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Registerdaten eignen sich – bei entsprechender Qualität – für die erweiterte Nutzenbewertung von Arzneimitteln
Rapid Report zeigt auf, wie versorgungsnahe Daten erhoben und aufbereitet sein sollten.
Insbesondere bei beschleunigten Zulassungen und bei Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen (Orphan Drugs) ist die Datenlage zum Zeitpunkt des Marktzugangs für die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln oft unzureichend. Häufig sind die Studien zu kurz, oder es werden keine patientenrelevanten Endpunkte erhoben. Oft fehlen auch Vergleiche mit dem deutschen Versorgungsstandard. Um solche Evidenzlücken zu schließen, sollen künftig auch versorgungsnahe Daten in die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln einfließen.
Doch wie müssen die Daten erhoben und aufbereitet sein, damit sie vom Gemeinsamen Bundesausschuss (-G-BA) für die Nutzenbewertung verwendet werden können? Um diese Frage zu beantworten, beauftragte der G-BA das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der wissenschaftlichen Ausarbeitung von Konzepten zur Generierung versorgungsnaher Daten und deren Auswertung zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln – insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit einer Quantifizierung des Zusatznutzens. Denn nach dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) kann der G-BA zukünftig bei ausgewählten Arzneimitteln anwendungsbegleitende Datenerhebungen beauftragen, die der Quantifizierung des Zusatznutzens dienen sollen.
„Ausführliche Analysen methodischer Fachliteratur sowie intensive Gespräche mit Registerbetreibern und externen medizinischen Biometrikern haben uns zu der Auffassung geführt, dass es bei qualitativ hochwertigen Patientenregistern möglich ist, Studien auf diese Register aufzusetzen und die erhobenen versorgungsnahen Daten für die erweiterte Nutzenbewertung von Arzneimitteln zu verwenden“, fasst Institutsleiter Jürgen Windeler das wichtigste Ergebnis der IQWiG-Analyse zusammen. Solche Registerstudien könnten sowohl mit als auch ohne Randomisierung durchgeführt werden, entscheidend sei aber in beiden Fällen die hohe Qualität der Daten.
Um die einzelnen Register im Speziellen und die Registerlandschaft in Deutschland im Allgemeinen bei der versorgungsnahen Datenerhebung orientierend zu unterstützen, hat das IQWiG – auf Basis aktueller nationaler und internationaler Empfehlungen – Kriterien für die Datenqualität und die Sicherstellung der Datenqualität für versorgungsnahe Datenerhebungen zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln zusammengetragen, auf das Wesentliche verdichtet und übersichtlich zusammengestellt. Zudem gibt der Rapid Report Registerbetreibern, Auftraggebern für Registerstudien sowie Entscheidungsträgern in Politik und Selbstverwaltung konkrete Handlungsempfehlungen, wie die versorgungsnahe Datenerhebung in Registern für die Nutzenbewertung von Arzneimitteln perspektivisch verwendbar gemacht werden kann.
Versorgungsnahe Datenerhebung in Registern im Fokus
Versorgungsnahe Daten sind solche, die im Rahmen der üblichen Versorgung bei Patientenpopulationen erhoben werden, die ein zu bewertendes Arzneimittel in der zugelassenen Indikation erhalten können. Die Daten können sowohl in Studien mit als auch in Studien ohne Randomisierung erhoben werden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG beschreiben in ihrem Rapid Report, dass der Einsatz versorgungsnaher Daten zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln zwingend einen Vergleich zwischen dem neuen Arzneimittel und der vom G-BA bestimmten Vergleichstherapie erfordert, was die Durchführung vergleichender Studien notwendig macht. Für vergleichende Studien kommen generell vier Instrumente zur Datenerhebung infrage: studienindividuelle Datenerhebungen sowie Datenerhebungen in Registern, in elektronischen Patientenakten und aus Abrechnungsdaten von Krankenkassen.
Die Erhebung und die Aufbereitung versorgungsnaher Daten zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln aus elektronischen Patientenakten und aus Abrechnungsdaten von Krankenkassen ist nach Überzeugung der IQWiG-Autorinnen und Autoren aktuell und auf absehbare Zeit nicht zielführend möglich – vor allem deshalb, weil die Datenqualität in diesen Quellen nicht ausreichend ist und weil wichtige Daten nicht erfasst werden. Diese Probleme lassen sich auch nicht kurz- oder mittelfristig lösen. Die Bewertung krankheitsbezogener Patientenregister fällt demgegenüber positiv aus.
Die Datenqualität der Register hat sich verbessert
Von den nicht primär auf vergleichende Studien ausgerichteten Instrumenten zur Datenerhebung bieten Register am ehesten die Möglichkeit der Anpassung an die notwendige Datenerhebung für vergleichende Studien, heißt es im Report. Dies betrifft sowohl die Spezifizierung der notwendigen Daten als auch die Datenqualität.
Die Frage, ob existierende Patientenregister bereits heute für die anwendungsbegleitende Datenerhebung nach § 35a SGB V geeignet sind, könne so nicht pauschal beantwortet werden, schreiben die Autorinnen und Autoren. Dies hänge vom jeweiligen Register und vor allem auch von den konkreten Fragestellungen ab. In den Gesprächen mit ausgewählten Registerbetreibern zeigte sich aber auch, dass diese zumeist technisch und organisatorisch darauf vorbereitet sind, gegebenenfalls notwendige Erweiterungen des Datensatzes zu implementieren.
„In den vergangenen Jahren wurden Zielsetzung und Dokumentationsumfang von Registern erweitert. Insbesondere die zunehmende Dokumentation klinischer Informationen in Registern, die für die Beschreibung von Patientenpopulationen, Interventionen und Endpunkten für die Nutzenbewertung herangezogen werden können, ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Fortschritt“, sagt Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung. „Für bestimmte Fragestellungen sollten darüber hinaus auch patientenberichtete Endpunkte in den Registern erfasst werden. Dies ist in einigen Registern bereits der Fall.“
Nutzenbewertung benötigt immer faire Vergleiche
Sollen versorgungsnahe Daten zum Zweck der Nutzenbewertung herangezogen werden, ist zu berücksichtigen, dass die Grundlage jeder Aussage über Effekte von Interventionen ein Vergleich ist. Nur auf Basis eines Vergleichs ist die für eine kausale Aussage notwendige Differenzierung zwischen „nach Intervention A“ und „wegen Intervention A“ möglich, betont der IQWiG-Report. Dabei sei ein Vergleich nur aussagefähig, wenn die Startbedingungen fair sind (Strukturgleichheit). Idealerweise wird die Strukturgleichheit durch Randomisierung erreicht, also die zufällige Zuordnung der Studienteilnehmer auf die beiden Studienarme.
Wenn Studien ohne Randomisierung durchgeführt werden, ist die Adjustierung von Störgrößen (Confounder) ein wesentlicher Bestandteil der Auswertung. Dafür müssen die relevanten Confounder – beispielsweise der Schweregrad einer Begleiterkrankung oder auch eine genetische Mutation – ermittelt und in der Datenerhebung erfasst werden. Die Vollständigkeit und Richtigkeit der Daten zu Confoundern ist genauso wichtig wie die bei den anderen Daten. Je nach Fragestellung und bereits verfügbaren Daten kann es daher weniger aufwendig sein, eine Studie mit Randomisierung durchzuführen.
Um versorgungsnahe vergleichende Studien für die Nutzenbewertung verwenden zu können, sollte bereits mit der Studienplanung sichergestellt werden, dass der Ablauf der Studie und die erhobenen Daten die notwendige Qualität haben, um interpretierbare Ergebnisse zu generieren, betonen die Autorinnen und Autoren des Reports. Deshalb haben sie eine übersichtliche Liste mit Kriterien für eine hinreichende Datenqualität zusammengestellt. Diese gliedert sich in vier Kategorien: obligatorische Kriterien zur Sicherstellung der Datenqualität; allgemeine Kriterien, die regelhaft für Registerstudien zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln relevant sind; allgemeine Kriterien, die je nach Fragestellung für Registerstudien zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln relevant sind; und Kriterien, deren Erfüllungsgrad fragestellungsbezogen zu beurteilen ist.
„Im Rahmen der Eignungsprüfung eines spezifischen Registers sollte mithilfe dieser Liste für die jeweilige konkrete Fragestellung evaluiert werden, ob alle notwendigen Daten erhoben werden oder ob im Rahmen einer registerbasierten Studie eventuelle Defizite mit vertretbarem Aufwand korrigiert werden können“, erläutert IQWiG-Ressortleiter Thomas Kaiser.
Ohne Randomisierung nicht mehr als ein Anhaltspunkt für einen Effekt denkbar
Je kleiner die zu erwartenden Unterschiede der Therapieeffekte in einem Vergleich sind, desto wichtiger ist der faire Vergleich im Sinne der oben beschriebenen Strukturgleichheit. Daraus folgern die Studienautorinnen und -autoren, dass aus vergleichenden Studien ohne Randomisierung aus den beobachteten Effekten erst ab einer bestimmten Effektstärke eine Aussage zum Nutzen oder Schaden einer Intervention sinnvoll ist. Sonst kann nicht ausgeschlossen werden, dass der beobachtete Effekt nicht durch die Intervention, sondern durch Confounder verursacht wurde. Da sich ohne Randomisierung auch bei einer guten Studie nicht ausschließen lässt, dass unbekannte Confounder die Ergebnisse beeinflussen, könne daher aus vergleichenden Studien ohne Randomisierung generell auch nicht mehr als ein Anhaltspunkt für einen Effekt abgeleitet werden.
Die Möglichkeit, retrospektive Studiendesigns zu berücksichtigen, hängt nach der Analyse des IQWiG davon ab, ob die verfügbaren Datenquellen die notwendigen Daten in der erforderlichen Qualität bereits enthalten. Vergleiche eines neuen Arzneimittels mit historischen Kontrollen erscheinen demnach nur dann realistisch, wenn für das neue Arzneimittel und die historische Kontrolle dieselbe Datenquelle genutzt wird (zum Beispiel ein krankheitsbezogenes klinisches Register).
Registerbasierte randomisierte Studien als Option
Generell versprechen versorgungsnahe vergleichende Studien mit Randomisierung immer eine höhere Aussagekraft als solche ohne Randomisierung. Sie bleiben der Goldstandard, weil eine Quantifizierung des Zusatznutzens hier zuverlässiger möglich ist. Insbesondere nach der Zulassung eines Arzneimittels können versorgungsnahe vergleichende Studien mit Randomisierung – abhängig von der bestehenden Fragestellung – auch mit einer eingeschränkten Datenerhebung in „large simple trials“ durchgeführt werden, betonen die IQWiG-Autorinnen und -Autoren. Eine Durchführung der Studie innerhalb eines Registers habe dabei ein zusätzliches Potenzial, die Studien zu beschleunigen und weniger aufwendig zu gestalten (registerbasierte vergleichende Studien mit Randomisierung).
„Die Generierung versorgungsnaher Daten und deren Auswertung zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln ist absehbar möglich – allerdings vorerst neben studienindividuellen Datenerhebungen nur über Datenerhebungen in Registern“, resümiert Jürgen Windeler, Leiter des IQWiG. „Wir haben aufgeschrieben, welche Daten dafür in welcher Qualität in den Registern abrufbar sein müssen. Die Registerbetreiber zeigten sich in den Gesprächen mit uns sehr aufgeschlossen, sodass ich davon ausgehe, dass schon bald erste Daten aus hochwertigen Registern in Nutzenbewertungen von Arzneimitteln einfließen können.“ In diesem Zusammenhang nimmt Windeler auch die Politik in die Pflicht: „Die Rahmenbedingungen für Qualitätsregister könnten besser sein. Dies betrifft sowohl die Finanzierung als auch die Tatsache, dass es in den Ländern sich unterscheidende Anforderungen an den Datenschutz gibt.“
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Der G-BA beauftragte das IQWiG am 2. Mai 2019 mit der wissenschaftlichen Ausarbeitung von Konzepten zur Generierung versorgungsnaher Daten und deren Auswertung zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Laut Beauftragung sollte der Bericht in einem beschleunigten Verfahren als sogenannter Rapid Report erstellt werden. Zwischenprodukte wurden daher nicht veröffentlicht und nicht zur Anhörung gestellt. Der vorliegende Rapid Report wurde am 10. Januar 2020 an den Auftraggeber versandt.