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E-Roller, Fahrrad und Co.: Steigende Vielfalt im Straßenverkehr erfordert mehr Aufmerksamkeit
Verkehrsunfallstatistik 2018:
„Tschüss Handy, bin jetzt im Straßenverkehr unterwegs.“ Das sollte sich jeder Verkehrsteilnehmer bewusst machen, bevor er sich in den öffentlichen Verkehrsraum begibt. Denn durch die Ablenkung steigt das Unfallrisiko massiv an und es kommt immer wieder zu schweren Zusammenstößen. Im Straßenverkehr sind aber mehr denn je absolute Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme erforderlich: Die Vielfalt an Verkehrsteilnehmenden hat in den letzten Jahren zugenommen. Aktuell ist mit dem E-Roller eine neue Teilnehmergruppe hinzugekommen.
„Jeder Verkehrsteilnehmer ist für sich und andere Verkehrsteilnehmer verantwortlich. Es kann lebensgefährlich sein, während der Autofahrt oder Straßenüberquerung die Augen auf dem Handy und nicht im Straßenverkehr zu haben“, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) Prof. Dr. Paul Alfred Grützner anlässlich der heute veröffentlichten Verkehrsunfallstatistik für 2018 mit 3.275 Verkehrstoten.
Der Trend gehe eher in die andere Richtung: Unter allen neuen und alten Verkehrsteilnehmern sind sogenannte Smombies. Das sind Menschen, die durch den ständigen Blick auf ihr Smartphone so stark abgelenkt sind, dass sie ihre Umgebung kaum noch wahrnehmen. Zudem werde die gegenwärtige Verkehrsinfrastruktur der neuen Vielfalt auf den Straßen nicht gerecht.
Im Straßenverkehr gibt es immer wieder neue Fortbewegungsmittel. Insbesondere die Anzahl von Elektro-Mobilen (E-Mobile) hat stark zugenommen: Dazu zählen Pedelecs und E-Bikes, aber auch E-Busse und -Pkws. Seit Juni 2019 sind auch E-Scooter auf Deutschlands Straßen und Radwegen unterwegs. Mit ihnen entsteht eine vierte Verkehrsteilnehmergruppe: 1. PKW, LKW, Busse; 2. Fahrrad, E-Bike, Pedelec; 3. Fußgänger inkl. Sehbehinderte, Smombies etc.; 4. E-Scooter.
Allen elektrobetriebenen Fahrzeugen ist gemein: Man hört sie nicht und muss sie daher mit den Augen wahrnehmen können. Insgesamt wird der Verkehr schneller: Allein die E-Roller können Geschwindigkeiten von bis zu 20 km/h erreichen. „Die E-Scooter-Fahrer erweitern den Kreis der ungeschützten Verkehrsteilnehmer neben Fußgängern und Radfahrern. Unfälle zwischen diesen Verkehrsteilnehmern oder der Zusammenstoß mit PKW, LKW oder Bussen haben nicht selten lebensgefährliche Folgen. Das richtige Einkalkulieren der neuen Gruppe von elektrisch betriebenen Fortbewegungsmitteln muss in unserer Infrastruktur, aber auch in der Aufmerksamkeitsbereitschaft der anderen Verkehrsteilnehmer unbedingt stärkere Beachtung finden“, sagt Dr. Christopher Spering, Leiter der DGOU-Sektion Prävention und Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Das schnelle Herannahen von E-Mobilen werde von anderen Verkehrsteilnehmern jedoch oft unterschätzt. Beim E-Scooter kommt hinzu, dass ein Fahrtrichtungswechsel weder durch Blinker noch durch Handzeichen angezeigt werden kann: Beide Hände müssen zum Ausbalancieren am Lenker sein. „Hier darf sich kein Verkehrsteilnehmer mehr eine unaufmerksame Sekunde erlauben durch Handy-Daddeln oder Träumen – sonst sind folgenschwere Zusammenstöße vorprogrammiert“, sagt Spering. Er berichtet über die neuen E-Roller: „In den Notaufnahmen sehen wir schon jetzt schwere Unfälle, bei denen insbesondere Fußgänger oder auch E-Scooter-Fahrer selbst betroffen sind und zum Teil so schwere Verletzungen davon tragen, dass sie notfallmäßig operiert werden müssen.“
Für einen sicheren Verkehr müsste zudem die Verkehrslenkung verbessert werden. Präventionsexperte Spering sagt: „So wie die Möglichkeiten der Verkehrsteilnahme zunehmen, muss auch die Infrastruktur mitwachsen.“ Dazu zähle die bessere Trennung der vier Verkehrsteilnehmergruppen. So müssten beispielsweise das Fahrradwegenetz stark ausgebaut bzw. Radwege verbreitert werden.
Neben neuen Konzepten zur Stadtplanung rät Spering klar zur Eigenverantwortung: „Mit dem Fehler der anderen rechnen! Lieber einmal mehr passiv verhalten, als auf das Vorfahrtsrecht beharren!“ Denn die ungeschützten Verkehrsteilnehmer seien die schwächsten: Sie verlören im Falle eines Zusammenstoßes immer. Er verweist dabei auf den Wortbeitrag eines Jugendlichen, der am Verkehrsunfallpräventionsprojekt P.A.R.T.Y. der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie teilgenommen hat: „Es ist voll uncool, langsam zu fahren, aber es ist mega uncool, nicht mehr zu Hause anzukommen.“
Nicht zuletzt warnen Orthopäden und Unfallchirurgen im Sinne der Verkehrssicherheit vor leichtfertigen verkehrspolitischen Entscheidungen: Denn aktuell sieht ein Entwurf von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vor, den Zugang zum Motorradfahren zu erleichtern. Grützner sagt: „Das Risiko, mit einem Zweirad tödlich zu verunglücken oder sich schwer zu verletzen ist etwa zehn Mal höher als in einem PKW. Im Gegensatz zum PKW gab es beim Unfallgeschehen mit Motorrad in den letzten 20 Jahren keinen nennenswerten Rückgang. Dies sollte bedacht werden, wenn der Gesetzgeber beschließt, die Zulassungen zum Straßenverkehr zu vereinfachen und dafür Abstriche in der Ausbildung der Verkehrsteilnehmer hinnimmt.“
Hintergrund:
3.275 Menschen sind 2018 laut Informationen des Statistischen Bundesamts auf deutschen Straßen ums Leben gekommen. Es gab 396.000 Verletzte. Bei der Versorgung von Verletzten erfassen Deutschlands Unfallchirurgen jedes Jahr durchschnittlich 30.000 Schwerverletzte im TraumaRegister DGU® (TR-DGU): Das sind Menschen mit besonders schweren bzw. lebensgefährlichen Verletzungen – bei rund 50 Prozent davon gehört ein Verkehrsunfall zur Unfallursache. Die TR-DGU-Daten sind Kernstück der nationalen Qualitätssicherung in der Schwerverletztenversorgung. Zudem ermöglicht das TR-DGU valide Detailanalysen: Mit Ergebnissen, die einen Überlebensvorteil dokumentieren, werden Diagnostik und Therapie kontinuierlich verbessert. Nur die zuverlässige und vollständige Erhebung der Daten dieses Registers im staatlichen Auftrag schafft einen Ansatz, die Verkehrssicherheit im aktiven und passiven Bereich zu verbessern und damit die Unfallschwere zu verringern und vermeidbare Todesfälle im Verkehr zu verhindern.
Referenzen:
Statistisches Bundesamt (Destatis): Verkehrsunfallstatistik 2018
www.destatis.de
Weitere Informationen:
http://www.dgou.de
http://www.dgu-online.de