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Empfehlungen zur Anwendung von Alemtuzumab nach dem Sicherheitsprüfverfahren der EMA

Nach dem Bekanntwerden schwerer immunvermittelter Nebenwirkungen und infusionsassoziierter Probleme mit Herz und Blutgefäßen einschließlich mehrerer Todesfälle unter dem MS-Therapeutikum Alemtuzumab (Lemtrada®) leitete die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) am 12. April 2019 ein Sicherheitsprüfverfahren ein, das nun mit einer Empfehlung des PRAC beendet wurde. Der Vorstand des KKNMS ordnet die aktuellen Informationen ein.

Alemtuzumab ist ein monoklonaler Antikörper, der seit 2013 für die Behandlung der aktiven schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (RRMS) zugelassen ist. Das Medikament wird in zwei Zyklen mit jeweils fünf bzw. drei Tagen im Abstand von einem Jahr als Infusion verabreicht. Ein dritter und vierter Zyklus sind möglich, falls Krankheitsaktivität nach dem zweiten Zyklus wieder auftritt.

Die aufgetretenen Nebenwirkungen betreffen zwei Phasen der Therapie: zum einen die Zeit während der Infusion und kurz danach, zum anderen die Zeit, in der sich das Immunsystem wieder aufbaut und in der – bis zu vier Jahre – sekundäre Immunphänomene auftreten können. Die zum Teil tödlichen Nebenwirkungen umfassen innerhalb von drei Tagen nach Infusion auftretende, schwerwiegende Herz- und Lungengefäßschäden (einschließlich Lungenblutungen, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Zervikalarteriendissektionen), neue immunvermittelte Beschwerden (wie Autoimmunhepatitis, Hämophagozytische Lymphohistiozytose) sowie schwere Neutropenien.

Neueinstellung auf Alemtuzumab nur noch nach mindestens einem vorangegangenen Immuntherapeutikum

Die EMA schränkt die Indikation nun ein. Nur Patienten, die unter mindestens einem anderen MS-Therapeutikum weiterhin Krankheitsaktivität zeigen und Patienten mit rasch fortschreitender schubförmiger MS (definiert durch zwei oder mehr Schübe mit Behinderungsprogression in einem Jahr und mit einer oder mehr Gadolinium-anreichernden Läsionen in der MRT des Gehirns oder mit einer signifikanten Erhöhung der T2-Läsionen im Vergleich zu einem kürzlich durchgeführten MRT), dürfen mit Alemtuzumab behandelt werden. „Diese Empfehlung finden wir richtig und wichtig. Dennoch ist zu beachten, dass die Nebenwirkungen insgesamt selten aufgetreten sind. Unseres Wissens handelt es sich um etwa 45 Fälle von weltweit bislang 22.000 Behandelten“, so Prof. Dr. Heinz Wiendl, Vorstandsvorsitzender des KKNMS und Direktor der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Münster.
Um Nebenwirkungen, die nach der Behandlung mit Alemtuzumab auftreten können, zu identifizieren und umgehend zu behandeln, sollte die Behandlung mit Alemtuzumab in einem Krankenhaus mit Spezialisten und der Möglichkeit intensivmedizinischer Behandlung durchgeführt werden.
Auch die Kontraindikationen wurden angepasst. Alemtuzumab darf nicht mehr bei Patienten mit bestimmten Herz-, Kreislauf- oder Blutungsstörungen oder bei Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen als der multiplen Sklerose eingesetzt werden.

Was bedeutet das für die Praxis?

Viele Patienten sind sicherlich aufgrund der schwerwiegenden Nebenwirkungen verunsichert, ob sie eine Therapie mit Alemtuzumab beginnen oder fortführen sollen. Mit ihnen gilt es, eine umfassende und genaue Nutzen-Risiko-Analyse vorzunehmen. „Insbesondere muss dabei das Risiko für Herz-, Kreislauf- oder Blutungsstörungen abgeklärt werden und Therapiealternativen vergleichend in Betracht gezogen werden“, so Prof. Dr. Bernhard Hemmer, stellvertretender Vorsitzender des KKNMS und Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Klinikums rechts der Isar der TU München. Mehr denn je muss dabei im Blick behalten werden, dass Alemtuzumab eine irreversible Therapieentscheidung mit regelmäßigen Nachkontrollen von mindestens vier Jahren nach Abschluss der Behandlung bedeutet.

Bislang eher unklar ist, wie mit Patienten umgegangen werden soll, die bereits Alemtuzumab erhalten. Im April 2019 hatte die EMA erklärt, dass Patienten, die bereits mit Alemtuzumab behandelt werden und davon profitieren, die Therapie nach Rücksprache mit ihrem Arzt und unter Beachtung verschiedener körperlicher Symptome, die auf eine schwere Nebenwirkung hindeuten, fortführen. „Ob eine Umstellung auf andere Präparate bereits nach dem ersten Zyklus erfolgen sollte, ist derzeit nicht klar. Das Risiko für das Auftreten sekundärer Autoimmunität besteht bereits nach dem ersten Zyklus und hängt mit diesem wesentlich zusammen. Allerdings bringt jede Infusion das Risiko infusionsassoziierter Reaktionen mit sich. In diese Kategorie zählen die seltenen Dissektionen von Blutgefäßen“, führt Prof. Dr. Heinz Wiendl weiter aus.

Infusionsassoziierte Nebenwirkungen sind bereits Stunden bis Tage nach der Infusion zu erwarten, sekundäre Autoimmunität kann bis zu vier Jahre nach der letzten Infusion auftreten. Daher ist eine umfassende Aufklärung des Patienten zwingend erforderlich.
Sollte sich nach dem zweiten Alemtuzumab-Zyklus erneut Krankheitsaktivität zeigen, das Medikament hat aber die Erkrankung vorher gut stabilisiert, muss im Lichte der neuen Empfehlungen zwischen einer Umstellung sowie einer erneuten Infusion unter sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung mit dem Patienten abgewogen werden. „In Anbetracht der möglichen Nebenwirkungen ist ein Wechsel zu einem anderen Medikament nach erfolgtem zweiten Alemtuzumab-Zyklus zu erwägen, auch wenn Studiendaten zeigen, dass mit weiteren Infusionen prinzipiell noch das Ziel einer permanenten Erkrankungsremission zu erreichen ist“, so Prof. Dr. Heinz Wiendl.

Falls eine Umstellung von Alemtuzumab auf eine andere verlaufsmodifizierende MS-Therapie vorgenommen wird, sollte der Sicherheitsabstand vor Beginn einer neuen Therapie, wie im KKNMS-Qualitätshandbuch empfohlen, wegen der langanhaltenden Wirkungen auf das Immunsystem mindestens 6-12 Monate betragen. Die im Qualitätshandbuch empfohlenen Kontrollen, die aus demselben Grund bis zu vier Jahre nach dem letzten Alemtuzumab-Zyklus durchgeführt werden müssen, sollen in jedem Fall eingehalten werden: Blutbild, Kreatinin + GFR, CRP und Urinstatus müssen monatlich kontrolliert werden, eine klinische Untersuchung und die Überprüfung des TSH-Werts sollten vierteljährlich, ein MRT jährlich erfolgen.
Für weitere Empfehlungen bleibt die geänderte Produktinformation der EMA abzuwarten.

Weitere Informationen:

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