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„Stille Mutationen“ können Krebszellen verändern
Gen-Veränderungen im Protein-Bauplan galten bislang als irrelevant, wenn trotzdem die gleichen Protein-Bausteine hergestellt werden. Nun zeigen Freiburger Forscher, dass diese Mutationen durchaus die Proteinaktivität in Krebszellen verändern können.
Bislang dachte man, dass Änderungen im Erbgut ohne Folgen bleiben, wenn es dadurch nicht zu einem Austausch von Proteinbausteinen kommt. Man sprach dann von „stillen Mutationen“. Nun zeigen Freiburger Forscherinnen und Forscher, dass derartige Veränderungen aber durchaus die Zellaktivität verändern können. Das Team um Prof. Dr. Sven Diederichs, der die Abteilung für onkologische Forschung der Klinik für Thoraxchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg und die Abteilung RNA Biology and Cancer des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) leitet, untersuchte 88 Tumorarten und mehr als 650.000 Mutationen. „Am Beispiel des bedeutenden Krebs-Gens KRAS konnten wir zeigen, dass eine vermeintlich stille Mutation die Protein-Bildung verringert. Stille Mutation sind also gar nicht so still“, so Diederichs. Die Forscher entwickelten eine benutzerfreundliche Datenbank, SynMICdb, die bekannte stille Mutationen listet und so anderen Wissenschaftlern entsprechende Auswertungen deutlich vereinfacht. Ihre Datenbank und konkrete Ergebnisse stellen die Forscher am 12. Juni 2019 im Fachmagazin Nature Communications vor.
Wie ein falsch gefalteter Stadtplan
G, C, A, T: Im Erbgut gibt es vier Basen, die jeweils zu Dreiergruppen angeordnet sind. So können 64 Informationseinheiten dargestellt werden. Die Proteine im menschlichen Körper sind jedoch aus nur 21 unterschiedlichen Aminosäuren aufgebaut. Daher gibt es für viele Proteine mehrere, synonyme Möglichkeiten, sie im Erbgut darzustellen. Diese Veränderungen wurden lange auch als „stille Mutationen“ bezeichnet. Am Beispiel des Onkogens KRAS zeigten die Forscher, dass bereits eine einzelne synonyme Mutation die Struktur der Erbgut-Abschrift mRNA verändert. Dadurch kann die mRNA schlechter lesbar werden und das Protein wird weniger gebildet.
„Es ist ein bisschen wie bei einem Stadtplan: Je nachdem, wie er gefaltet ist, kann man ihn besser oder schlechter lesen. Davon hängt ab, wie schnell man ans Ziel kommt. Der Plan ist der gleiche, aber die Faltung hat Folgen“, erklärt Diederichs.
Eine solche Fehlfaltung der mRNA konnten Bioinformatiker der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg auch am Computer simulieren. „Wir konnten zeigen, dass sich die räumlichen Eigenschaften auch bei eigentlich stillen Mutationen gravierend verändern können“, sagt Prof. Dr. Rolf Backofen vom Institut für Informatik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
„Derartige Veränderungen könnten künftig in der Krebstherapie eine wichtige Rolle spielen, etwa weil entscheidende Proteine stärker oder schwächer gebildet werden. Davor müssen aber die Folgen synonymer Mutationen deutlich besser erforscht werden. Das ist nun dank unserer Online-Datenbank auch für Wissenschaftler möglich, die keine vertieften bioinformatischen Kenntnisse mitbringen“, sagt Diederichs.
Original-Titel der Studie: A pan-cancer analysis of synonymous mutations
DOI: 10.1038/s41467-019-10489-2
Link zur Studie: https://www.nature.com/articles/s41467-019-10489-2
Link zur Datenbank: synmicdb.dkfz.de