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Transparente menschliche Organe ermöglichen dreidimensionale Kartierung auf Zellebene
Erstmals gelang es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, intakte menschliche Organe durchsichtig zu machen. Mittels mikroskopischer Bildgebung konnten sie die zugrundeliegenden komplexen Strukturen der durchsichtigen Organe auf zellulärer Ebene sichtbar machen. Solche strukturellen Kartierungen von Organen bergen das Potenzial, künftig als Vorlage für 3D-Bioprinting-Technologien zum Einsatz zu kommen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um in Zukunft künstliche Alternativen als Ersatz für benötige Spenderorgane erzeugen zu können. Dies sind die Ergebnisse einer Zusammenarbeit zwischen dem Helmholtz Zentrum München, der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und der Technischen Universität München (TUM).
Die Entschlüsselung der strukturellen Komplexität menschlicher Organe war schon immer eine große Herausforderung. Denn es fehlten Technologien, die Organstrukturen auf zellulärer Ebene abbilden können. Fortschritte im Bereich des sogenannten Tissue Clearing ermöglichten es, erste 3D-Bilder transparenter Organe von Mäusen auf Zellebene zu erzeugen. Diese Methode konnte jedoch nicht auf den Menschen übertragen werden.
„Wir mussten einen völlig neuen Weg einschlagen“
Menschliche Organe haben eine besonders steife Struktur. Dies liegt daran, dass das Gewebe in den Jahren und Jahrzehnten des Wachstums unlösliche Moleküle wie Collagen anhäuft. Herkömmliche Reinigungsmittel (Detergentien) können daher zwar Organe von Mäusen durchsichtig machen, von Menschen, insbesondere Erwachsenen, aber nicht. „Wir mussten einen völlig neuen Weg einschlagen und ganz von vorne anfangen, um eine neue Chemikalie zu finden, die auch menschliche Organe transparent machen kann“, sagt Shan Zhao, Doktorandin am Helmholtz Zentrum München und Erstautorin der Studie. Nach aufwändigen Versuchen fand das Team dann heraus, dass das Detergens CHAPS in den steifen menschlichen Organen kleine Löcher erzeugt. Dadurch konnten zusätzliche Lösungen tief in die zentimeterdicken Organe eindringen und diese in transparente Strukturen umwandeln.
Nachdem die menschlichen Organe, die post mortem vom Labor von Prof. Ingo Bechmann der Universität Leipzig bereitgestellt wurden, transparent gemacht worden waren, mussten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusätzliche Herausforderungen bewältigen: Die Bildgebung der Organe und die Auswertung der dabei entstehenden Datenmassen. Deshalb entwickelten sie zunächst gemeinsam mit der Firma Miltenyi Biotec ein neues Laser-Scanning-Mikroskop mit einer besonders großen Aufnahmekapazität namens „Ultramicroscope Blaze“. Mit diesem Mikroskop sind Aufnahmen von gesamten menschlichen Organen bis hin zur Größe einer Niere möglich. Anschließend entwickelte das Team zusammen mit Prof. Bjoern Menze von der TUM Deep-Learning-Algorithmen, um Abermillionen von Zellen in 3D analysieren zu können.
Diese Technologie fassten die Forschenden unter dem Namen SHANEL (Small-micelle-mediated Human orgAN Efficient clearing and Labeling) zusammen. „SHANEL könnte sich in naher Zukunft zu einer Schlüsseltechnologie für die Kartierung intakter menschlicher Organe entwickeln. Damit könnten wir sehr schnell viel besser verstehen, wie sich Organe wie unser Gehirn entwickeln und wie sie im gesunden und erkrankten Zustand funktionieren“, erklärt Dr. Ali Ertürk, Direktor des Instituts für Tissue Engineering und Regenerative Medizin am Helmholtz Zentrum München sowie Principal Investigator am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung am Klinikum der LMU.
Finales Ziel: 3D-Bioprinting künstlicher Organe
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten bereits dran, Technologien für den Druck von Organen – 3D-Bioprinting – zu entwickeln. Zelluläre dreidimensionale Karten menschlicher Organe könnten künftig als Vorlage für neue Organe aus solchen 3D-Biodruckern dienen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten Ertürk und sein Team derzeit an der Kartierung der wichtigsten menschlichen Organe, beginnend mit der Bauchspeicheldrüse, dem Herzen und der Niere.
„Es gibt einen enormen Mangel an Spenderorganen für Hunderttausende Menschen“, sagt Ertürk. „Die Wartezeiten für Ersatzorgane sind sehr lang und die Transplantationskosten hoch. Mit dem detaillierten Wissen über die Zellstruktur menschlicher Organe kommen wir der künstlichen Herstellung funktionsfähiger Organe on demand einen wichtigen Schritt näher.“
Die langfristige Vision
Man entnimmt sogenannte pluripotente Stammzellen aus der Haut eines Patienten und programmiert sie um zum Beispiel zu Nieren- oder Herzzellen. Sie werden vermehrt. Zusammen mit einem Gerüst aus Proteinen kommen sie in den 3D-Drucker. Die Organe wurden zuvor im Rechner designt. „Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren die ersten Organe drucken können“, sagt Ali Ertürk, „und dass klinische Studien in 20 Jahren beginnen können.“
Originalpublikation
S. Zhao et al. 2020: Cellular and Molecular Probing of Intact Human Organs. Cell:
https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(20)30111-2