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Interventionelle Therapie ist bei Schlaganfall trotz blutverdünnender Therapie möglich
Bei Schlaganfällen, die durch einen Gefäßverschluss der hirnversorgenden Gefäße durch ein Blutgerinnsel (Thrombus) entstehen, muss das Gerinnsel so bald wie möglich durch eine medikamentöse Auflösung (Lyse) oder einen Gefäßkatheter-Eingriff (Thrombektomie) entfernt werden. Nur so kann das Absterben von Gehirnzellen verhindert werden. Manche Patienten stehen vor dem Schlaganfall jedoch wegen einer anderen Erkrankung unter einer gerinnungshemmenden Therapie, die im Prinzip das Blutungsrisiko bei medizinischen Eingriffen erhöhen kann.
Eine Studie [1] zeigte nun, dass das Blutungsrisiko nach Thrombektomie nicht bei allen gerinnungshemmenden Substanzklassen gleichermaßen erhöht ist.
Die Ursache eines Schlaganfalls ist oft ein Blutgerinnsel (Thrombus), welches eine Arterie verstopft, die das Gehirn mit Blut versorgt. In der Folge kommt es zu einer Minderdurchblutung von Hirngewebe und zur Unterversorgung mit Sauerstoff. Bereits nach kurzer Zeit entstehen dadurch irreparable Schäden. Wichtigstes Ziel der Schlaganfallbehandlung ist daher, die Blutversorgung so schnell wie möglich wiederherzustellen. Dies kann entweder durch eine medikamentöse Thrombusauflösung (intravenöse Thrombolyse) oder – in spezialisierten Zentren – durch einen Gefäßkathetereingriff (interventionelle Thrombektomie) mit Entfernung des Thrombus erfolgen.
Als therapiespezifische Komplikation der Thrombolyse und Thrombektomie kann es zu Einblutungen in das Hirngewebe kommen, die insgesamt zwar selten auftreten, aber nicht ungefährlich sind. Das Blutungsrisiko steigt an, wenn der Patient unter einer blutgerinnungshemmenden Therapie („Antikoagulation“ – umgangssprachlich Blutverdünnung) steht. „Eine Antikoagulation ist jedoch medizinisch oft notwendig, beispielsweise bei Herzvorhofflimmern, Thrombosen oder Lungenembolien, zur Prophylaxe neuer thrombotischer oder embolischer Ereignisse“, erklärt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Bielefeld, Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG).
Eine in der renommierten Zeitschrift „Stroke“ publizierte Studie [1] untersuchte die Sicherheit der interventionellen Thrombektomie bei antikoagulierten Patienten. Die Gerinnungshemmung erfolgte bei ihnen entweder mit sogenannten Vitamin-K-Antagonisten (VKA, Deutschland z.B. Marcumar) oder mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK). Die multizentrische Beobachtungsstudie analysierte den Zusammenhang zwischen symptomatischen Hirnblutungen (intrakraniellen Hämorrhagien) bzw. der 90-Tages-Mortalität und der Einnahme von VKA oder DOAK vor der Thrombektomie gegenüber nicht-antikoagulierten Patienten. Das mittlere Patientenalter lag bei 74 (62-82) Jahren. Eine VKA-Therapie hatten 222, DOAK erhielten 98 Patienten; als Vergleichsgruppe dienten 1.612 Patienten ohne Antikoagulation. Im Ergebnis ging die VKA-Behandlung mit einem 2,5-fachen Risikoanstieg (OR 2,55) für postinterventionelle Hirnblutungen sowie 1,6-fachem Anstieg (OR 1,64) der Mortalität einher. Eine DOAK-Therapie zeigte gegenüber der Vergleichsgruppe keine statistisch signifikanten Anstiege der Blutungskomplikationen (OR 0,98 und Mortalität OR 1,35). Die von den Studienautoren parallel durchgeführte Metaanalyse von 15 weiteren, vergleichbaren Kohortenstudien mit insgesamt 7.462 Patienten (855 VKA- und 318 DOAk-Patienten sowie 6.289 Kontrollen) zeigte ähnliche Ergebnisse mit einer höheren Rate an Hirnblutungen unter VKA (OR 1,62), nicht jedoch unter DOAK (OR 1,03). Die Studienautoren empfehlen abschließend, dass bei einer erforderlichen Antikoagulation DOAKs bevorzugt werden sollten.
„Eine Antikoagulation gilt bei Risikopatienten, so beispielsweise bei Herzvorhofflimmern oder nach Lungenembolie heute als Goldstandard und kann lebensrettend sein“, so Prof. Schäbitz. „Man sollte nicht auf eine medizinisch notwendige Antikoagulation verzichten, nur weil vielleicht irgendwann eine Thrombektomie anstehen könnte. Vor Beginn einer gerinnungshemmenden Therapie müssen aber alle Vor- und Nachteile abgewogen werden – gleiches gilt für die unterschiedlichen infrage kommenden Substanzen.“
DOAK bieten neben dem offensichtlich geringeren Blutungsrisiko weitere Vorteile gegenüber den VKA: Die Wirkung beginnt bereits nach zwei Stunden und es ist kein Therapiemonitoring durch regelmäßige Blutkontrollen notwendig. Außerdem gibt es weniger Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und auch Nahrungsmitteln. Aber nicht immer überwiegen die Vorteile: Neben dem hohen Preis erfordern DOAK auch eine hohe Einnahmetreue, denn nach einer ausgelassenen Dosis steigt innerhalb von Stunden das Thromboserisiko schnell wieder an. Außerdem sind sie bei Patienten mit künstlichen Herzklappen nicht zugelassen und auch bei schwer nierenkranken Patienten ist die Anwendung limitiert.
Während bei einer überschießenden Blutverdünnung oder Überdosierung von VKA die Gabe von Vitamin K ein schnell wirksames Gegenmittel darstellt, so gibt es in Europa in der Gruppe der DOAK erst seit letztem Jahr mit Idarucizumab und Andexanet ein zugelassenes Gegenmittel.
„Insgesamt spricht bei Patienten mit Antikoagulantien-Indikation, die aber gleichzeitig ein hohes Schlaganfall- oder Blutungsrisiko haben, heute vieles für den Einsatz eines DOAK bzw. eines Faktor-Xa-Inhibitors“, so Prof. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Die Behandlung von Patienten mit einem Schlaganfall unter einer laufenden gerinnungshemmenden Therapie wird aber immer eine besondere Herausforderung bleiben. Und in bestimmten Situationen wird man sich auch, sofern verfügbar, für eine Thrombektomie entscheiden. Das Allerwichtigste ist aber wie bei allen Schlaganfällen, dass der Patient so schnell wie möglich in eine geeignete Klinik gebracht wird.“
Literatur
[1] Meinel TR, Kniepert JU, Seiffge DJ et al. Endovascular Stroke Treatment and Risk of Intracranial Hemorrhage in Anticoagulated Patients. Stroke 2020 Mar; 51 (3): 892-98 Epub 2020 Jan 29.