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Mit dem eigenen Dicksein leben und umgehen
Studie der Frankfurt UAS untersucht biografische Berichte von Frauen und Männern mit hohem Körpergewicht und zeigt geschlechtsspezifische Unterschiede auf.
„Dick zu sein, ist heutzutage mit einem negativen Stigma verbunden“, erklärt Prof. Dr. Lotte Rose, Professorin für Pädagogik der Kinder- und Jugendarbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS). Menschen mit hohem Körpergewicht würden Disziplinlosigkeit, geringe Belastbarkeit und anderweitige persönliche Schwächen unterstellt. Sie würden gemobbt und ausgegrenzt bis dahin, dass ihnen vorgeworfen wird, hohe Gesundheitskosten zu verursachen. Verschiedene Autorinnen und Autoren sprechen deshalb in Anlehnung an die herrschaftskritischen Begriffe des Rassismus oder Sexismus vom Fatismus in unserer Gesellschaft. Dies meint, dass Menschen mit hohem Körpergewicht soziale Anerkennung verweigert und gesellschaftliche Teilhabe erschwert wird. „Während sehr viel über das ‚Problem Übergewicht‘ und erforderliche Präventionsmaßnahmen öffentlich gesprochen wird, gibt es bislang wenig empirisches Wissen dazu, wie es eigentlich Menschen ergeht, die nicht den propagierten Gewichtsnormen entsprechen“, so Rose. Vor diesem Hintergrund wurde von 2017 bis 2019 an der Frankfurt UAS die Studie „Geschlechterordnungen der Diskriminierung dicker Körper“ durchgeführt, in der Biografien von Frauen und Männern mit hohem Körpergewicht untersucht wurden. Zentrale Fragenstellungen lauteten: Wie bewältigen Frauen und Männer mit hohem Körpergewicht ihr Leben mit einem Stigma? Wie sprechen sie über sich selbst und ihr Leben? Wie können sie überhaupt in legitimer Weise von sich erzählen? Welche Narrative sind dabei charakteristisch? Im besonderen Fokus stand die Frage, ob und wie sich Geschlechterunterschiede in Erzählungen hochgewichtiger Menschen über ihr Leben zeigen.
Als empirisches Datenmaterial standen Berichte zur Verfügung, die von Studierenden im Zeitraum 2013-2017 im Rahmen eines Moduls zur Diskriminierung von Menschen mit hohem Körpergewicht im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit an der Frankfurt UAS verfasst wurden. Grundlage der Berichte waren biografische Interviews, die mit Personen durchgeführt wurden, die (ehemals) hohes Körpergewicht hatten. Insgesamt wurden 124 Berichte untersucht, davon 92 zu Frauen und 32 zu Männern. „Zu den Quellen anzumerken ist, dass die Berichte einer zweifachen biografischen Konstruktion unterlagen: der biografischen Konstruktion der Erzählenden im Interview, die dann nachfolgend von den Interviewenden zu einem biografischen Bericht konstruiert wurde. Bei dieser Vertextlichung wurde von den Studierenden selektiert, verdichtet und gewichtet, sodass ein Dokument entstand, das nicht mehr eins-zu-eins die Konstruktion der Interviewten abbildet, sondern das, was den Studierenden bedeutsam erschien. Die Texte ähneln damit dem Genre journalistischer Porträts“, erläutert Rose.
Spannend ist: Nur in einem Viertel der Berichte kommt das Körpergewicht überhaupt zur Sprache. „Dies hat damit zu tun, dass die Gesprächsführung biografisch-narrativ angelegt war und nicht problemfokussiert. So sollten die Studierenden versuchen, Menschen für ein Interview zu gewinnen ohne das Seminarthema als Begründung anzuführen. Auch der Erzählstimulus, der zu Beginn des Interviews gesetzt wurde, war auf die Darstellung der eigenen Lebensgeschichte ‚nach eigenem Gusto‘ gerichtet und nicht auf das hohe Körpergewicht“, so Rose. In einem Nachfrageteil war es den Studierenden zwar möglich, das Gewicht anzusprechen, dies geschah jedoch selten. „Dass in einer Reihe von biografischen Erzählungen das eigene Körpergewicht nicht thematisiert wird, zeigt, dass das Gewicht, das gesellschaftlich permanent relevant gemacht wird, für die Betroffenen selbst nicht immer diese Relevanz hat und die biografischen Rekonstruktionen um ganz andere Themen kreisen können“, wertet Rose aus.
Weitere Informationen in der Pressemitteilung zur Studie.