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Autismus: Hirnaktivitäten als Biomarker
Jülich, 6. März 2019 – Forscher aus Jülich, der Schweiz, Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien haben bestimmte Aktivitätsmuster im Gehirn von Menschen mit Autismus entdeckt. Diese konsistenten Muster sogenannter funktioneller Konnektivität könnten langfristig als Biomarker für Therapien eingesetzt werden. Die Idee: Mediziner könnten künftig untersuchen, ob bestimmte Behandlungen die Hirnmuster in Richtung gesunder Muster verschieben und damit einen verbesserten Gesundheitszustand erzielen. Die Ergebnisse der Studie, die mehr als 800 Autisten in vier Kohorten berücksichtigt, wurden im Fachjournal „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.
Autismus gibt der Wissenschaft noch immer viele Rätsel auf: Die Krankheit mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen ist weder heilbar, noch sind die Ursachen vollständig geklärt. Für das gesamte Spektrum autistischer Störungen wird der Oberbegriff „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS) verwendet. „In unserer Studie konnten wir ein generelles Muster der Hirn-Konnektivität für ASS identifizieren“, erklärt Dr. Jürgen Dukart vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM 7) und Letztautor der Studie. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, bisherige Therapieformen zu optimieren oder neue Behandlungswege zu finden.
Verändert sich die Aktivität der Nervenzellen in zwei oder mehreren Hirnregionen zeitlich synchron, gehen Wissenschaftler davon aus, dass sie Netzwerke bilden und miteinander kommunizieren. Sie sprechen dann von einer funktionellen Konnektivität, die sie mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) auch bildlich erfassen können. Vor diesem Hintergrund haben Wissenschaftler in den vergangenen zehn Jahren immer wieder die funktionelle Gehirnaktivität von Autisten untersucht. „Das Problem: Jede der Studien hat eigene Verfahren eingesetzt. Das hat zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Eine Übereinstimmung gibt es da kaum“, erklärt Dukart.
Anders nun die aktuelle Studie, die Daten von insgesamt über 800 Autisten berücksichtigt und auswertet: „Wir haben für alle vier Versuchsgruppen eine identische Analyse- und Vorverarbeitungsmethode angewendet“, erklärt Dukart. So konnten die Forscher ihre Ergebnisse aus der größten Kohorte in den anderen Gruppen replizieren: „Bestimmte Effekte tauchen konsistent in allen vier Gruppen auf und unterscheiden sich von den Mustern der gesunden Kontrollprobanden“, so der Wissenschaftler. Damit könnten diese Konnektivitäts-Muster langfristig in der Therapie als Biomarker, also als messbare biologische Parameter für die Gehirnkonnektivität, eingesetzt werden: „In einer therapeutischen Behandlung müsste es gelingen, die Konnektivitäts-Muster medizinisch so zu beeinflussen, dass sie sich dem gesunden Kontrollmuster annähern“, erklärt Dukart. Dafür seien aber weitere Studien notwendig, in denen dieser Biomarker für veränderte funktionelle Konnektivität bei Autisten noch intensiver untersucht werden soll.
Die Forscher fanden heraus, dass die funktionelle Konnektivität im Gehirn der Autisten insgesamt im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden nicht mehr oder weniger stark ist, sondern sich räumlich verschiebt. Diese Verschiebung verursacht im Gehirn sogenannte lokale Unter- und Überkonnektivitäten, die laut Studie mit ASS-Symptomen wie Sprachstörungen und Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben zusammenhängen. „Das lässt sich am Beispiel des Flugverkehrs veranschaulichen: Fällt ein großer Flughafen wie Frankfurt aus, werden die Flüge auf andere, kleinere Flughäfen umgeleitet. So bleibt die Anzahl der Flüge in der Summe zwar gleich, aber die Aktivität der einzelnen Flughäfen verändert sich: Bestimmte Flughäfen verlieren an Bedeutung, das entspricht dem Zustand der lokalen Unterkonnektivität bei Autisten. Hingegen werden andere Flughäfen wichtiger, sie stehen für lokale Überkonnektivität“, schildert Dukart. So belegt die Studie, dass bestimmte Hirn-Regionen, die bei gesunden Probanden stark mit einander verbunden sind, bei Autisten eine geringere Konnektivität aufweisen – und zwar auf Kosten von anderen Regionen, die dann wiederum stärker verbunden sind. „Das bezeichnen wir in der Publikation als Verschiebungen in der Konnektivität“, erklärt Dukart. Den genauen Zusammenhang zwischen diesen Konnektivitätsverschiebungen und den ASS-Symptomen wollen die Jülicher Forscher in weiteren Studien intensiver untersuchen.
Weitere Informationen:
Originalstudie: „Patients with autism spectrum disorders display reproducible functional connectivity alterations“, Science Translational Medicine, 27 Feb 2019, Vol. 11, Issue 481,
DOI: 10.1126/scitranslmed.aat9223
Institut für Neurowissenschaften und Medizin, Gehirn und Verhalten (INM-7)