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Gesellschaftlicher Lebensstil als Ursache für Adipositas bei Kindern und Jugendlichen
Neue S3-Leitlinie fordert präventive Maßnahmen
Egal ob Säuglinge, Kleinkinder oder Jugendliche – die Zahl der Minderjährigen, die von Übergewicht oder Adipositas betroffen sind, hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Eine neue S3-Leitlinie zeigt nun: die Ursachen für Adipositas finden sich vor allem im Lebensstil unserer Gesellschaft. Die an der Erstellung der Leitlinie beteiligten Wissenschaftler*innen fordern daher, im Kampf gegen die Pfunde vermehrt auf verhältnispräventive statt auf verhaltenspräventive Maßnahmen zu setzen. Federführend wurde die Leitlinie von Prof. Dr. Martin Wabitsch zusammen mit Dr. Anja Moss geschrieben. Prof. Wabitsch leitet die Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Ulm.
Die evidenzbasierte S3-Leitlinie „Therapie und Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter“ wurde gemeinsam von 40 Expert*innen aus 16 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Berufsverbänden und weiteren Organisationen erarbeitet. Sie zeigt: weder übergewichtigen Kindern und Jugendlichen selbst noch ihren Eltern kann die Schuld an einer Adipositas gegeben werden. Vielmehr führen die sogenannten „adipogenen“ Lebensbedingungen in Konsum- und Wohlstandsgesellschaften zu einem Anstieg an extremem Übergewicht junger Menschen. „Adipositas bei Kindern und Jugendlichen ist das Ergebnis des Lebensstils unserer Gesellschaft und entwickelt sich auf der Basis einer biologischen Anlage“, erklärt Prof. Dr. Martin Wabitsch. „Beides ist durch das Individuum nur begrenzt beeinflussbar. Um Übergewicht in dieser Altersgruppe in Zukunft zu verhindern, müssen Gesellschaft und Politik sich dafür einsetzen, den aktuellen Lebensstil zu ändern. Eine wichtige Maßnahme wäre beispielsweise, den Zuckergehalt in unseren Lebensmitteln – vor allem in Getränken – zu reduzieren.“ Die derzeitigen Maßnahmen gegen Adipositas seien unzureichend und teilweise unpassend, da sie in erster Linie am Verhalten der Betroffenen und nicht an deren Lebensbedingungen ansetzten.
Neben tiefgreifenden Änderungen auf Bevölkerungsebene fordert die Leitlinie außerdem eine Ausweitung des ambulanten Therapieangebots. Hierbei sollten Bewegungs-, Ernährungs- und Verhaltenstherapien kombiniert werden. „Wir empfehlen, junge Patientinnen und Patienten gemeinsam mit ihren Familien ambulant in ihrem gewohnten Umfeld zu betreuen“, sagt Prof. Dr. Martin Wabitsch. „Hierfür ist es aber notwendig, mehr Therapieplätze und Schulungsangebote zu schaffen, die bisher leider fehlen. Um mehr Angebote zu schaffen, sind wir vor allem auf die Unterstützung der Krankenkassen angewiesen.“ Besonders die Schulung von Kindern im Grundschulalter zeige positive Effekte. Für ältere Jugendliche, die unter extremer Adipositas leiden, müssten laut der Leitlinie jedoch neue Therapiekonzepte geschaffen werden, da bei ihnen die Erfolgsrate deutlich niedriger liege.
Eine entscheidende Rolle bei der Früherkennung und Behandlung von Übergewicht in jungen Jahren sprechen die Wissenschaftler*innen außerdem Haus- und Kinderärzt*innen zu. Deshalb sollte das Thema schon in der Ausbildung angehender Ärztinnen und Ärzte einen hohen Stellenwert einnehmen. „Ziel unserer Leitlinie ist es nicht nur, das Bewusstsein für das Gesundheitsproblem Adipositas zu stärken. Wir wollen auch eine orientierende Hilfe für alle im Gesundheitswesen und der Gesundheitspolitik Tätigen geben und Informationen zur Therapie und Prävention der Adipositas bereitstellen“, betont Prof. Dr. Martin Wabitsch.
Die Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Ulm bietet ein intensives, ambulantes Schulungsprogramm für betroffene Kinder und deren Familien an. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.
LINK: Evidenzbasierte (S3-) Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA, AWMF-Nr. 050-002) „Therapie und Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter“