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Sichere Diagnostik für Mutter und Kind
Als eine besonders gefürchtete Komplikation bedroht die Schwangerschaftsvergiftung das Leben von Mutter und Kind. Eine korrekte Diagnose ist derzeit allerdings zeitraubend und ungenau. Das Empa-Spin-off «MOMM Diagnostics» entwickelt einen schnellen und präzisen Test, der frühzeitig Klarheit schafft und gleichzeitig Gesundheitskosten spart.
Übelkeit, geschwollene Hände oder Kurzatmigkeit klingen wie typische Beschwerden, mit denen Schwangere zurechtkommen müssen. Diese wenig spezifischen Symptome können jedoch auch Anzeichen einer Schwangerschaftsvergiftung sein. Die sogenannte Präeklampsie schleicht sich oft langsam und unbemerkt als allgemeines Unwohlsein an, bis Mutter und Kind ganz plötzlich zum medizinischen Notfall werden oder gar in Lebensgefahr schweben. In der Schweiz erkranken rund zwei Prozent aller Schwangeren daran; weltweit sterben jährlich rund 500 000 Kinder und 76 000 Mütter.
So gefährlich das komplexe Krankheitsbild ist, so unklar ist seine Ursache. Veränderungen an den Blutgefässen und bei der Blutdruckregulierung sowie an inneren Organen können zu Frühgeburten, Organversagen und letztlich sogar zum Tod von Mutter und Kind führen. Die Präeklampsie lässt sich zwar im Anfangsstadium mit einfachen Behandlungen wie mit Aspirin und Magnesium ausbremsen. Nur ist es schwierig, Präeklampsie zweifelsfrei und zeitnah zu diagnostizieren – bis jetzt. Denn die Basler Firma «MOMM Diagnostics», ein neues Spin-off der Empa, entwickelt einen einfachen und präzisen Test, der innerhalb von Minuten Gewissheit schafft.
Optimale Behandlung
Derzeit sind zwei körperliche Veränderungen, die bereits Folgen der Schwangerschaftsvergiftung sind, die gängigen Diagnosekriterien für die Erkrankung: Steigt der Blutdruck der Mutter und finden sich bestimmte Eiweisse im Urin, liegt der Verdacht nahe. Das Problem: Die beiden Erscheinungen müssen nicht zwingend für eine Präeklampsie sprechen und sorgen dadurch für überflüssige Spitalaufenthalte oder gar Fehlbehandlungen. Zudem sind Blutkreislauf und Nierenfunktion in der Phase der Krankheit, in der diese normalerweise diagnostiziert wird, bereits angegriffen.
Hier setzt der Test von «MOMM Diagnostics» ein. «Wir analysieren zwei sehr spezifische Biomarker im Blut der Mutter», erklärt Mathias Wipf, CEO und Mitgründer der Firma. Mit einem hochempfindlichen Immunoassay werden die beiden Marker bereits in minimen Konzentrationen von einigen Picogramm pro Milliliter mittels Antikörper aufgespürt. Spezifität und Sensitivität des Tests sind denn auch deutlich höher als bei der bisherigen klinischen Diagnose.
Winziger Biosensor
Das Elegante daran: Der winzige Biosensor für den Nachweis der Marker ist auf einen Papierstreifen gedruckt. Ein Tropfen Blut aus dem Finger der Mutter reicht aus, um die Moleküle mit dem winzigen Sensorsystem zu detektieren. «Prinzipiell ähnelt das System einem Schwangerschaftstest», so der Forscher, der den Biosensor im «Transport at Nanoscale Interfaces»-Labor der Empa entwickelt hat. «Allerdings werden die Ergebnisse elektronisch analysiert.» Und hier zeigt sich ein weiterer Vorteil des neuen Tests: Der Papierstreifen lässt sich mit einem handlichen Lesegerät auswerten. Da Schwangere ohnehin regelmässig zu Vorsorgeuntersuchungen gehen, kann der Test so bereits in der Frauenarztpraxis durchgeführt werden, und ein Transport von Blutproben in ein Zentrallabor entfällt. Das spart wertvolle Zeit – Zeit, in der bereits mit einer optimalen Behandlung begonnen werden kann.
Belastender Fehlalarm
Nicht zu unterschätzen ist ein weiterer Faktor, den die Zeitersparnis bringt: Der werdenden Mutter wird das lange Warten auf ein Laborergebnis erspart, und die Verunsicherung, ob denn die vorbeugende Überweisung ins Spital der Bedrohlichkeit ihres Zustands entspricht, entfällt. Denn auch ein falsch positives Ergebnis der herkömmlichen Untersuchung, das sich erst Tage später als Fehlalarm herausstellt, löst mitunter eine starke Beunruhigung aus, die man der Schwangeren gerne ersparen möchte.
Markus Hodel, Chefarzt Geburtshilfe und Fetomaternale Medizin am Kantonsspital Luzern, ist häufig mit Patientinnen konfrontiert, die an einer Schwangerschaftsvergiftung leiden. Er begrüsst die Entwicklung des neuen MOMM-Tests. «Damit können wir das Risiko der werdenden Mutter schon früh individuell abschätzen», sagt Hodel. Zudem könne so die Überwachung von Hochrisiko-Schwangerschaften und die adäquate Behandlung von Erkrankten optimiert werden. «Da der Test darüber hinaus das Potenzial hat, unnötige Hospitalisierungen zu vermeiden, liesse sich das Gesundheitssystem entlasten», so der Mediziner. Denn bisher wird eine Patientin vorsichtshalber ins Spital eingewiesen, wenn der herkömmliche Test verdächtig ausfällt. Eine Studie unter Beteiligung von Markus Hodel zeigt nun aber, dass ein sensitiver Test, der wie die neue MOMM-Biosensor-Technologie direkt in der Arztpraxis durchgeführt werden kann, ein deutliches Sparpotenzial birgt. Rund zwei Millionen Franken an Gesundheitskosten liessen sich in der Schweiz jährlich sparen, wenn statt des bisherigen Vorgehens ein «Point-of-care»-Test, kurz POC-Test, beim Frauenarzt zum Einsatz käme.
Grosses Marktpotenzial
In den USA ist die Technologie bereits zum Patent angemeldet. Derzeit entwickeln Mathias Wipf und sein Team einen Prototyp; geplant ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Forschungs- und Entwicklungszentrum CSEM in Neuenburg und der Fachhochschule Nordwestschweiz. Unterstützt wird das 2018 gegründete Empa-Spin-off unter anderem durch ein «FET Innovation Launch Pad», ein EU-Förderprogramm für Start-ups im Bereich «Future and Emerging Technologies». Und ab 2020 können neue Investoren bei dem Start-up-Unternehmen einsteigen. Marktreif soll der Biosensor-POC-Test bis 2023 sein. Aufgrund des grossen Marktpotenzials erwartet Wipf zweistellige Millionenumsätze bereits in den ersten fünf Jahren. Der Standort für Forschung, Entwicklung und Produktion soll in Basel damit auf 25 Arbeitsplätze anwachsen.
Derzeit startet MOMM Diagnostics ein von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung (Innosuisse) unterstütztes Projekt gemeinsam mit der Fachhochschule Nordschweiz und dem Schweizer Forschungs- und Entwicklungszentrum CSEM.