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Drei neuroprotektive Substanzen enttäuschen in einer Phase-IIb-Studie bei sekundär progredienter MS
Die Multiple Sklerose (MS) kann schubförmig oder chronisch fortschreitend (progredient) verlaufen. Während die schubförmige Verlaufsform medikamentös relativ gut angegangen werden kann, ist die Behandlung der progredienten MS schwieriger – wirksame Medikamente werden hier dringend benötigt.
Manchmal gibt es klinische Hinweise, dass bereits bekannte Substanzen, die gegen andere Erkrankungen eingesetzt werden, sich auch günstig auf den Verlauf einer MS auswirken könnten. Solchen vielversprechenden Therapieoptionen ging man in einer jüngst publizierten Studie [1] nach; die Hoffnungen haben sich aber leider so nicht bestätigt.
Während die schubförmige MS heute in den meisten Fällen gut therapeutisch beeinflussbar sind, ist die Behandlung der chronisch progredienten Formen schwieriger. Gerade bei der sekundär progredienten MS (SPMS) liegt das unter anderem daran, dass im späten MS-Verlauf die Entzündungsaktivität abnimmt, und somit antientzündliche Therapien kaum noch greifen können. Daher wird intensiv nach anderen Möglichkeiten gesucht, um die dann fortschreitende nicht-entzündliche Neurodegeneration aufzuhalten.
Anhand der Zusammenschau biochemischer Eigenschaften, präklinischer Daten und kleinerer MS-Patientenstudien wurden drei bereits bekannte Substanzen bzw. Medikamente identifiziert, von denen man sich aufgrund ihrer Angriffspunkte an gestörten Nervenleitungsmechanismen sowie einer kleinen Zahlen positiver Patientendaten ein neuroprotektives Potenzial versprochen hat. Es handelt sich dabei um den Natriumkanal-Blocker Amilorid, bekannt als Diuretikum (Entwässerungsmittel), um den Natriumkanal-Blocker Riluzol, ein bei ALS (amyotropher Lateralsklerose) eingesetztes Medikament, das die Freisetzung des Neurotransmitters Glutamat hemmt, und um das Antidepressivum Fluoxetin.
2015 wurde mit diesen drei Präparaten eine Phase-IIb-Studie begonnen [1]; die Ergebnisse wurden nun im „Lancet Neurology“ publiziert. In 13 Zentren (aus UK) hatten 445 SPMS-Patienten, zu gleichen Teilen doppelblind-randomisiert, eines der drei Medikamente oder Placebo erhalten. Die Behandlung in den vier Gruppen erfolgte über 96 Wochen, das Patientenalter lag zwischen 25 und 65, ihr EDSS-Behinderungsgrad („Expanded Disability Status Scale“) betrug 4 – 6,5. Als primäres Behandlungsziel wurde mittels MRT die Veränderung des Hirnvolumens gemessen (zu Beginn und am Ende der Studie). In der primären Analyse konnten 393 Patienten ausgewertet werden (je Gruppe knapp 100 Patienten). Im Endergebnis konnten in den MRT-Befunden keine Veränderungen zwischen den drei Medikamenten-Gruppen im Vergleich zur Placebo-Behandlung festgestellt werden. Schwerere Therapienebenwirkungen waren selten und in allen Gruppen ähnlich häufig (unter Amilorid 9%, Fluoxetin 6%, Riluzol 11%, Placebo 12%). Am häufigsten waren dabei Infektionen. Drei Patienten verstarben an nicht-therapiebedingten Ursachen wie Lungenkrebs und Herzinfarkt.
Auch wenn frühere, kleinere klinische Untersuchungen mit den drei Testmedikamenten Hoffnung gemacht hatten, mussten die Studienautoren nun nach der Durchführung der zahlenmäßig gut gepowerten Studie konstatieren, dass der Angriffspunkt an den neuronalen Pathomechanismen offensichtlich nicht ausreichend war, um ein Fortschreiten der MS signifikant zu verlangsamen.
„Die Studie ist für das Feld wichtig und sehr gut gemacht“ erklärt Professor Dr. Heinz Wiendl, Sprecher des Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KNNMS), Direktor der Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie an der Westfälischen Universität Münster. In dieser Studie hatten die Patienten allerdings keine begleitenden MS-Medikamente erhalten. „Seit Februar 2020 ist mit Siponimod, einem Sphingosin-1-Phosphat(S1P) – Rezeptormodulator der zweiten Generation, in Europa eine erste orale Therapie für die aktive SPMS zugelassen. Zukünftige Studien müssten prüfen, inwieweit Kombinationstherapien, also die Hinzunahme neuroprotektiver Substanzen zu primär immun-wirksamen Substanzen, signifikante Therapieeffekte auf die Progression verstärken können“,
„Hinweisen auf einen potenziellen Nutzen vorhandener Medikamente muss grundsätzlich nachgegangen werden und letztlich bringen auch negative Studienergebnisse die Forschung weiter“, so Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. Das Vorgehen im Parallelgruppendesign werten die Autoren sowie beide Experten als erfolgsversprechend, um in vergleichbar kurzer Zeit Substanzen simultan auf ihren tatsächlichen Nutzen abzuklären.
Literatur
[1] Chataway J, De Angelis F, Connick P et al. Efficacy of three neuroprotective drugs in secondary progressive multiple sclerosis (MS-SMART): a phase 2b, multiarm, double-blind, randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2020 Mar; 19 (3): 214-25