verfahren prinzipiell nur schwer vergleichbar und die verfügbaren Studienergebnisse zudem wenig aussagekräftig. Der Videorasterstereographie bescheinigen die Autorinnen dennoch das „Potenzial für einen medizinischen Nutzen“, da sie zumindest für die Kontrolle im Krankheitsverlauf alternativ angewendet werden könnte und die überwiegend jungen Patientinnen und Patienten so seltener risikobehafteter Röntgenstrahlung ausgesetzt würden. Die unmittelbaren Kosten sind allerdings deutlich höher.

Zu diesem vorläufigen „Basisbericht“ bittet das Institut nun bis zum 18. März 2019 um Stellungnahmen. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Health Technology Assessment (kurz: HTA) in dem durch Gesetzesauftrag 2016 gestarteten IQWiG-Verfahren „ThemenCheck Medizin“.

Von engmaschiger Kontrolle bis zur Operation

Gibt es keine erkennbare Ursache für eine pathologische Wirbelsäulenkrümmung, wie etwa eine angeborene Fehlbildung oder einen Unfall, sprechen Fachleute von einer „idiopathischen“ Skoliose. Sie kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein, lässt sich aber nicht durch eine bestimmte Körperhaltung ausgleichen, sondern besteht dauerhaft und nimmt im weiteren Wachstum meist zu. Nicht nur der „aufrechte“ Gang und die Beweglichkeit werden eingeschränkt, Wirbel und Bandscheiben können einseitig abnutzen und im höheren Alter Schmerzen verursachen. Der Brustkorb kann die Lunge einengen und auf diese Weise Atemnot erzeugen.

Engmaschige Kontrolle ist deshalb auf jeden Fall gefordert. Bei geringgradigen Skoliosen kann zunächst nur eine Physiotherapie verordnet werden. Ab einer Verkrümmung (Cobb-Winkel) zwischen 20 und 30 Grad oder starker Progredienz empfehlen Fachleute das Tragen eines individuell angefertigten Korsetts. Eine Operation des betroffenen Wirbelsäulenabschnittes kann bei Skoliosen über 45 Grad in Betracht gezogen werden. Der Cobb-Winkel ist die maßgebliche Zielgröße, auf die sich die orthopädischen Fachgesellschaften als Grundlage für eine Therapieentscheidung geeinigt haben.

Keine aussagekräftigen Studien

Wie die Wissenschaftlerinnen bei ihrer Recherche feststellten, sind derzeit keine Studien identifizierbar, die in einem direkten Vergleich untersuchten, welches der beiden bildgebenden Verfahren – Röntgen oder Videorasterstereographie – zu einer zuverlässigeren Diagnose und anschließend auch zu besseren Behandlungsergebnissen führt (Studien zur diagnostisch-therapeutischen Kette). Die Recherchen führten lediglich zu vier Studien, die nach der „Konkordanz“ von Videorasterstereographie und Röntgen fragten – also danach, ob die Messergebnisse für den Cobb-Winkel voneinander abweichen. Dabei handelt es sich jedoch um Studien, deren Ergebnisse aufgrund ihrer Methodik wenig aussagekräftig sind. Zudem sind sie zum Teil mehr als 20 Jahre alt.

Methoden sind schwer vergleichbar

Bei der Videorasterstereographie projiziert eine Lichtquelle ein Linienraster auf den Rücken. Dieses Raster wird von einer Kamera aufgezeichnet und die Linienkrümmungen werden mithilfe einer Software analysiert, die daraus ein dreidimensionales Abbild der Oberfläche, einen „virtuellen Gipsabdruck“ generiert. Beim Röntgen handelt es sich dagegen um eine zweidimensionale Messung, die zudem andere Parameter erhebt. Die Messergebnisse der beiden Verfahren weichen deshalb quantitativ und qualitativ voneinander ab. Auf Basis der vorhandenen Studien ist der Vergleich deshalb kaum möglich und eine Konkordanz folglich abschließend nicht überprüfbar, wie die Wissenschaftlerinnen der Universität Duisburg-Essen in ihrem Bericht resümieren.

Geringere Genauigkeit durch häufigere Messung ausgleichen?

Trotz dieser Einschränkungen bescheinigen die Autorinnen der Videorasterstereographie ein „Potenzial für einen medizinischen Nutzen“, also einen möglichen Vorteil gegenüber dem Röntgen. Dieser liege unter anderem darin begründet, dass es sich um eine strahlungsfreie Methode handelt, die auch bei den meist sehr jungen Patientinnen und Patienten mangels gesundheitlicher Risiken unbegrenzt häufig angewendet werden kann.

Die Fachgesellschaften halten für die (Erst-)Diagnose und vor Therapieanpassungen, wie Korsett oder OP, eine Röntgenaufnahme für unverzichtbar. Für die Kontrolle des Verlaufs von Erkrankung und Behandlung wäre die Videorasterstereographie nach Auffassung der Autorinnen jedoch geeignet – selbst wenn ihre Messergebnisse ungenauer wären als die des Röntgens. Die mögliche Unsicherheit der Videorasterstereographie könne durch engmaschigere Kontrolluntersuchungen ausgeglichen werden. Deshalb stelle sie in der Verlaufskontrolle eine „gute Alternative“ zum risikobehafteten Röntgen dar. Schließlich liefere sie zusätzliche Informationen, die die radiometrischen ergänzten.

Gesundheitsökonomische Studien fehlen

Studien, die das Verhältnis der Kosten zum Nutzen untersuchen, fehlen bislang. Eine 3D-Videorasterstereographie ist mit rund 150 Euro teurer als eine Röntgenaufnahme, die rund 67 Euro kostet (jeweils inklusive den erstattungsfähigen ärztlichen Leistungen). Mit einer höheren Messfrequenz ergeben sich also deutlich höhere unmittelbare Kosten. Inwieweit sich Einsparungen durch die Vermeidung von Erkrankungen, die durch ionisierende Strahlen (mit)verursacht werden, ergeben, ist spekulativ.

Im Unterschied zum Röntgen wird die Videorasterstereographie von den gesetzlichen Krankenkassen bislang nicht erstattet. Wer sie nicht selbst bezahlen kann, ist bislang benachteiligt. Das gilt auch für Menschen, die außerhalb größerer Städte wohnen, weil die strahlungsfreie Methode in Deutschland nicht flächendeckend verfügbar ist.

Thema von Bürgern und Patienten vorgeschlagen und mit ausgewählt

Zu den Besonderheiten von „ThemenCheck Medizin“ gehört, dass die Fragestellungen der Berichte immer auf Vorschläge aus der Bevölkerung zurückgehen. Das IQWiG sammelt diese und ermittelt in einem zweistufigen Auswahlverfahren pro Jahr bis zu fünf Themen, zu denen HTA-Berichte erstellt werden. Dabei wird die Bürger- und Patientensicht mit einbezogen. Diese HTA-Berichte werden nicht vom IQWiG verfasst. Das Institut beauftragt externe Sachverständige mit der Berichterstellung, fungiert als Herausgeber und prüft, ob die Ergebnisse gemäß seinen wissenschaftlichen Methoden erarbeitet wurden.

IQWiG bittet um Stellungnahmen und Themen-Vorschläge

Interessierte Personen und Institutionen können nun bis zum 18. März 2019 schriftliche Stellungnahmen zum vorläufigen Basisbericht „Videorasterstereographie bei idiopathischer Skoliose“ beim IQWiG einreichen. Diese werden gesichtet und gegebenenfalls in einer mündlichen Anhörung mit den Stellungnehmenden diskutiert. Danach wird der Basisbericht finalisiert. Außerdem schreiben die Autorinnen und Autoren eine allgemein verständliche Version, und das IQWiG ergänzt das Paket um einen Herausgeberkommentar. Alle Dokumente werden auf der Website „ThemenCheck-medizin.iqwig.de“ veröffentlicht sowie an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) übermittelt.

Unabhängig von diesem zweiten HTA-Bericht ist es jederzeit möglich, Vorschläge für neue Themen einzureichen. Sie werden in der nächsten Auswahlrunde begutachtet, die im August 2019 beginnt.

Weitere Informationen:

https://www.themencheck-medizin.iqwig.de/de/aktuelles/videorasterstereographie-b…