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Unterschiede bei Immuntherapien gegen Allergien zwischen USA und Europa
Die Hyposensibilisierung ist eine etablierte Behandlungsoption, die sich in den USA und Europa sehr unterschiedlich darstellt. Die Unterschiede betreffen nicht nur das Spektrum der für die Hyposensibilisierung verfügbaren Produkte, sondern auch die klinische Entwicklung, diagnostische Verfahren und die Regulation durch die Zulassungsbehörden. Expertinnen und Experten des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) stellen in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus Berlin und den USA in einer im Journal of Allergy and Clinical Immunology veröffentlichten Übersichtsarbeit wichtige Unterschiede vor und bieten einen Überblick über den aktuellen Stand der Hyposensibilisierung.
Die Hyposensibilisierung, auch als Allergen-Immuntherapie (AIT) bezeichnet, wurde vor mehr als 100 Jahren erstmalig für die Behandlung des Heuschnupfens entwickelt. Bei der AIT wird das Immunsystem über eine in der Regel mehrjährige Therapie an das Allergen „gewöhnt“ und so die Allergie nachhaltig gemildert oder im besten Fall beseitigt. Während in vielen medizinischen Bereichen die regulatorischen Rahmenbedingungen zwischen den USA und Europa und die verfügbaren Arzneimittel ähnlich sind, gibt es im Bereich der Immuntherapie große Unterschiede. Prof. Vera Mahler, Leiterin der Abteilung Allergologie des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), und Prof. Stefan Vieths, Vizepräsident des PEI und bis Anfang 2017 Leiter der Abteilung Allergologie, sowie Kolleginnen und Kollegen des Allergy Asthma Center Westend, Berlin, der Lenoir-Rhyne University, Hickory, USA und des Cincinnati College of Medicine, beleuchten in einer umfassenden Übersichtsarbeit wichtige Unterschiede hinsichtlich der Entwicklung therapeutischer Allergenprodukte, der diagnostischen Vorgehensweise, des klinischen Managements der Behandlung sowie der regulatorischen Rahmenbedingungen. Wie komplex und divers die Situation ist, zeigt sich auch daran, dass die Darstellung der Ergebnisse fünf Tabellen und vier Abbildungen erforderte.
Wichtige Unterschiede gibt es auf den Ebenen Produktvielfalt und Art der Anwendung: In Nordamerika stehen von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) zugelassene standardisierte und nicht standardisierte wässrige Inhalationsallergen-Extrakte (z.B. Gräserpollen) für die Behandlung zur Verfügung. Diese Produkte werden fast ausschließlich subkutan (Injektion ins Unterhautfettgewebe) angewendet (SCIT, subcutaneous immuntherapy). Anders die Situation in Europa: Hier gibt es auch zusätzliche Produkte wie Aluminium- und Tyrosin-absorbierte Allergene und chemisch modifizierte Allergene mit vermindertem Allergiepotenzial (Allergoide). Zudem werden die Allergene in Europa nicht nur subkutan verabreicht, sondern hier steht auch eine sublinguale Behandlung (SLIT, sublinguale Immuntherapie, Allergen wird unter der Zunge platziert) mit wässrigen Formulierungen oder Tabletten zur Verfügung und nimmt einen erheblichen Teil des Marktes ein.
Ein weiterer zentraler Unterschied: In den USA werden häufig Extrakte unterschiedlicher Pollen, Schimmelpilzsporen, Hausstaubmilben oder Tierhaarallergene in der ärztlichen Praxis gemischt und injiziert. In Europa werden Mischungen unterschiedlicher Allergenquellen wegen eines Verdünnungseffekts in der Regel nicht eingesetzt. Hier bevorzugen Allergologen dagegen Injektionen einzelner hochdosierter Allergene oder homologer Gruppen von Allergenen, wenn sie als klinisch relevant gelten. Als klinisch relevant gelten Allergene, die beim individuellen Patienten zu klinischen Symptomen der Allergie führen oder lebensbedrohlich sein können.
Auch die regulatorischen Rahmenbedingungen und statistischen Verfahren unterscheiden sich. Während die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) den minimalen klinischen Effekt über ein statistisches Verfahren definiert hat, fordert die Europäische Kommission einen statistisch signifikanten Unterschied in ausgewählten primären Endpunkten (definierten Zielkriterien der klinischen Studie). Zudem muss in Europa die klinische Bedeutung des in einer klinischen Prüfung gefundenen Effektes für den einzelnen Patienten dargelegt werden.
„Die Behandlung von Allergien ist komplex – angefangen von der Vielzahl der Allergene, die sich teilweise saisonal unterschiedlich stark auswirken, über die Art der Darreichung therapeutischer Allergene bis hin zur Bewertung klinischer Daten. Mit unserem Vergleich werden internationale Unterschiede bezüglich der Produktvielfalt für die Hyposensibilisierung und ihrer Anwendung deutlich“
, erklärt Prof. Vera Mahler. Als einziges Zulassungsinstitut in Europa hat das PEI frühzeitig eine auf Allergologie spezialisierte Abteilung geschaffen, um die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Therapieallergenen sicherzustellen. Es war treibende Kraft für die Implementierung der Therapieallergene-Verordnung, die seit 2008 in Deutschland wirksam ist. „Die klinische Entwicklung wirksamer Therapieallergene bleibt eine große Herausforderung in Europa. Unsere Expertinnen und Experten des PEI leisten durch wissenschaftliches Engagement und Mitarbeit bei der Entwicklung internationaler Richtlinien und Standards wichtige Beiträge für die Weiterentwicklung von Therapieallergenen“
, erläutert Prof. Stefan Vieths.
Originalpublikation
Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt am Main ist als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Es erforscht, bewertet und lässt biomedizinische Human-Arzneimittel und immunologische Tierarzneimittel zu und ist für die Genehmigung klinischer Prüfungen sowie die Pharmakovigilanz – Erfassung und Bewertung möglicher Nebenwirkungen – zuständig.
Die staatliche Chargenprüfung, wissenschaftliche Beratung/Scientific Advice und Inspektionen gehören zu den weiteren Aufgaben des Instituts. Unverzichtbare Basis für die vielseitigen Aufgaben ist die eigene experimentelle Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin und der Lebenswissenschaften.
Das Paul-Ehrlich-Institut mit seinen rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nimmt zudem Beratungsfunktionen im nationalen (Bundesregierung, Länder) und internationalen Umfeld (Weltgesundheitsorganisation, Europäische Arzneimittelbehörde, Europäische Kommission, Europarat und andere) wahr.