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Hirnerkrankungen mit molekularer Vielfalt
Gemeinsame Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen und des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie
Neue Erkenntnisse über anomale Proteine bei Parkinson und MSA
Göttingen, 4. Dezember 2019. Parkinson und Multisystematrophie (MSA) – beides neurodegenerative Erkrankungen – gehen mit der Ansammlung sogenannter Alpha-Synuclein-Proteine im Gehirn einher. Forschende des DZNE und des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie (MPI-BPC) haben den molekularen Aufbau dieser Protein-Ablagerungen untersucht und sind dabei auf strukturelle Vielfalt gestoßen. An der Studie waren zudem Fachleute aus Südkorea, Australien und Argentinien beteiligt. Die im Wissenschaftsjournal „Nature Communications“ veröffentlichten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Parkinson möglicherweise mit verschiedenen Arten von Protein-Aggregaten zusammenhängen könnte.
Das Protein Alpha-Synuclein kommt im Körper natürlicherweise vor und ist vermutlich für die Signalübertragung zwischen Nervenzellen von Bedeutung. Es tritt sowohl an der Zellmembran auf, als auch gelöst – quasi frei treibend – im Zellinneren. Neben diesen „normalen“ Varianten gibt es jedoch noch weitere, die mit Hirnerkrankungen verknüpft sind. Das ist beispielsweise der Fall bei der Parkinson-Erkrankung und der MSA. Beide Erkrankungen können mit diversen neurologischen Beeinträchtigungen einhergehen, einschließlich Bewegungsstörungen. Bei Parkinson und MSA verkleben Alpha-Synuclein-Moleküle miteinander. Infolgedessen entstehen längliche Aggregate, die sich im Inneren von Nervenzellen und anderen Gehirnzellen niederschlagen. „Diese Ablagerungen tauchen nach und nach in diversen Hirnregionen auf. Sie sind ein typisches Krankheitsmerkmal“, erläutert Prof. Markus Zweckstetter, Forschungsgruppenleiter am DZNE und am MPI-BPC. „Es gibt Hinweise dafür, dass diese Aggregate für die Nervenzellen schädlich sind und die Krankheitsentwicklung vorantreiben.“
Eine Frage der Faltung
Diese Ablagerungen sind ein möglicher Ansatzpunkt für Medikamente. Sie könnten das Zusammenlagern der Alpha-Synuclein-Moleküle unterbinden oder schon bestehende Aggregate auflösen, so die Idee. Um mögliche Andockstellen für Wirkstoffe identifizieren zu können, sind Daten über die Feinstruktur dieser Protein-Ansammlungen erforderlich. Die Frage ist also: Welche Gestalt – auch „Faltung“ genannt – nehmen die Alpha-Synuclein-Moleküle innerhalb der Aggregate an? Informationen dazu gab es bisher nur aus Laborexperimenten. „Bislang hatte man den molekularen Aufbau von Aggregaten untersucht, die sozusagen im Reagenzglas hergestellt wurden. Wir haben uns die Frage gestellt, wie gut diese die Situation beim Patienten widerspiegeln. Deshalb haben wir uns Aggregate angeschaut, die aus Gewebeproben von Patienten generiert wurden“, so Zweckstetter. „Dabei haben wir eng mit internationalen Partnern zusammengearbeitet. Die Gewebeproben stammen aus Australien, die Aggregate wurden in Südkorea hergestellt. In Göttingen haben wir die Struktur-Untersuchungen durchgeführt.“
Aggregate aus Gehirnproben fünf verstorbener Parkinson- und fünf verstorbener MSA-Patienten wurden untersucht. Zum Vergleich stellten die Wissenschaftler verschiedene Varianten von Alpha-Synuclein-Aggregaten künstlich her. Dafür verwendeten sie gängige Verfahren. Mittels Kernspinresonanzspektroskopie und weiterer Methoden haben die Forscher dann die Struktur der verschiedenen Aggregate verglichen.
Strukturelle Unterschiede
„Wir haben festgestellt, dass die aggregierten Proteine aus dem Labor eine andere Struktur hatten, als alle aus Patientenmaterial generierten Aggregate“, kommentiert Dr. Timo Strohäker, Erstautor der Studie, die Befunde. „Zudem unterschieden sich die Proteine der MSA-Patienten von jenen der Parkinson-Patienten. Die Proteine der verschiedenen MSA-Patienten hatten alle eine weitgehend ähnliche Form. Die Proteine der Parkinson-Patienten waren deutlich uneinheitlicher. Vergleicht man die Proteine der verschiedenen Parkinson-Patienten untereinander, dann gibt es eine gewisse strukturelle Vielfalt.“
Grundsätzlich enthalten die Alpha-Synuclein-Proteine sämtlicher Aggregate sogenannte Beta-Faltblatt-Strukturen – was im Einklang steht mit vorherigen Untersuchungen. Das molekulare Rückgrat ist demnach so gebogen, dass die Proteine weitgehend zweidimensional sind und innerhalb der Aggregate schichtweise aneinanderhaften. Die Faltung der Proteine ist allerdings nicht durchgängig, denn jedes enthält auch Abschnitte ohne definierte Struktur. Von Bedeutung ist zudem die Orientierung der Faltblatt-Bereiche. „Es geht darum, wie viel von einem Protein gefaltet ist und auch, wie es gefaltet ist“, sagt Zweckstetter.
Diverse Aggregatformen bei Parkinson
In der Struktur des mit Parkinson verknüpften Alpha-Synucleins gab es zum Teil deutliche Unterscheide zwischen einzelnen Patienten. Dies könnte damit zusammenhängen, dass der Verlauf der Parkinson-Erkrankung von Mensch zu Mensch recht unterschiedlich sein kann. „Die Variabilität von Parkinson hängt möglicherweise mit Unterschieden in der Faltung des aggregierten Alpha-Synucleins zusammen. Das würde der sogenannten ‚one disease-one strain‘-Hypothese widersprechen, also dass Parkinson nur mit einer einzigen, klar definierten Aggregatform einhergeht. Angesichts unserer relativ kleinen Stichprobe von fünf Patienten lässt sich das aber nur vermuten“, so Zweckstetter. „Unsere Ergebnisse belegen jedoch sicherlich, dass Studien mit Gewebeproben von Patienten notwendig sind, um Labor-Experimente sinnvoll zu ergänzen.“
Originalveröffentlichung
Structural heterogeneity of alpha-synuclein fibrils amplified from patient brain extracts
Timo Strohäker et al.
Nature Communications (2019).
DOI: 10.1038/s41467-019-13564-w