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Entdeckung von neuem Faktor für die Entstehung von kindlichem Lymphdrüsenkrebs
Das Immunsystem ist hochgradig komplex und bis heute nicht im Detail entschlüsselt. Nur das reibungslose Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren garantiert eine zuverlässige und richtige Immunantwort in einem gesunden Körper. Fehlregulierte Immunantworten sind wesentliche Grundursachen für eine Vielzahl von Krankheiten wie Krebs, Autoimmunität und Immundefizienz.
Für eine kürzlich im renommierten Journal Blood veröffentlichte Studie unter der Leitung von Kaan Boztug, Wissenschaftlicher Direktor der St. Anna Kinderkrebsforschung, dem Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases (LBI-RUD), angegliederter Gruppenleiter am CeMM Forschungzentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Associate Professor an der Medizinischen Universität Wien untersuchte ein Team aus internationalen WissenschaftlerInnen vier PatientenInnen aus unabhängigen Familien mit Malignität, Autoimmunität und Immunschwäche. Alle untersuchten PatientenInnen hatten eine Keimbahnmutation im Gen für CD137, die zu einer Dysfunktion des Ko-Rezeptorproteins CD137 führten. Diese Fehlfunktion beeinträchtigte entscheidende Faktoren für die Immunüberwachung, insbesondere für die Abwehr von Virusinfektionen und die Entstehung von Lymphdrüsenkrebs auf der Basis einer Eppstein-Barr-Virus (EBV) Infektion. „Wir haben in dieser Studie somit nicht nur ein neues Tumorprädispositionssyndrom insbesondere für kindliche Lymphome entdeckt, sondern lernen zugleich Grundlegendes über die Funktion von CD137 im Immunsystem“ sagt Kaan Boztug.
Der Krankheitsmechanismus im Detail
Ko-Rezeptoren spielen eine grundlegende Rolle bei der Regulierung und Feinabstimmung der Signalstärke von sogenannten Antigenrezeptoren, mit deren Hilfe Immunzellen Fremdkörper erkennen. Eine fehlerhafte Funktion dieser Immunrezeptoren kann zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen, Autoimmunkrankheiten und Krebs führen. CD137 oder 4-1BB ist ein ko-stimulatorisches Molekül, das häufig auf aktivierten T-Zellen exprimiert wird, um eine gute T-Zell-Funktion zu gewährleisten. Jüngere Studien untersuchen CD137 auch als attraktives Ziel für die Krebsimmuntherapie.
EBV ist ein Herpesvirus, das mehr als 90% aller Menschen infiziert und lebenslang latent im Körper bleibt. Bei Personen mit beeinträchtigter T-Zell-Funktion kann eine EBV-Infektion zu lymphoproliferativen Erkrankungen bis hin zu bösartigen Lymphomen führen. Ko-Erstautorin Marini Thian führt aus: „Für mich als Biologin und PhD Studentin im Labor ist es aufregend zu sehen, wie wir in dieser Studie eine Brücke schlagen konnten von einer tiefreichenden genetischen Analyse bis zum Verständnis der gestörten Immunantwort insbesondere auf EBV Virus Infektion“.
Krankheiten, die durch einen Defekt in nur einem Gen wie z.B. jenem für CD137 hervorgerufen werden, bieten einzigartige Möglichkeiten, die Folgen solcher Fehler für den Gesamt-Organismus zu erforschen. So werden mechanistische Einsichten in die, für eine robuste Immunüberwachung des Wirtes gegen EBV notwendigen, Signalwege ermöglicht.
Zusammenfassend zeigt diese Studie die Schlüsselrolle von CD137 bei der Kontrolle des EBV-Virus durch das Immunsystem. Schafft es der Körper nicht, das Virus unter Kontrolle zu halten, kann dieses Lymphdrüsenkrebs auslösen. Die WissenschaftlerInnen möchten in der Zukunft ihre Erkenntnisse nutzen, um gezielt Therapeutika zu entwickeln oder einzusetzen, die den gefährlichen Krankheitsprozess stoppen können.
Publikation
“CD137 deficiency causes immune dysregulation with predisposition to lymphomagenesis” Ido Somekh*, Marini Thian*, David Medgyesi, Nesrin Gülez, Thomas Magg, Alejandro Gallón Duque, Tali Stauber, Atar Lev, Ferah Genel, Ekrem Unal, Amos J. Simon, Yu Nee Lee, Artem Kalinichenko, Jasmin Dmytrus, Michael J. Kraakman, Ginette Schiby, Meino Rohlfs, Jeffrey M. Jacobson, Erdener Özer, Ömer Akcal, Raffaele Conca, Türkan Patiroglu, Musa Karakukcu, Alper Ozcan, Tala Shahin, Eliana Appella, Megumi Tatematsu, Catalina Martinez-Jaramillo, Ivan K. Chinn, Jordan S. Orange, Claudia Milena Trujillo-Vargas, José Luis Franco, Fabian Hauck, Raz Somech#, Christoph Klein#, and Kaan Boztug#.; veröffentlich in Blood: blood.2019000644; doi: https://doi.org/10.1182/blood.2019000644. (* geteilte ErstautorInnen; # geteilte Letztautoren)
Über Kaan Boztug
Kaan Boztug, geboren in Eregli/Türkei, studierte Medizin in Düsseldorf, Freiburg und London. 2011 kam er als Principal Investigator ans CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW nach Wien und baute dort eine Forschungsgruppe auf. Er ist als Arzt und Professor für Kinder- und Jugendheilkunde an der MedUni Wien und am St. Anna Kinderspital tätig, leitet seit 2014 das Vienna Center for Rare and Undiagnosed Diseases (CeRUD) und ist seit 2016 Direktor des Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases. Seit März 2019 ist er zusätzlich Wissenschaftlicher Direktor der St. Anna Kinderkrebsforschung.
Anhang
pressemeldung_blood_cd137_20191719_00000002.docx