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Studie belegt Wirksamkeit eines neuen Antibiotikums bei komplizierten Harnwegsinfekten

Erfolgreiche klinische Forschungen im Fachgebiet Urologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen – Ergebnisse einer internationalen Studie im „New England Journal of Medicine“ publiziert

„Krankenhausinfektionen“ sind mehr denn je gefürchtet; sie stellen Ärzte- und Pflegepersonal gleichermaßen vor immense Herausforderungen. In Deutschland erkranken jedes Jahr mehr als eine halbe Million Menschen an den sogenannten nosokomialen Infektionen, häufig verbunden mit schwerwiegenden Komplikationen bis hin zur Todesfolge. Umso dringlicher ist es, in einer gemeinschaftlichen Anstrengung Gegenstrategien zu entwickeln. Und umso erfreulicher sind wichtige Teilerfolge bei der Suche nach wirksamen und neuen Antibiotika. Prof. Dr. Florian Wagenlehner, Fachbereich Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie des UKGM Standort Gießen, ist die Beschreibung der Wirksamkeit eines neuen Antibiotikums bei multiresistenten Erregern gelungen. Die Ergebnisse einer vergleichenden internationalen Therapiestudie bei komplizierten Harnwegsinfektionen (kHWI) durch multiresistente Erreger sind kürzlich im „New England Journal of Medicine“ unter dem Titel Once-Daily Plazomicin for Complicated Urinary Tract Infections veröffentlicht worden.

Wichtig ist dem Erstautor zunächst eine Einordnung der Rahmenbedingungen, denn der in der Öffentlichkeit geläufige Begriff der „Krankenhausinfektionen“ greife zu kurz. Besser wäre es, von „Gesundheitssystem-assoziierten Infektionen“ (Health-care associated infections) zu sprechen, da die meisten Patientinnen und Patienten die multi-resistenten Erreger bereits ins Krankenhaus mitbringen und diese nicht dort bekommen.

Die erfolgreichen Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Urologie reihen sich ein in zahlreiche standortübergreifende Forschungsinitiativen und -kooperationen: Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMKW) fördert im Rahmen des Kompetenzzentrums für Krankenhaushygiene an den drei universitätsmedizinischen Standorte Frankfurt, Gießen und Marburg die universitätsübergreifende Forschung zu multiresistenten Keimen. Die Suche nach neuen Antibiotika und die klinische Bestätigung ihrer Wirksamkeit stehen dabei im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses.

Den Forschungsschwerpunkt „Infektionen und Wirkstoffe“ haben die JLU und ihr Fachbereich Medizin als zukunftsweisenden Potenzialbereich identifiziert. „Die Publikation der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Florian Wagenlehner zur Beschreibung der Wirksamkeit eines neuen Antibiotikums bei multiresistenten Erregern ist ein weiterer wichtiger Schritt im Bereich der klinischen Forschung zur Verbesserung der therapeutischen Breite in diesem Bereich“, betont Prof. Dr. Wolfgang Weidner, Dekan des Fachbereichs Medizin der JLU. Und er ergänzt: „Die Veröffentlichung der Ergebnisse einer solchen vergleichenden Therapiestudie im hoch angesehenen ,New England Journal of Medicine‘ zeigt nicht nur die große Notwendigkeit derartiger klinischer Forschung. Sie ist zugleich ein weiterer Beleg für die Wichtigkeit eines Infektionsschwerpunkts im Bereich der Forschung, der die multiresistenten Erreger mit einbezieht, für den Fachbereich Medizin der JLU.“

Behandlung komplizierter Harnwegsinfektionen

Schätzungsweise drei Millionen Fälle von komplizierten Harnwegsinfektionen (kHWI-Fälle) werden pro Jahr in den USA in Krankenhäusern behandelt. „Die wirksame Behandlung von komplizierten Harnwegsinfektionen wird durch das wachsende Problem der Antibiotikaresistenz zunehmend erschwert“, erläutert Prof. Wagenlehner die Hintergründe der jetzt vorgelegten Therapiestudie. Die häufigsten Erreger seien Enterobakterien. Die Antibiotikaresistenz bei diesen Bakterien stelle ein globales Problem dar. Die hohen Resistenzraten gegenüber den bisherigen Grundpfeilern der Therapie erforderten alternative Behandlungsmöglichkeiten. Dies sei umso wichtiger, als ineffektiv behandelte kHWI zu schwersten Infektionen mit Blutvergiftung und Organversagen führen können.

In der internationalen randomisierten klinischen Phase-3-Studie EPIC (Evaluating Plazomicin In CUTI) haben die Medizinerinnen und Mediziner Plazomicin, ein neues Aminoglykosid mit biologischer Aktivität gegen multiresistente Bakterien, im direkten Vergleich mit Meropenem, einem Reserveantibiotikum, erfolgreich getestet. Eingebunden waren 609 Patientinnen und Patienten mit kHWI sowie akuter Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis). Das Hauptziel der EPIC-Studie bestand darin zu zeigen, dass Plazomicin gegenüber Meropenem in der Wirksamkeit nicht unterlegen ist.

Die primären Endpunkte waren die klinische Heilung in Verbindung mit der vollständigen mikrobiologischen Eliminierung des Krankheitserregers (Eradikation) am Tag 5 sowie an den Tagen 15 bis 19 nach Therapiebeginn, in der sogenannten mikrobiologisch modifizierten Patientenkohorte (Patientinnen und Patienten, die eine Studienmedikation erhalten haben und die Bakterien in der Urinkultur aufwiesen, die sowohl sensibel auf Meropenem als auch Plazomicin reagierten). Im Gegensatz zu anderen Phase-3-Studien, die bei Patientinnen und Patienten mit komplizierten HWI durchgeführt wurden, wurden diesmal Personen aus der Analyse ausgeschlossen, die einen Erreger in der Urinkultur hatten, der resistent gegen das Vergleichsantibiotikum Meropenem war. Damit war eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse durch eine erhöhte Resistenz des Vergleichsantibiotikums ausgeschlossen.

Die Ergebnisse waren eindeutig, freut sich Wagenlehner: „Die EPIC-Studie hat gezeigt, dass Plazomicin gegenüber Meropenem bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit komplizierten HWI, einschließlich akuter Pyelonephritis, nicht unterlegen war.“ Im Gegenteil: Nach der Behandlung mit Plazomicin ließ sich eine höhere Rate der Erregerabtötung nachweisen als nach der Behandlung mit Meropenem. Auch die Rate von klinischen Rückfällen im Nachsorgezeitraum fiel deutlich geringer aus.

In einem weiteren Schritt sei die Sicherheit des neuen Aminoglykosides Plazomicin untersucht worden, erklärt Wagenlehner. Nur bei einer kleinen Anzahl von Patientinnen und Patienten sei der Nierenparameter Kreatinin geringfügig erhöht gewesen (7% bei Plazomicin, 4% bei Meropenem). Die Befunde dieser Studie zeigten demnach erstmals, dass Plazomicin bei erwachsenen Patientinnen und Patienten mit komplizierten HWI oder akuter Pyelonephritis – sowie weiteren Infektionen, die durch multi-resistente Erreger verursacht werden – eingesetzt werden kann.

Publikation
Wagenlehner FME, Cloutier DJ, Komirenko AS, Cebrik DS, Krause KM, Keepers TR, Connolly LE, Miller LG, Friedland I, Dwyer JP; EPIC Study Group. Once-Daily Plazomicin for Complicated Urinary Tract Infections. N Engl J Med. 2019 Feb 21;380(8):729-740.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30786187

Die 1607 gegründete Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ist eine traditionsreiche Forschungsuniversität, die rund 28.000 Studierende anzieht. Neben einem breiten Lehrangebot – von den klassischen Naturwissenschaften über Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Gesellschafts- und Erziehungswissenschaften bis hin zu Sprach- und Kulturwissen¬schaften – bietet sie ein lebenswissenschaftliches Fächerspektrum, das nicht nur in Hessen einmalig ist: Human- und Veterinärmedizin, Agrar-, Umwelt- und Ernährungswissenschaften sowie Lebensmittelchemie. Unter den großen Persönlichkeiten, die an der JLU geforscht und gelehrt haben, befindet sich eine Reihe von Nobelpreisträgern, unter anderem Wilhelm Conrad Röntgen (Nobelpreis für Physik 1901) und Wangari Maathai (Friedensnobelpreis 2004). Seit dem Jahr 2006 wird die Forschung an der JLU kontinuierlich in der Exzellenzinitiative bzw. der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern gefördert.

Originalpublikation:
doi: 10.1056/NEJMoa1801467