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Wie unser Gehirn auf Unterschiede fokussiert
Studie der Universität Bonn liefert neue Details zu einem wichtigen Verarbeitungs-Mechanismus
Wie kommt es, dass wir uns in unserem Stadtviertel zurechtfinden, obwohl sich die Straßen doch so verflixt ähnlich sehen? Forscher der Universität Bonn haben neue Einblicke in einen Mechanismus gewonnen, der bei dieser Fähigkeit eine wesentliche Rolle spielen dürfte. Besonders interessant: Er scheint nur dann gut zu funktionieren, wenn unser Gehirn in einem besonderen Takt schwingt. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „eLife“ erschienen.
Wenn man die Unterschiede zwischen zwei Fotos finden möchte, dann kann man dazu mit einer Software das eine von dem anderen Bild abziehen. Gleiche Bereiche sind danach schwarz, und nur Regionen, die sich zwischen den Aufnahmen verändert haben, treten hervor. Auch unser Gehirn nutzt ausgefeilte Methoden der Signalverarbeitung, um kleine Diskrepanzen deutlicher herauszuarbeiten – zum Beispiel zwischen der Erinnerung eines Straßenzugs und den Häuserreihen, die wir gerade vor uns sehen.
Eine wichtige Rolle scheint dabei eine bestimmte Hirnstruktur zu spielen, der Gyrus dentatus. Er sitzt im Hippocampus, einer Region, die bei Merk- und Erinnerungsprozessen eine wichtige Rolle spielt. Ohne ihn haben Mäuse große Schwierigkeiten, kleine Veränderungen zu erkennen. Hierbei zentral ist vermutlich ein Mechanismus, der sich „Feedback Inhibition“ nennt. Dabei werden Neuronen umso stärker gehemmt, je aktiver sie oder ihre Nachbarn zuvor waren. Dieser Verarbeitungsschritt verstärkt gewissermaßen die Diskrepanzen zwischen zwei Reizmustern – sie werden unähnlicher. Auch Muster, die sich stark gleichen, können so sehr genau voneinander getrennt werden.
Gyrus dentatus im Computer simuliert
So lautet zumindest die theoretische Annahme. „Wir haben nun erstmals auf Zellebene überprüft, ob sie wirklich plausibel ist“, erklärt Dr. Oliver Braganza vom Life & Brain Center der Universität Bonn. Dazu haben die Wissenschaftler bestimmte Zellen im Gyrus dentatus von Mäusen stimuliert und dann ermittelt, inwiefern andere Neuronen dadurch gehemmt wurden. Mit Hilfe zahlreicher Messungen konnten sie so feststellen, wo das inhibierende Signal ankommt, wann die Hemmung einsetzt und wie lange sie wirkt.
„Mit diesen Werten haben wir dann eine Computersimulation gefüttert“, sagt Braganza. „In ihr konnten wir zeigen, ob dieser Mechanismus tatsächlich zu einer besseren Trennung ähnlicher Reizmuster führt und wenn ja, unter welchen Bedingungen.“ Tatsächlich ergab die Analyse, dass der Gyrus dentatus von Mäusen Unterschiede im Reizmuster verstärken kann. Wirklich effektiv funktionierte das in der Simulation aber nur, wenn das Gehirn im passenden Takt zwischen Aktivität und Inaktivität hin- und herpendelte.
Es ist schon lange bekannt, dass sich Nervenzellen zu manchen Zeiten viel leichter zum Feuern anregen lassen als zu anderen. Diese Aktivitäts-Schwankungen unterliegen einem regelmäßigen Rhythmus. Seine Frequenz – also die Geschwindigkeit der Schwankungen – kann sich aber je nach Anforderung ändern. So schwingt unser Gehirn während des traumlosen Schlafs in einem langsameren Takt als tagsüber.
Auf den Rhythmus kommt es an
Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass das Mäuse-Gehirn beim Lernen in den so genannten Gamma-Rhythmus übergeht. „In unserer Simulation sehen wir nun, dass gerade bei dieser Frequenz die Musterseparation besonders gut funktioniert“, betont der Leiter der Arbeitsgruppe, Prof. Dr. Heinz Beck, der auch am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen forscht. Grund: Beim Gamma-Rhythmus scheint der zeitliche Verlauf der Inhibition besonders gut Aktivitätsmuster zu beeinflussen. Anders ausgedrückt: Die durch ein erstes Muster ausgelöste Hemmung entfaltet exakt dann ihre volle Wirkung, wenn ein zweites Muster im Gyrus dentatus am aktivsten ist.
Besonders interessant findet Braganza in diesem Zusammenhang noch einen weiteren Punkt: „Erkrankungen wie Alzheimer, Schizophrenie oder Temporallappen-Epilepsie gehen in der Regel mit einem geänderten Hirnrhythmus einher“, sagt er. „Vielleicht ist das eine Erklärung für die Erinnerungsdefizite, die wir bei diesen drei Störungen so häufig beobachten.“ In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler nun untersuchen, ob sich die Vorhersage aus dem Computermodell auch im Verhalten von Mäusen bestätigt.
Publikation: Oliver Braganza, Daniel Müller-Komorowska, Tony Kelly und Heinz Beck: Quantitative properties of a feedback circuit predict frequency-dependent pattern separation; eLife; DOI: 10.1101/813188