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Unterversorgung in der Geburtshilfe wird durch neues Gesetz verschärft
Wenn nach dem Willen des Bundesgesundheitsministeriums ab 2022 die Hebammenschulen schließen müssen und Hebammen ausschließlich über ein Studium in den Beruf kommen können, ist innerhalb kurzer Zeit ein Zusammenbruch der Geburtshilfe in Deutschland zu befürchten. Mit dieser Warnung haben sich die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG e.V.) und der Berufsverband der Frauenärzte (BVF e.V.) gemeinsam in einem Offenen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages gewandt. „Wir begrüßen ausdrücklich das Studium der Hebammenwissenschaften in Deutschland“, so Prof. Dr. med. Anton Scharl, Präsident der DGGG. „Aber es sollte nicht der einzige Weg in diesen Beruf werden.“
Das Bundesgesundheitsministerium hat einen Gesetzesentwurf zur Reform der Hebammenausbildung vorgelegt, das sogenannte Hebammenreformgesetz, dass den Anspruch erhebt, der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zu entsprechen. Die EU-Richtlinie legt die Inhalte des Studiums der Hebammenwissenschaften fest. Dieser Studiengang wird in der gesamten Europäischen Union anerkannt, so dass Hebammen und Entbindungspfleger mit diesem Examen in allen Ländern der EU arbeiten können. Ausdrücklich legt die Richtlinie aber auch fest, dass es jedem Land freigestellt ist, zusätzlich eigene Aus-bildungswege zu erhalten, und zwar ohne ein verpflichtendes Abitur (Richtlinie 2005/36/EG L255/45, Art. 40.2). Der Gesetzesentwurf ignoriert diese Vorgaben der EU-Richtlinie und formuliert, dass Abitur und Studium in Deutschland ab 2021 verpflichtend sein sollen, um Hebamme oder Entbindungspfleger zu werden. Die Hebammenschulen sollen vollständig geschlossen werden.
„Derzeit entlassen in Deutschland die Hebammenschulen jedes Jahr insgesamt etwa 600-700 fertige Hebammen in den Beruf; 30-40 Prozent von ihnen haben kein Abitur, sondern Mittlere Reife“, erläutert Prof. Dr. med. Anton Scharl. „Aus den 16 Hebammenstudiengängen kommen nochmal etwa 200-300 studierte Hebammen dazu. Bei den Hebammenschulen kommen auf einen Ausbildungsplatz 10-60 Bewerberinnen, in den Studiengängen bleiben viele Plätze leer. Selbst wenn von jetzt auf gleich die Zahl der Studiengänge verdreifacht würde, was organisatorisch gar nicht möglich ist, droht mittelfristig ein Desaster in der Geburtshilfe, wenn tatsächlich nach 2021 die Hebammenschulen keine neuen Bewerberinnen und Bewerber mehr aufnehmen dürfen.“
Im Juni 2019 fand eine Öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages statt. Neben den verschiedenen Hebammenverbänden und Arbeitnehmervertretungen waren auch die Bundesärztekammer, die DGGG und der BVF als Sachverständige eingeladen. „In den Anhörungen darf man als Sachverständiger nur dann sprechen, wenn die Abgeordneten jemanden direkt befragen“, erläutert Prof. Dr. med. Frank Louwen, Frankfurt, Vizepräsident der DGGG. „Aber die Abgeordneten haben weder an den Präsidenten der DGGG noch an die Vorstandsmitglieder des BVF auch nur eine einzige Frage gerichtet, obwohl unsere Stellungnahmen mit unseren dringenden Warnungen vorlagen.“
„Stattdessen wurde zwei Stunden lang fast ausschließlich den Vertreterinnen der Hebammenverbände Raum für ihre Statements gegeben, etwas anderes hat die Abgeordneten überhaupt nicht interessiert“, fasst Dr. med. Christian Albring zusammen, Präsident des BVF. „Niemand hat etwas gegen das Hebammenstudium. Aber in der von der Politik und den Hebammenverbänden derzeit geplanten Form ist das unverantwortlich und wird die Frauen, die in Deutschland künftig Kinder bekommen wollen, und auch ihre Babys unverantwortlich gefährden.“
DGGG und BVF, zusammengefasst unter dem Dach des German Board and College of Obstetrics and Gynecology (GBCOG), haben deshalb ihre dringenden Bedenken und ihre Vorschläge in einem Offenen Brief formuliert und an alle Bundestagsabgeordneten gesandt. „Wenn die Hebammenverbände, das Bundesgesundheitsministerium und der Gesundheitsausschuss des Bundestages sich nicht für die Realität in der Geburtshilfe interessieren, dann müssen wir dafür sorgen, dass wir in der Politik an anderer Stelle gehört werden“, so die Präsidenten der beiden Verbände.