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Studie zeigt: Junge Niedrigrisikopatienten mit aggressivem Lymphom benötigen weniger Chemotherapie
Die häufigste Krebserkrankung des lymphatischen Systems ist das sogenannte aggressive B-Zell-Lymphom, das unbehandelt rasch zum Tod führt. Mit einer Immunochemotherapie können hohe Heilungsraten erreicht werden. Viele Patienten leiden jedoch unter den Nebenwirkungen. Einem Team unter der Federführung saarländischer Mediziner ist es gelungen, die Chemotherapie um ein Drittel zu reduzieren – bei gleichem Erfolg. Die Studie wurde nun in der hochrangingen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht.
Eine Krebserkrankung ist für die Patienten bereits Belastung genug, selbst wenn einige Tumorarten inzwischen sehr gut zu behandeln sind und die Patienten häufig überleben. Die Nebenwirkungen einer Chemotherapie können die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränken. So geht es auch Menschen, die am sogenannten aggressiven B-Zell-Lymphom leiden. Dabei handelt es sich um die häufigste Form der Non-Hodgkin-Lymphome. Das Non-Hodgkin-Lymphom zählt zu den zehn häufigsten Krebserkrankungen in Deutschland.. Unbehandelt führt das aggressive Lymphom innerhalb weniger Wochen zum Tod. Es lässt sich allerdings mit Immunochemotherapie sehr gut behandeln und daher können auch hohe Heilungsraten erzielt werden.
Die bisherige Behandlung sieht sechs Zyklen einer Chemotherapie vor, die von ebenfalls sechs Gaben des Antikörpers Rituximab begleitet werden. „Die Chemotherapie sorgt dabei für viele Nebenwirkungen. Die gravierendste dabei ist sicherlich die Polyneuropathie“, erklärt Dr. Viola Pöschel, die als Erstautorin für die Studie verantwortlich ist. Polyneuropathie umschreibt dabei diverse Nervenschädigungen, insbesondere Gefühlsstörungen in Fingern und Zehen, die die Lebensqualität der Patienten dauerhaft stark beeinträchtigen können. „Aber auch die akute Toxizität ist sehr belastend für die Patienten“, berichtet die Leiterin des Studienzentrums für Innere Medizin I, Direktor Prof. Dr. Stephan Stilgenbauer, am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. „Das Immunsystem ist durch die Chemotherapie stark geschwächt. Die Patienten sind sehr anfällig für Infekte und leiden unter Therapie häufig auch unter starker Übelkeit und Erbrechen.“ Jeder Zyklus Chemotherapie weniger ist also ein echter Gewinn für die Patienten, auch was die Lebensqualität betrifft.
„Der Ausgangsgedanke von Prof. Dr. Michael Pfreundschuh war, dass es unter den Niedrigrisikopatienten auch Patienten gibt, die mit der bisherigen Standardtherapie übertherapiert sind“, erläutert Dr. Viola Pöschel. Der Professor für Onkologie, Hämatologie, Klinische Immunologie und Rheumatologie und Direktor die Klinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums war Ideengeber und bis zu seinem Tod 2018 Leiter der FLYER-Studie, die nun am 17. Dezember 2019 abschließend in „The Lancet“ veröffentlicht wurde. Diese akademisch initiierte prospektive randomisierte Studie wurde von der Deutschen Krebshilfe gefördert und es nahmen insgesamt Ärzte aus 138 Zentren in Deutschland, Dänemark, Norwegen, Israel und Italien teil.
Von Dezember 2005 bis Oktober 2016 wurden insgesamt 592 Patienten im Alter von 18-60 Jahren mit geringer Tumorlast einschlossen,. Im Kern ging es um die Frage, ob bei diesen Patienten weniger Chemotherapie-Zyklen ebenso wirksam sind wie die bisher übliche Therapie mit sechs Chemo-Zyklen.
Die Antwort ist eindeutig: Ja – diese Patienten sind mit der bisherigen Standardtherapie übertherapiert, wie Professor Pfreundschuh initial bereits vermutet hatte. Das Ärzteteam hat die Patienten dabei in zwei etwa gleich große Gruppen von knapp 300 Personen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt die klassische Therapie mit sechs Chemo-Zyklen, die andere Gruppe erhielt lediglich vier Chemotherapie-Zyklen. Die Studienergebnisse zeigen, dass bei jüngeren Patienten mit geringer Tumorlast eines aggressiven B-Zell-Lymphoms die Anzahl der Chemotherapiezyklen unter Beibehaltung der hervorragenden Therapiewirksamkeit reduziert werden kann. „Nach drei Jahren haben 96 Prozent der Patienten, die lediglich vier Zyklen Chemotherapie erhalten haben progressionsfrei überlebt – fast alle waren völlig tumorfrei“, erläutert Dr. Viola Pöschel. „Von den Patienten, die mit sechs Zyklen behandelt wurden, waren es 94 Prozent“, so die Medizinerin weiter. Insgesamt lag die 3-Jahres-Überlebensrate bei Patienten, die mit vier Zyklen Chemotherapie behandelt wurden, bei 99 Prozent, mit sechs Zyklen bei 98 Prozent. Also ein insgesamt hervorragendes Therapieergebnis.“
Entscheidend ist, dass die Heilungsraten der Patienten, die weniger Chemotherapie-Zyklen erhalten haben, genauso gut sind wie die der Patienten, die die volle Chemotherapie-Dosis erhalten haben. Dabei hatten sie weniger Nebenwirkungen zu erleiden wie die Patienten, die sechs Chemo-Zyklen bekommen haben.
„Unsere Studie gilt bisher für eine bestimmte Gruppe, und zwar für die Patienten mit geringer Tumorlast und somit sehr guter Prognose im Alter von 18 bis 60 Jahren“, schränkt Dr. Viola Pöschel ein. Es handelt es sich um die bisher größte Studie für dieses Patientenkollektiv weltweit. Eine Studie, die die Verringerung von Chemotherapie für ältere Patienten mit geringer Tumorlast untersucht, wird aktuell deutschlandweit unter der Federführung der Homburger Spezialisten durchgeführt. Die Ergebnisse dieser OPTIMAL-Studie werden weltweit ebenfalls mit Spannung erwartet.
Dr. Viola Pöschel ist sich daher sicher, dass die FLYER-Studie Auswirkungen auf die bisherigen Therapie-Leitlinien dieser Patienten haben wird. Künftig werden sich also höchstwahrscheinlich Ärzte rund um den Globus an den Erkenntnissen der Homburger Spezialisten orientieren – und dafür sorgen, dass die Patienten, die unter dieser bestimmten Krebsart leiden, zumindest in ihrer Lebensqualität nicht mehr so massiv eingeschränkt werden wie bisher.
Viola Pöschel, Gerhard Held, Marita Ziepert et al.: Four versus six cycles of CHOP chemotherapy in combination with six applications of rituximab in patients with aggressive B-cell lymphoma with favourable prognosis (FLYER): a randomised, phase 3, non-inferiority trial. The Lancet, Volume 394, Issue 10216, https://doi.org/10.1016/S0140-6736(19)33008-9.
Die Studie wurde von der Deutschen Krebshilfe finanziert.