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Digitale Technik zur Beurteilung der Krankheitslast

Uni Kiel und UKSH sind Partner im neuen 42-Millionen EU-Projekt IDEA-FAST

Viele chronische Erkrankungen bringen Beschwerden mit sich, die nicht anhand objektiver Messwerte beziffert werden können. Für Betroffene sind sie aber oft ebenso belastend wie die klassischen Krankheitssymptome. Zu diesen belastenden Begleitsymptomen zählen Schlafstörungen und Fatigue, eine quälende Form von Müdigkeit und Antriebslosigkeit. In klinischen Studien werden diese Krankheitsfolgen bei der Beurteilung des Therapieerfolgs nur am Rande berücksichtigt. Der Grund: Es fehlen praktikable Methoden, um sie zuverlässig und objektiv messen zu können. Diese diagnostische Lücke nimmt sich das neue europäische Forschungsprojekt IDEA-FAST („Identify Digital Endpoints to Assess FAtigue, Sleep and acTivities of daily living“) vor.

Ziel ist es, digitale Endpunkte zu identifizieren, mit denen Fatigue, Schlaf und Aktivitäten des täglichen Lebens bei verschiedenen neurodegenerativen und entzündlichen Erkrankungen beurteilt werden können. Hierfür werden verschiedene tragbare Sensoren getestet, die kontinuierlich Daten im Alltag sammeln. „Wir glauben, dass es wesentlich relevanter ist, die Symptomatik im häuslichen Umfeld zu messen als in der Klinik oder in der Arztpraxis“, erklärt der Kieler Neurologe Professor Walter Maetzler, der an der Koordination des europäischen Großprojekts leitend beteiligt ist. Diese Informationen seien erforderlich, um die tatsächliche Krankheitslast und den Erfolg von Therapien zu beurteilen.

Belastende Folgen chronischer Krankheiten

Im Fokus des Projekts stehen folgende Krankheiten: Idiopathisches Parkinsonsyndrom, Huntington-Krankheit, rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes, primäres Sjögren-Syndrom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa). „Interessant an dem Projekt ist auch, dass Symptome wie Erschöpfung und Schlafstörungen über neurologische und internistische Erkrankungen hinweg beobachtet werden“, betont Maetzler. „Wir stellen die Frage, ob das Symptom Fatigue bei den verschiedenen Erkrankungen technisch ähnlich gemessen werden kann.“

Fatigue und Schlafstörungen sind weit verbreitete und beeinträchtigende Symptome bei neurodegenerativen und chronisch entzündlichen Krankheiten. Sie wirken sich auf die täglichen Aktivitäten von Betroffenen aus, sind Hauptfaktoren für eine verminderte Lebensqualität und erhöhen die Krankheitskosten. In klinischen Studien werden diese Symptome bisher allerdings nicht zur Bewertung der Wirkung von Therapien herangezogen, da es keine zuverlässigen Messgrößen hierfür gibt. Die aktuellen fragebogenbasierten Ansätze sind oft ungenau und stark tagesformabhängig und daher als Endpunkte für klinische Studien nicht gut geeignet.

Tragbare Sensoren zur kontinuierlichen Messung

Eine neue Option, um Fatigue, tägliche Aktivitäten und Schlafstörungen zu messen, bieten tragbaren Sensoren etwa in Smartwatches, Fitnessarmbändern und dergleichen. Auch die Nachtschlafaktivität des Gehirns lässt sich mit digitaler Technik in einer Art Stirnband erfassen. Welche Sensoren tatsächlich geeignet sind, die belastende Symptomatik abzubilden, soll in der ersten Projektphase, der Pilotstudie, getestet werden. „Es wird wahrscheinlich eine Kombination aus verschiedenen Informationen sein, die wir zusammentragen“, erklärt Dr. Kirsten Emmert aus der Arbeitsgruppe von Maetzler, die zentral in die Umsetzung des Projekts eingebunden ist. Zum Beispiel könne es sinnvoll sein, Informationen zur Tagesaktivität und Gangqualität mit Hirnstromableitungen in der Nacht zu kombinieren. Basierend auf der Weiterentwicklung von tragbaren digitalen Technologien will IDEA-FAST neue digitale Endpunkte für Fatigue, Schlafstörungen und Einschränkungen bei täglichen Aktivitäten identifizieren. Ziel ist es, Ausmaß und Folgen dieser Symptome in der realen Welt objektiv, empfindlich und zuverlässig zu messen. Solche digitalen Endpunkte können die Effizienz klinischer Studien verbessern und den Zeit- und Kostenaufwand für die Einführung neuer Therapien reduzieren.

An die Pilotstudie schließt sich eine große Längsschnittstudie an, in der die Ergebnisse für die vielversprechendsten digitalen Endpunkte validiert werden sollen. 2.000 Patientinnen und Patienten sollen in diese Studie eingeschlossen werden. Hierfür werden in Kiel 150 Parkinsonkranke in der Neurologie und 100 Personen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in Zusammenarbeit mit dem Exzellenzzentrum Entzündungsmedizin rekrutiert. Bei der Planung der Studien werden einerseits die Empfehlungen der europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) berücksichtigt, andererseits ist durch Beteiligung von Patientenorganisationen auch die Perspektive der Betroffenen vertreten.

Über IDEA-FAST

Beteiligt an dem Konsortium IDEA-FAST sind 46 Zentren aus 14 europäischen Ländern, darunter Pharmaunternehmen, akademische und gemeinnützige Institutionen, kleine und mittlere Unternehmen sowie Patientenorganisationen. Kieler Projektpartner sind die Klinik für Neurologie, die Klinik für Innere Medizin I (Prof. Stefan Schreiber) und das Institut für Allgemeinmedizin (Prof. Hanna Kaduszkiewicz) am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, und die Medizinische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).

Das Projekt hat eine Laufzeit von 66 Monaten und wird von der Innovative Medicines Initiative 2 Joint Undertaking (JU) im Rahmen des Grant Agreements Nr. 853981 mit insgesamt 42 Millionen Euro finanziert. Das gemeinsame Projekt erhält Unterstützung vom Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union sowie von der Europäischen Vereinigung der pharmazeutischen Industrie und ihrer Verbände (EFPIA) und der Parkinson’s Disease Society of the United Kingdom LBG. Akademische Co-Leiter sind die University of Newcastle, Großbritannien, und das UKSH in Kiel. Industrielle Co-Leiter sind Janssen Pharmaceuticals NV und Takeda Pharmaceuticals International.

Weitere Informationen: www.idea-fast.eu

Über IMI

Die Innovative Medicines Initiative (IMI) ist Europas größte öffentlich-private Initiative mit dem Ziel, die Entwicklung besserer und sichererer Medikamente für Patientinnen und Patienten zu beschleunigen. Die Initiative unterstützt gemeinschaftliche Forschungsprojekte und baut Netzwerke von industriellen und akademischen Experten auf, um die pharmazeutische Innovation in Europa zu fördern. Sie ist ein gemeinsames Unternehmen der Europäischen Kommission und der Europäischen Vereinigung der pharmazeutischen Industrie und ihrer Verbände (EFPIA).

Weitere Informationen: www.imi.europa.eu und www.efpia.eu