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Haarfollikel der Kopfhaut als Depot für Arzneimittel – auch bei kreisrundem Haarausfall
Dass sich Medikamente über die Haut verabreichen lassen, ist bereits bekannt: In biologisch abbaubare Nanopartikel verpackt, können sie über die Haarfollikel in den Körper eingeschleust werden. Wissenschaftler haben nun erstmals gezeigt, dass dieser Mechanismus auch bei den Kopfhaaren des Menschen funktioniert – und das sogar bei Patienten, die an kreisrundem Haarausfall (Alopezia Areata) leiden. Das könnte die Wirksamkeit einer lokalen Behandlung dieser Erkrankung zukünftig verbessern. Die Arbeit ist ein Kooperationsprojekt von Forschern des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), des Fachbereichs Pharmazie der Universität des Saarlandes und Medizinern des Universitätsklinikums. Publiziert wurde sie im Journal of Investigative Dermatology, der weltweit wichtigsten dermatologischen Fachzeitschrift.
Der „kreisrunde Haarausfall“, von Medizinern als „Alopezia Areata“ bezeichnet, ist ein entzündlich bedingter, reversibler Haarausfall, bei dem kreisrunde kahle Stellen auf dem Kopf entstehen. Rund zwei Prozent der Weltbevölkerung sind von der Erkrankung betroffen. „Über Entzündungen auf der Kopfhaut werden Botenstoffe freigesetzt, die den Haarfollikeln mitteilen, keine Haare mehr zu produzieren“, erläutert Professor Thomas Vogt, Leiter der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum in Homburg. Gemeinsam mit Professor Claus-Michael Lehr vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), und Wissenschaftlern der Fachrichtung Pharmazie forscht er daran, die lokale Behandlung dieser Erkrankung zu verbessern.
Medikamente zur Behandlung des kreisrunden Haarausfalls werden bisher entweder in Tablettenform verabreicht oder großflächig auf der Kopfhaut angewendet. Meist handelt es sich um Cortison-Präparate oder noch stärkere Mittel, die starke Nebenwirkungen hervorrufen können. „Um die Arzneimittelbelastung zu minimieren, wäre es von Vorteil, die Wirkstoffe direkt an ihren Wirkort, nämlich in die Haarfollikel, zu bringen“, sagt Claus-Michael Lehr, der am HIPS die Abteilung „Wirkstoff-Transport“ leitet. Seine Idee ist es, eine solche gezielte „Anlieferung“ mithilfe von biologisch abbaubaren Nanopartikeln zu ermöglichen; diese würden gleichermaßen als Verpackung und Transportvehikel für die Wirkstoffe dienen. Auf diese Weise könnten möglichst viele Wirkstoffe in die Haarfollikel eindringen. Haarfollikel sind längliche Einstülpungen der Kopfhaut, die das Haar verankern und den Haarschaft produzieren. Letzterer ist beim kreisrunden Haarausfall nicht mehr vorhanden, kann aber nach Abklingen der Entzündung neu gebildet werden.
Dass es grundsätzlich möglich ist, Wirkstoffe mithilfe von Nanopartikeln in Haarfollikel einzuschleusen, hat Claus-Michael Lehr gemeinsam mit anderen Forschern bereits in früheren Studien gezeigt – bisher allerdings nur an behaarter Haut, nämlich am menschlichen Unterarm sowie im Laborexperiment an der Haut von Schweineohren. Für den Kopf war der Mechanismus bisher nicht nachgewiesen worden. „Darüber hinaus haben wir uns gefragt, ob Nanopartikel überhaupt in Haarfollikel eindringen können, die vom Haarausfall betroffen sind“, sagt Professor Lehr.
Für ihre Studie führten die Forscher daher nicht nur Versuche an der menschlichen Unterarmhaut durch, sondern auch an der Kopfhaut, wobei unterschiedliche Gruppen einbezogen wurden: gesunde Probanden, kürzlich verstorbene Körperspender sowie Patienten mit kreisrundem Haarausfall. Als Nanopartikel wurden biologisch abbaubare, bio-kompatible Polymere genutzt, die mit einem fluoreszierenden Farbstoff markiert wurden. „Wir konnten zeigen, dass das, was für Unterarme und die Haut des Schweineohrs gilt, auch für das Haupthaar zutrifft – selbst dann, wenn das Haar erkrankt ist und der Haarschaft nicht mehr vorhanden ist“, fasst Claus-Michael Lehr die Ergebnisse zusammen. Mittels dermatologischer Untersuchungen, bei denen die Haut mikroskopisch bis in tiefere Schichten untersucht wird, fanden die Forscher heraus, dass im Haarfollikel ein Wirkstoffdepot angelegt wird, in dem das verkapselte Medikament gut gegen äußere Einflüsse wie Waschen geschützt ist. „Die Nanopartikel lagern sich im oberen Teil der Haarfollikel ab. Wir nehmen an, dass sie das Medikament kontrolliert freisetzen und dass es von dort an den Grund des Haarfollikels diffundiert und von den follikulären Epithelzellen und Immunzellen aufgenommen wird“, erläutert der Leiter der Hautklinik Thomas Vogt.
Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler die Nanopartikel mit Wirkstoffen beladen, da in der aktuellen Arbeit lediglich „Dummys“ benutzt wurden. Dabei solle es darum gehen, den nackten Wirkstoff und das Nano-Medikament miteinander zu vergleichen, sagt Claus-Michael Lehr.
Die Studie ist Teil eines gemeinsamen Projektes von Prof. Dr. Thomas Vogt (Dermatologie, UKS Homburg) und Prof. Dr. Claus-Michael Lehr (Drug Delivery, HIPS, Saarbrücken), das von der Dr. Rolf M. Schwiete Stiftung finanziell gefördert wird. Die Erstautorin Rebekka Christmann und ihre Kollegin Carla Thomas wurden für ihre gemeinsamen Arbeiten an diesem Projekt bereits im November 2018 mit dem „Dr.-Peter-Theiss-Forschungspreis“ der Freunde des Universitätsklinikums ausgezeichnet.
Link zur Originalpublikation: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0022202X19318470
(DOI: https://doi.org/10.1016/j.jid.2019.05.028)