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Warum wir uns noch lange mit dem Coronavirus beschäftigen müssen

Original Titel:
Impact of non-pharmaceutical interventions (NPIs) to reduce COVID-19 mortality and healthcare demand

DGP Die Welt blickt derzeit auf eine Modellierungsstudie aus Großbritannien. Die Studie bewertet, was verschiedene, nicht pharmakologische Interventionsmethoden, die die Ausbreitung des Coronavirus verhindern sollen, zu leisten vermögen. Dabei zeigt sich mehr als eindringlich, dass mehrere nicht pharmakologische Interventionen gleichzeitig zum Einsatz kommen müssen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Es wird auch deutlich, dass die Interventionen nur dann eine Ausbreitung des Virus verhindern können, wenn sie 18 Monate oder länger Anwendung finden. Dies würde die Gesellschaft in einer derart nie gesehenen Form belasten. Renommierte Wissenschaftler regen an, dass in dieser Extremsituation auch in Betracht gezogen werden muss, ob die Zeit, die es bedarf, um neue Medikamente und Impfstoffe gegen das Virus zuzulassen, verkürzt werden kann.


In der Studie des Imperial College London aus Großbritannien wird der Verlauf der Erkrankungswelle durch COVID-19 in den USA und Großbritannien modelliert. Folgende Annahmen zum Coronavirus werden den Berechnungen zugrunde gelegt:

  • mittlere Inkubationszeit: 5,1 Tage
  • Infektiosität beginnt 12 Stunden vor Symptombeginn bei symptomatischen Patienten und bis zu 4,6 Tage nach der Infektion bei asymptomatischen Patienten
  • Basisreproduktionszahl R0 = 2,4
  • Symptomatische Patienten sind 50 % mehr infektiös als asymptomatische Patienten
  • Infektionssterblichkeitsrate: 0,9 %
  • Hospitalisierungsrate: 4,4 %
  • Anzahl an Infizierten, die beatmet werden müssen: 1,32 %
  • Anzahl von Personen, die auf der Intensivstation beatmet werden müssen und versterben: 50 %
  • Dauer des Krankenhausaufenthalts
    • Bei Personen, die nicht auf die Intensivstation müssen: 8 Tage
    • Bei Personen mit schwerem Verlauf: 16 Tage, davon 10 Tage auf der Intensivstation
    • Insgesamt ergibt sich damit eine durchschnittliche Dauer des Krankenhausaufenthalts von 10,4 Tagen

Weitere Parameter, die in die Modellierung einfließen:

  • Nur 50 % der Personen, die aufgrund eines bestätigten COVID-19-Falls in der Familie in Quarantäne verbleiben sollen, halten sich an diese Regulierung

In der Studie werden mehrere Szenarien modelliert, bei denen verschiedene nicht pharmakologische Maßnahmen kombiniert werden. Die Autoren zeigen zwei Szenarien auf.

Szenarium 1:

Isolierung von bestätigtem COVID-19-Fall + Quarantäne der Haushaltsmitglieder des isolierten Falls + Isolierung von Personen  ≥ 70 Jahre (Risikogruppe für einen schweren COVID-19-Verlauf); Maßnahmendauer: 3 Monate bzw. 4. Monate für die Isolierung der älteren Personen

Die Ergebnisse der Modellierung zeigen, dass die Kapazitäten des britischen und amerikanischen Gesundheitssystems in diesem Szenarium 8-fach überschritten würden. Dies würde eine ähnliche Situation wie jetzt in Italien hervorrufen (Triage-Entscheidungen werden erforderlich).

Szenarium 2:

Isolierung von bestätigtem COVID-19-Fall + soziale Distanzierung der gesamten Bevölkerung +

a) Quarantäne der Haushaltsmitglieder eines isolierten Falls

ODER

b) Schließung von Schulen und Universitäten

Maßnahmendauer: 5 Monate

In diesem Szenario ließe sich in beiden Fällen (a + b) die Anzahl der Infizierten deutlich abschwächen, sodass die Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht überschritten würden. Die Schließung von Schulen und Universitäten (b) ist effektiver als die Quarantäne der Haushaltsmitglieder eines isolierten Falls (a). Die Ausbreitung des Virus kann am besten verhindert werden, wenn alle 4 Maßnahmen kombiniert werden (a + b statt a oder b).

Was passiert, wenn die Maßnahmen aufgehoben werden?

Es ist derzeit wichtig, die Ausbreitung des Virus zu verhindern, um Zeit zu gewinnen. Diese Zeit ist nötig, um die Kapazitäten im Gesundheitssystem auszubauen und um Forschung zu Impfstoffen und Wirkstoffen voranzutreiben. Szenarium 2 zeigt einen Weg auf, wie die Ausbreitung des Virus effektiv eingedämmt werden kann, ohne das Gesundheitssystem zu überlasten.

Allerdings muss erwartet werden, dass die Infektions-Kurve wieder steil ansteigt, sobald die Maßnahmen gelockert werden. D. h., dass die Maßnahmen anhalten müssten, bis ein Impfstoff oder Medikament verfügbar ist, was 18 Monate oder länger dauern könnte.

Welche Optionen gibt es?

Eine denkbare Vorgehensweise für diesen Fall ist es, die Maßnahmen so lange zu lockern (z. B. Schulen wieder zu öffnen, Maßnahmen zur sozialen Distanzierung weniger restriktiv zu gestalten), bis eine gewisse Anzahl (ein Schwellwert) an Patienten auf der Intensivstation erreicht ist. Sobald dieser Schwellenwert erreicht ist, müssten die nicht pharmakologischen Interventionsmaßnahmen wieder ins Leben gegriffen werden (z. B. Schulen schließen, Bevölkerung zur sozialen Distanzierung aufrufen). Solche Optionen könnten auch regional begrenzt umgesetzt werden.

Fazit

Es gibt effektive nicht pharmakologische Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, sodass die Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht überfordert werden und eine große Anzahl an Todesfällen verhindert wird. Diese Maßnahmen müssten aber solange eingehalten werden, bis pharmakologische Interventionen wie Impfstoffe oder Medikamente vorhanden sind (= 18 Monate oder länger). Indem man die Maßnahmen an die Auslastung des Gesundheitssystems anpasst und stellenweise (z. B. auch lokal) lockert und dann wieder verstärkt, könnte zumindest für eine kleine Zeitspanne (die Autoren geben an, dass dies 1/3 der Zeit in einem Zeitraum von 2 Jahren wäre) ein „normaleres“ Leben ermöglicht werden.

[DOI 10.25561/77482 ]

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