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Doch nicht so stumm
Die bislang wenig erforschten so genannten „stummen“ bzw. „synonymen“ Erbgutveränderungen haben keine veränderten Proteine zur Konsequenz – können aber trotzdem zahlreiche Funktionen der Zelle und damit auch Krankheitsprozesse beeinflussen. Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum, von der Universität Freiburg und vom Deutschen Krebskonsortium erstellten nun eine umfassende Datenbank aller je bei Krebs gefunden synonymen Mutationen.
Damit schaffen sie ein „Nachschlagewerk“, das Krebsforschern auf einen Blick alle verfügbaren Informationen zu jeder einzelnen dieser nur vermeintlich „stummen“ Mutationen bereitstellt. Am Bespiel eines wichtigen Onkogens zeigen die Forscher, wie synonyme Mutationen die Funktion dieses Krebstreibers beeinflussen können.
Krebserkrankungen gehen auf Veränderungen des Erbguts zurück. Dabei sind in der Regel Gene betroffen, die das Krebswachstum antreiben (Onkogene) oder die der Krebsentstehung entgegenwirken (Tumorsuppressor-Gene). In zahllosen Untersuchungen haben Krebsforscher über die vergangenen Jahrzehnte aufgeschlüsselt, welche Mutation bei welcher Krebsart welche Rolle spielt. Doch haben sie sich dabei weitestgehend auf solche Mutationen konzentriert, die in einer veränderten Aminosäuresequenz der Proteine resultieren.
„Doch ein großer Teil der Erbgutveränderungen wirkt sich überhaupt nicht auf die Aminosäuresequenz aus“, erklärt Sven Diederichs, dessen Abteilung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), an der Universität Freiburg und am Deutschen Krebskonsortium DKTK angesiedelt ist. Das liegt daran, dass der genetische Code für die meisten Aminosäuren mehrere „Worte“ hat, die sich in ihrem letzten, dritten DNA-Baustein unterscheiden. Betrifft eine Mutation diesen Baustein, so ändert sich an der abgelesenen Aminosäure und damit am resultierenden Protein nichts. Früher sprach man daher von „stummen“, inzwischen jedoch eher von „synonymen“ Mutationen.
„Heute weiß man, dass synonyme Mutationen bei vielen Krankheiten eine Rolle spielen und sich beispielsweise auf das Therapieansprechen von Krebs auswirken können. Trotzdem ist ihre Bedeutung für die Krebsentstehung längst nicht so gut untersucht wie die der protein-verändernden Mutationen“, erklärt Diederichs. Dabei können synonyme Mutationen auf vielfältige Weise in wichtige zelluläre Prozesse eingreifen: Sie wirken sich unter anderem auf die Stabilität der RNA aus, auf deren dreidimensionale Faltstruktur oder auch darauf, wie effizient die RNA in Proteine übersetzt wird.
Diederichs und seine Kollegen aus Heidelberg und Freiburg haben nun eine umfangreiche Datenbank erstellt, die alle bislang im Krebserbgut entdeckten synonymen Mutationen beinhaltet und mit umfassender Zusatzinformation koppelt: Was ist die Funktion des betroffenen Gens, welche Position innerhalb des Gens ist mutiert? Bei welchen Krebsarten wurde die Mutation bisher entdeckt und in welcher Häufigkeit?
Insgesamt 659.194 Einträge, die 88 verschiedene Krebsarten betreffen, enthält die SynMIC-Datenbank. „Kollegen können sich darin wie in einem Nachschlagewerk einfach und umfassend über synonyme Mutationen informieren, die bei der Krebsart auftreten, mit der sie sich beschäftigen“, erklärt Diederichs.
Am Beispiel des wichtigen Onkogens KRAS demonstrieren die Forscher um Diederichs detailliert, wie sich synonyme Mutationen, die tatsächlich bei Krebspatienten entdeckt worden sind, auf die RNA-Struktur und auf die Proteinproduktion auswirken.
Geschätzte acht Prozent aller krebstreibenden Erbgutveränderungen, die nur einen einzigen DNA-Baustein betreffen, sind synonyme Mutationen. Früher waren Forscher davon ausgegangen, dass diese vermeintlich „stummen“ Mutationen bei Krebs keinem selektiven Druck unterliegen. Doch dann sollten sie mehr oder weniger zufällig über das Erbgut verteilt sein – was nicht der Fall ist, wie die ausführliche Entschlüsselung von Krebsgenomen in den letzten Jahrzehnten gezeigt hat.
Diederichs und Kollegen fanden nun noch ein weiteres Argument, dass stark gegen die Zufallshypothese spricht: Insbesondere am Anfang aller proteinkodierenden Genabschnitte kartierten sie deutlich weniger Mutationen – proteinverändernde wie synonyme – als im weiteren Verlauf der Gene. „Das ist ein Indiz dafür, dass sich jegliche Mutation in diesem Bereich stärker auf die Zelle auswirkt. Selektiver Druck könnte dann dafür sorgen, dass sich so mutierte Zellen nicht durchsetzen können“, erklärt Diederichs. „Und dieser selektive Druck würde dann offensichtlich auch gegenüber synonymen Mutationen bestehen.“
Zur Datenbank geht es unter: http://synmicdb.dkfz.de/
Yogita Sharma, Milad Miladi, Sandeep Dukare, Karine Boulay, Maiwen Caudron-Herger, Matthias Groß, Rolf Backofen, Sven Diederichs: A pan-cancer analysis of synonymous mutations.
Nature Communications 2019, DOI: 10.1038/s41467-019-10489-2
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.