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Neues Notfallmedikament bei Blutungskomplikationen nach der Gabe von Faktor-Xa-Inhibitoren
Blutgerinnungshemmende Therapien sind heute bei der Behandlung und zur Prophylaxe von Thrombosen, Lungenembolien und Schlaganfällen nicht mehr wegzudenken. Sogenannte neue, direkte orale Antikoagulanzien (NOAK) bieten dabei verschiedene Vorteile gegenüber herkömmlichen „alten“ Substanzen wie Heparin und Vitamin-K-Antagonisten.
Ein Nachteil war bislang jedoch die fehlende Verfügbarkeit eines Gegenmittels, wenn es aufgrund überschießender Blutverdünnung unter sogenannten Faktor-Xa-Hemmern zu Blutungen kommt. Ein solches wurde nun entwickelt und zeigte sich in einer Studie hocheffektiv
Gerinnungshemmende Therapien (umgangssprachlich Blutverdünnung) mit antithrombotischen Wirkstoffen (Antikoagulanzien) sind heute bei vielen Erkrankungen nicht mehr wegzudenken: So zur Behandlung sowie zur primären oder Rezidiv-Prophylaxe von Thrombosen, Lungenembolien und Schlaganfällen – beispielsweise nach Operationen oder bei Vorhofflimmern. „Schlaganfälle können verschiedene Ursachen haben – bei Vorhofflimmern können sich in der Herzkammer Blutgerinnsel bilden, die dann vom Herzen in die Gehirnarterien geschleudert werden, was dort zu einem akuten Gefäßverschluss, also Schlaganfall führt“, erklärt Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN. „Eine gerinnungshemmende Therapie kann Risikopatienten davor schützen.“
Zunehmend werden dabei auch sogenannte neue orale Antikoagulanzien (NOAK), auch DOAK (direkte orale Antikoagulanzien) genannt, eingesetzt. Ein Nachteil war bislang jedoch die fehlende Verfügbarkeit eines Gegenmittels, wenn es aufgrund überschießender Blutverdünnung zu Blutungen kommt. Für Patienten, bei denen es unter Dabigatran zu einer schwerwiegenden Blutungskomplikation kommt, steht mit Idarucizumab seit zwei Jahren ein hochwirksames Gegenmittel zur Verfügung. Ein weiteres Gegenmittel wurde nun speziell für Patienten entwickelt, bei denen es unter einer Therapie mit Faktor-Xa-Hemmern zu schwerwiegenden Blutungskomplikationen kommt, und zeigte sich in einer Studie hocheffektiv.
Faktor Xa ist ein zentraler Gerinnungsfaktor des menschlichen Gerinnungssystems (daher lauten die Substanznamen der direkten Faktor-Xa-Inhibitoren auf „-xaban“, z. B. Edoxaban, Apixaban, Rivaroxaban). Faktor-Xa-Inhibitoren haben verschiedene Vorteile gegenüber den „alten“ Substanzen Heparin und Vitamin-K-Antagonisten (z. B. Marcumar). Vorteile für die Patienten sind im Gegensatz zu Heparin, welches täglich unter die Haut gespritzt werden muss, die orale Verfügbarkeit und dass sie keines Therapiemonitorings bedürfen (wie die Vitamin-K-Antagonisten, deren Wirkung relativ schwer vorhersagbar ist und daher streng mit Blutkontrollen überwacht werden muss).
Mögliche Nebenwirkungen bzw. Komplikationen bei allen antithrombotischen Therapien sind durch eine überschießende Blutverdünnung ausgelöste Blutungen (z. B. Zahnfleisch, Haut, Nase, Auge). Gefürchtet und in seltenen Fällen sogar lebensbedrohlich sind vor allem Blutungen ins Gehirn oder innere Organblutungen (z. B. im Magen-Darm-Trakt). Im Gegensatz zu Heparin und Vitamin-K-Antagonisten gibt es in Deutschland und Europa für Faktor-Xa-Inhibitoren bislang kein zugelassenes Antidot (Gegenmittel). Ein speziell entwickeltes Antidot, Andexanet alfa, wurde 2018 in den USA von der FDA („Food and Drug Administration“) im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens vorläufig zugelassen. „Andexanet alfa ist ein rekombinanter, modifizierter, enzymatisch-inaktiver Faktor Xa, der die Wirkung der Faktor-Xa-Inhibitoren aufhebt“, erklärt Prof. Dr. med. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft. Die Ergebnisse der ANNEXA-4-Studie, die im New England Journal of Medicine publiziert wurden, belegen die Effektivität und Sicherheit dieses Notfallmedikamentes.
Die Studie wurde in Nordamerika und Europa mit den meisten Studienzentren in Deutschland durchgeführt und schloss 352 Patienten ein, bei denen es innerhalb von 18 Stunden nach der letzten Einnahme eines Faktor-Xa-Inhibitor zu einer schweren Blutungskomplikation (major bleeding) gekommen war. Sie waren durchschnittlich 77 Jahre alt und litten mehrheitlich an Vorhofflimmern (80%) und/oder hatten andere kardiovaskuläre Vorerkrankungen (wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Thrombose, Lungenembolie). Im Rahmen einer notwendigen antithrombotischen Therapie hatten sie eine Faktor-Xa-hemmende Therapie erhalten (194 Patienten Apixaban, 128 Rivaroxaban, 10 Edoxaban, 20 Enoxaparin). 227 Patienten (64%) hatten zerebrale und 90 (26%) gastrointestinale (Magen-Darm) Blutungen. Sie erhielten intravenös einen definierten Andexanet-Bolus mit anschließender Andexanet-Infusion über zwei Stunden. Eine Kontrollgruppe mit Placebomedikation gab es aus ethischen Gründen nicht. Untersuchte Endpunkte waren der Anteil an Patienten mit effektiver Stillung der Blutung 12 Stunden nach Infusionsende sowie die gemessene prozentuale Änderung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität. Effektivitätsberechnungen erfolgten nur bei Patienten, die bei Blutungseintritt eine Anti-Faktor-Xa-Aktivität von mindestens 75 ng/ml hatten.
Nach dem Andexanet-Bolus fiel die Anti-Faktor-Xa-Aktivität um 92% ab (von Median ca.150 ng/ml auf 11 ng/ml bei Patienten, die Apixaban erhalten hatten und bei Rivaroxaban-Patienten von ca. 212 ng/ml auf 14 ng/ml). Klinisch wurde bei 82% der ausgewerteten Patienten (204 von 249) eine sehr gute bis gute Blutstillung erreicht. Bei der Nachbeobachtung verstarben innerhalb von 30 Tagen 49 Patienten (14%) – mehrheitlich (35 der 49) an kardiovaskulären Todesursachen. Bei 34 Patienten (10%) kam es zu einem thrombotischen Ereignis (Herzinfarkt, Schlaganfall, Thrombose, Lungenembolie) – bei ihnen war die erneute Antikoagulation verzögert oder gar nicht wieder begonnen worden.
„Eine gerinnungshemmende Therapie wird nie ohne Grund durchgeführt; sie gilt bei Risikopatienten, beispielsweise für Schlaganfall bei Vorhofflimmern, als Goldstandard“, kommentiert Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener. „Dabei müssen alle Vor- und Nachteile der Therapie, aber auch der verschiedenen Substanzen untereinander abgewogen werden.“ „Wenn das Notfallmedikament im Falle einer Blutung zum Einsatz kommt, wird damit natürlich die Schutzwirkung der Gerinnungs-hemmung aufgehoben“, ergänzt Prof. Dr. med. Schäbitz, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Evangelischen Klinikum Bethel, Bielefeld. „Es muss dann rasch entschieden werden, ob bei fortbestehender Indikation für eine Antikoagulanzientherapie diese, möglicherweise mit einer anderen Substanz, wieder aufgenommen werden sollte oder ob man aus Angst vor einer Blutung künftig lieber auf eine antithrombotische Prophylaxe verzichtet.“
Insgesamt dürfte Andexanet alfa die Therapie mit einem Faktor-Xa-Inhibitor künftig noch sicherer machen. Die FDA fordert im Rahmen der vorläufigen Zulassung entsprechend noch weitere Daten („Post-Approval-Study“); eine große, randomisierte Studie soll daher noch dieses Jahr starten.
Literatur
[1] Connolly SJ, Crowther M, Eikelboom JW et al. Full Study Report of Andexanet Alfa for Bleeding Associated with Factor Xa Inhibitors. N Engl J Med 2019 Feb 7. doi: 10.1056/NEJMoa1814051. [Epub ahead of print]