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Infektionen und Resistenzen bekämpfen
Entwicklung neuer Antiinfektiva
Winterzeit ist Grippezeit. Von November bis März hat die Infektionskrankheit auf der Nordhalbkugel Hochsaison, nicht selten mit tödlichem Verlauf. Grippeimpfstoffe können vor der Erkrankung schützen, sie sind aber nicht immer wirksam. Laut Robert-Koch-Institut waren die Vakzinen für das Jahr 2018/2019 nur zu etwa 20 Prozent effektiv. Im Projekt iCAIR® entwickeln Fraunhofer-Forscherinnen und -Forscher gemeinsam mit Partnern neue, dringend benötigte Wirkstoffe gegen Grippe, aber auch gegen andere Infektionskrankheiten, die weltweit auf dem Vormarsch sind. Der Clou: Das Forscherteam am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM kann die antiinfektiven Wirkstoffe an lebenden menschlichen Lungengewebsschnitten testen.
Plötzlich auftretendes hohes Fieber, Frösteln, Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen – all diese Symptome können Anzeichen einer Grippe sein, einer durch das Influenza-Virus verursachten Erkrankung. Grippeimpfstoffe schützen am besten vor der Infektion, sie sind jedoch nicht immer wirksam, da Influenza-Viren innerhalb kürzester Zeit neue Varianten ausbilden, die vom Immunsystem nicht erkannt werden. Auch sind Influenza-Viren bereits teilweise resistent gegen die sogenannten Neuraminidasehemmer – antivirale Wirkstoffe, die zur Behandlung der Atemwegserkrankung eingesetzt werden. Ein weiteres Problem: Grippe macht anfälliger gegenüber bakteriellen Folgeinfektionen. Ist der Patient durch den Virus-Infekt geschwächt, haben andere Krankheitserreger ein leichtes Spiel. Die meisten Todesfälle gehen nicht auf das Virus selbst zurück, sondern auf eine bakterielle Infektion, die sich zu einer Grippe hinzugesellt. Auch hier gilt: Ehemals wirksame Antibiotika werden zunehmend wirkungslos gegen multiresistente Bakterien.
An diesem Punkt setzt das Projekt iCAIR® (Fraunhofer International Consortium for Anti-Infective Research) an, in dem Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer ITEM in Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover und dem Institute for Glycomics der australischen Griffith University neue antiinfektive Wirkstoffe und Therapie-Konzepte entwickeln, insbesondere für das Influenza-Virus, das Parainfluenza-Virus, die Bakterien Pseudomonas aeruginosa und Neisseria meningitidis sowie für den Pilz Aspergillus fumigatus. Der Anspruch des Konsortiums: Neue Wirkstoffe sollen schnellstmöglich vom Labor in die präklinische Phase überführt werden. Denn von der Grundlagenforschung und der Entdeckung neuer Substanzen hin zu deren Weiterentwicklung zu anwendbaren Medikamenten klafft derzeit eine Lücke. »Dieser Bereich wird vernachlässigt, die Pharmaindustrie hat sich aus der risikobehafteten Forschung und Entwicklung weitestgehend zurückgezogen. Hier wird Fraunhofer aktiv und bringt interdisziplinäre Grundlagenforschung mit hochrangiger präklinischer Forschung zusammen«, sagt Dr. Jana Führing, Wissenschaftlerin am Fraunhofer ITEM.
Im Forschungsvorhaben iCAIR® adressieren die Partner die Problematik mit einer eigens etablierten Entwicklungsplattform. Die Forschungsallianz kombiniert ihre Expertise und bündelt ein breites Spektrum an Methoden – von der Identifizierung von Wirkstoffkandidaten über das Wirkstoffdesign und die Wirksamkeitstestung bis hin zur Erzeugung präklinischer Daten und zu toxikologischen Studien.
Mit menschlichen Lungengewebsschnitten Infektion im menschlichen Gewebe untersuchen
Das Fraunhofer ITEM verfügt über spezielle Testsysteme, um Wirkstoffkandidaten auf ihre Wirksamkeit zu prüfen: Die Forscherinnen und Forscher verwenden lebende Lungengewebsschnitte, die aus menschlichen Lungen oder Lungenteilen – etwa nach einer Tumor-Operation – gewonnen wurden. Mit diesen Precision-Cut Lung Slices, kurz PCLS, entwickeln sie Infektionsmodelle mit Bakterien und Viren, um die Vorgänge direkt im menschlichen Lungengewebe untersuchen zu können. So lassen sich Erkenntnisse erzielen, die möglichst genau vorhersagen, was im Menschen tatsächlich passiert. »Mit den PCLS können wir besser verstehen, wie sich Viren und Bakterien im Lungengewebe verhalten und mit unserem Immunsystem interagieren. Außerdem können wir die Wirksamkeit neuer Substanzen prüfen«, so die Biochemikerin. »Beispielsweise gibt es bereits Influenza-Virenstämme, die gegen das Grippemittel Tamiflu Resistenzen zeigen. Unsere Kolleginnen und Kollegen am Institute for Glycomics in Australien entwickeln erfolgreich Wirkstoffe gegen Influenza, die wir hier direkt in den humanen PCLS prüfen.«
Ein erster präklinischer Wirksamkeitsbeweis liegt bereits vor. »Wir haben gezeigt, dass wir die PCLS nutzen können, um die Infektion von menschlichem Lungengewebe mit dem Influenza-Virus nachzustellen. Wir haben vielversprechende Wirkstoffkandidaten unserer australischen iCAIR®-Partner getestet, die die Virusmenge verringern, weil sich das Virus nicht mehr so gut ausbreiten kann«, sagt Führing. Die Wirkstoffkandidaten werden aktuell weiter optimiert. Langfristiges Ziel des iCAIR®-Konsortiums ist es, mit den neuen Methoden der gezielten Wirkstoffentwicklung und -testung einen Paradigmenwechsel in der Forschung für neue Antiinfektiva einzuleiten und seine Forschungs- und Entwicklungsplattform externen Partnern zur Verfügung zu stellen.