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Früherkennung von Hodenkrebs: Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V. beurteilt IQWiG-Bericht kritisch
Berlin. Kann eine regelmäßige Früherkennungsuntersuchung für Männer ab 16 Jahren zu besseren Behandlungsergebnissen beim Hodenkrebs führen? Diese Frage hatte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Rahmen des Verfahrens „ThemenCheck Medizin“ untersuchen lassen und im Oktober 2019 einen vorläufigen Bericht veröffentlicht. Da die Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) diesen Bericht in Teilen kritisch sieht, hat die Fachgesellschaft die Möglichkeit zur Stellungnahme genutzt und ihre Position in das Stellungnahmeverfahren eingebracht. Leitliniengemäß spricht sich die DGU in Einklang mit dem IQWiG gegen ein allgemeines Screening, anders als der IQWiG-Bericht aber für die Selbstuntersuchung und bei Vorliegen von Risikofaktoren für eine Abklärung aus. Langzeitfolgen der Therapie fortgeschrittener Hodentumorerkrankungen dürften zudem nicht verharmlost werden.
Mit rund 4.100 Neuerkrankungen im Jahr stellt der maligne Keimzelltumor des Hodens (KZT) eine insgesamt seltene Tumorerkrankung mit einer der höchsten Überlebenswahrscheinlichkeiten von 96 Prozent dar. Durchschnittlich erkranken 10,3 von 100.000 Männern; bei Männern zwischen 20 und 44 Jahren ist ein KZT mit einem Anteil von etwa 25 Prozent die häufigste bösartige Tumorerkrankung. Anspruch auf eine jährliche Inspektion und Abtastung der äußeren Geschlechtsorgane im Rahmen der gesetzlichen Krebsfrüherkennung haben Männer in Deutschland jedoch erst ab dem 45. Lebensjahr.
„Grundlage unserer Stellungnahme ist die erste deutsche S3-Leitlinie ‚Diagnostik, Therapie und Nachsorge bei Keimzelltumoren des Hodens’, die von der Deutschen Gesellschaft für Urologie als federführende Fachgesellschaft gemeinsam mit der German Testicular Cancer Study Group der Deutschen Krebsgesellschaft (GTCSG) erarbeitet und im März 2019 publiziert wurde“, sagt Prof. Dr. Sabine Kliesch, DGU-Koordinatorin der Leitlinie und Sprecherin der GTCSG. In Übereinstimmung mit dem IQWiG-Bericht empfiehlt die Leitlinie auf Basis der Kenntnis von Risikofaktoren für die Entstehung von malignen Keimzelltumoren des Hodens und dem Fehlen von Evidenz für den Vorteil einer Früherkennungsuntersuchung kein allgemeines Screening. Im Gegensatz zum IQWiG empfiehlt die Leitlinie aber insbesondere jungen Männern eine regelmäßige Selbstuntersuchung der Hoden, da sie zu einer frühzeitigen Diagnose beitragen kann. Entsprechende Aufklärung verfolgt die DGU mit ihren Materialien zur Themenwoche Hodenkrebs und der Webseite www.hodencheck.de seit Langem.
„Bei Männern mit vorhandenen Risikofaktoren wie einer Vorerkrankung mit einseitigem Hodenkrebs, Hodenhochstand, positiver Familienanamnese und Infertilität sollte laut Leitlinie das Vorliegen eines KTZ abgeklärt werden. Dieser Aspekt muss nach unserer Ansicht in die Aufklärung von Männern und Ärzten einfließen. Der IQWiG-Bericht aber lässt Risikofaktoren für die Hodenkrebsentstehung als integralem Bestandteil einer Risikoprofilabschätzung unberücksichtigt“, kritisiert Prof. Kliesch. Notwendige Aufklärungsbemühungen könnten dadurch unterlaufen werden.
Mit seiner Schlussfolgerung, dass aufgrund der niedrigen Inzidenz und der relativ guten Behandelbarkeit des Hodenkrebses nur ein relativ geringes Nutzenpotenzial zu erwarten sei und deshalb aufwändige, methodisch hochwertige randomisierte Interventionsstudien kaum angemessen erschienen, um die fehlende Evidenz zum Screening auf Hodenkrebs zu generieren, bagatellisiere der IQWiG-Bericht möglicherweise ungewollt die belastende Therapie im fortgeschrittenen Stadium der Hodentumorerkrankung. „Aufgrund des evidenzbasierten gesicherten Wissens um die Langzeit- und Spattoxizitäten der Keimzelltumortherapie im fortgeschrittenen Tumorstadium bei einem jungen Patientenkollektiv, das immerhin über 30 Prozent der Hodenkrebserkrankten nachhaltig lebenslang beeinflusst, erscheint diese Schlussfolgerung voreilig und verharmlosend“, sagt Prof. Sabine Kliesch. Deshalb könne es durchaus sinnvoll sein, Früherkennungsalgorithmen zu suchen, die eine gezielte Früherkennung von Risikopatienten erlauben, und fehlende Evidenz durch hochwertige Studien zu generieren.
„Wir hoffen, dass es aufgrund unserer Eingabe zu einer mündlichen Anhörung kommt und wir im Dezember Gelegenheit zur Diskussion mit dem IQWiG und den Autoren des vorläufigen Berichts von den Universitäten Hall in Tirol und München sowie der Gesundheit Österreich GmbH Wien haben werden“, sagt DGU-Generalsekretär Prof. Dr. Maurice Stephan Michel.