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Larotrectinib bei Tumoren mit NTRK-Genfusion: Daten reichen noch nicht für Zusatznutzen-Ableitung
Erste Bewertung eines Krebstyp-übergreifenden Wirkstoffs / Studien ohne Kontrollarme
Mit Larotrectinib wurde im Sommer 2019 erstmals ein Wirkstoff in Europa zugelassen, der bei zahlreichen unterschiedlichen soliden Tumoren eingesetzt werden kann, sofern im Tumorgewebe eine sogenannte NTRK-Genfusion vorliegt. Eine solche Verschmelzung eines neurotrophen Tyrosin-Rezeptor-Kinase-Gens mit einem anderen Gen führt zu einer starken Vermehrung der Tumorzellen, weshalb man den entsprechenden Signalweg selektiv auszuschalten versucht. Zugelassen wurde der neue Inhibitor für Fälle, in denen die Erkrankung lokal fortgeschritten oder metastasiert ist und andere zufriedenstellende Behandlungsoptionen fehlen.
Solche Fälle sind so selten, dass die Zulassungsstudien – darunter eine Studie im sogenannten Basket-Design, also eine Überprüfung ein und derselben Substanz an Betroffenen mit unterschiedlichen Krebserkrankungen – recht klein ausfallen. Zudem hat keine der drei noch laufenden Phase-I- und Phase-II-Studien einen Vergleichsarm, was eine frühe Nutzenbewertung sehr schwer macht, weil ein Zusatznutzen definitionsgemäß nur gegenüber einer anderen Therapie nachgewiesen werden kann. Dennoch hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nun im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) untersucht, ob der Wirkstoff den betroffenen Kindern und Erwachsenen einen zusätzlichen Nutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Best supportive Care) bietet – oder hilfsweise auch gegenüber anderen Therapien. Das Ergebnis: Aus den Studiendaten und -auswertungen, die der Hersteller vorgelegt hat, können keine Aussagen zu einem Zusatznutzen abgeleitet werden. Ein Zusatznutzen ist also nicht belegt.
Hersteller argumentiert mit „dramatischen Effekten“
Obwohl sein Dossier keine Vergleichsdaten von Betroffenen enthält, die mit Best supportive Care behandelt wurden, leitet der Hersteller aus den Studien über alle Tumortypen hinweg einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen ab. Er beruft sich dabei auf mehrere Effekte, die er als so groß („dramatisch“) einordnet, dass sie trotz fehlender Vergleiche eine Aussage ermöglichen sollen: Das mediane Gesamtüberleben der schwerstkranken Betroffenen betrage unter Larotrectinib im letzten Datenschnitt 44,4 Monate; die Zeit bis zur Progression sei bei etwa einem Drittel von ihnen mindestens 5-mal so lang wie unter ihrer vorigen systemischen Therapie; etwa ein Sechstel der Patientinnen und Patienten erreiche eine vollständige Remission; und bei etlichen Kindern habe man eine Amputation der betroffenen Gliedmaßen vermeiden können. Auch die Symptomatik und die gesundheitsbezogene Lebensqualität hätten sich bei vielen signifikant verbessert, und der Wirkstoff zeitige kaum schwere Nebenwirkungen.
Fehlende Vergleiche und Mängel in der Datenauswertung
Studien ohne Vergleichsdaten mögen für eine Zulassung ausnahmsweise ausreichen, wenn es darum geht nachzuweisen, dass die Substanz eine Wirkung auf den Tumor hat. Wenn die Frage aber lautet, ob eine solche Wirkung mit einem patientenrelevanten Nutzen verbunden ist, braucht es explizite Vergleichsdaten. Daher hat das IQWiG auch Studiendaten zu anderen Wirkstoffen für die 15 in den Studien behandelten Krebserkrankungen auszuwerten versucht – Daten, die der Hersteller zum Teil selbst im Dossier angeführt, aber nicht verwertet hat. Diese zusätzlichen Analysen hat das Institut für jede Erkrankung separat durchgeführt, denn sowohl Best supportive Care als auch andere Behandlungen sind auf den jeweiligen Krebs und sein Stadium zugeschnitten: Sie fallen etwa bei einem Weichteilsarkom anders aus als bei Tumoren im Gehirn oder Karzinomen in Lunge, Brust oder Darm.
Im Endpunkt Gesamtüberleben sind die bislang beobachteten Unterschiede zwischen Larotrectinib und anderen Therapien bei keiner der Krebserkrankungen so groß, dass sie nicht auch auf systematischer Verzerrung beruhen könnten. Und zu patientenrelevanten Endpunkten aus den Kategorien Morbidität, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Nebenwirkungen lagen entweder für den neuen Wirkstoff oder für die Vergleichstherapien keine geeigneten oder nach dem Tumortyp differenzierten Daten vor, sodass sich auch hier kein Zusatznutzen ableiten lässt.
Basket-Studien lassen im Prinzip Vergleiche zu
Die Tumortyp-übergreifenden Auswertungen, die der Hersteller vorgelegt hat, weisen darüber hinaus Mängel auf. So waren Analysen nicht präspezifiziert, und Ergebnisse wurden selektiv dargestellt. Damit konnten bedauerlicherweise auch die Angaben zur Vermeidung von Amputationen bei Kindern nicht überprüft werden.
„Vieles deutet auf ein großes Potenzial des Wirkstoffs hin. Aber selbst für eine ‚frühe Nutzenbewertung‘ kann es manchmal zu früh sein – nämlich dann, wenn die vorgelegten Daten keine sinnvollen Vergleiche ermöglichen“, so der stellvertretende IQWiG-Leiter Stefan Lange. „In Zukunft brauchen wir für Nutzenbewertungen Tumortyp-übergreifender Therapien belastbare Vergleichsdaten. Basket-Studien lassen sich auch mit Kontrollgruppen durchführen, die mit der aktuell besten Behandlung versorgt wurden – und das kann durchaus auch Best supportive Care sein. Denn genau wie die Kanadier, die kürzlich die reguläre Kostenerstattung für Larotrectinib abgelehnt haben, oder unsere englischen Kolleginnen und Kollegen, die gerade im British Medical Journal die vielen Herausforderungen bei der Nutzenbewertung dieser Art von Medikamenten diskutieren, sehen wir im Mangel geeigneter Daten das Haupthindernis für eine angemessene Bewertung.“
G BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens
Die Dossierbewertung ist Teil der frühen Nutzenbewertung gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), die der G-BA verantwortet. Nach Publikation der Dossierbewertung führt der G BA ein Stellungnahmeverfahren durch und fasst einen abschließenden Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens. Einen Überblick über die Ergebnisse der Nutzenbewertung des IQWiG gibt folgende Kurzfassung. Auf der vom IQWiG herausgegebenen Website gesundheitsinformation.de finden Sie zudem allgemein verständliche Informationen.