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Krebs bei Kindern mit seltenem, angeborenem Immundefekt: Hohe Heilungsrate bei früher Behandlung
Kinder mit bestimmten Genmutationen haben gemäß neuen Forschungsergebnissen eine ausgeprägte Veranlagung für Lymphome, einer Krebserkrankung von Immunzellen. Ein Großteil dieser seltenen Mutationen verursacht gleichzeitig angeborene Immundefekte, die mit wiederkehrenden Infektionen einhergehen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der St. Anna Kinderkrebsforschung untersuchten – zusammen mit führenden Zentren weltweit – Kinder mit kürzlich festgestellten Defekten in den Molekülen CD27 und CD70. Im Gegensatz zu früher berichteten hohen Sterblichkeitsraten in Verbindung mit Lymphomen bei einem Teil dieser Population sind die aktuellen Ergebnisse ermutigend: eine hohe Heilungsrate wurde erreicht, wenn die Patientinnen und Patienten schon bald nach Diagnose eines Lymphoms eine Stammzelltransplantation erhielten.
Das zeigte eine im Journal Blood veröffentlichte Studie zu klinischen und immunologischen Veränderungen sowie Therapieansprechen der bislang größten Gruppe von Kindern mit CD27-/CD70-Defizienz.
Eine weltweite Studie könnte dazu beitragen, Kinder mit spezifischen angeborenen Mutationen zu heilen, indem sie völlig neue Einblicke in Krankheitscharakteristika liefert. Die zugrundeliegenden Mutationen, nämlich in den Genen, die für CD27 und CD70 kodieren, verursachen angeborene Fehler des Immunsystems (Immundefekte). Eine große Gefahr für diese immungeschwächten Patientinnen und Patienten sind Infektionen, vor allem mit dem Epstein-Barr-Virus. Das geschwächte Immunsystem wird mit dieser Infektion nicht fertig, und das Virus bleibt im Blut bestehen. In der Folge verursacht es schwere Erkrankungen, darunter auch Lymphome. Das ist eine Krebsart, die von Infektions-bekämpfenden Zellen des Immunsystems, den so genannten Lymphozyten, ausgeht.
Angesichts der Seltenheit dieser Mutationen besteht kein Konsens darüber, wie betroffene Kinder zu behandeln sind. Frühere Beobachtungen hatten gezeigt, dass Patientinnen und Patienten mit einer CD27- oder CD70-Defizienz beim ersten Auftreten eines Lymphoms ein deutlich erhöhtes Sterberisiko haben. Um dieses Ergebnis zu verbessern, berichtet die nun veröffentlichte Studie erstmals über eine eingehende klinische und immunologische Charakterisierung der bisher größten untersuchten Patientengruppe (n=49) mit einer CD27- oder CD70-Defizienz.
Ermutigende Ergebnisse bei einer seltenen Krankheit
Die neuen Daten unterstreichen die ausgeprägte Prädisposition für Lymphome sowohl bei CD27- als auch bei CD70-defizienten Patientinnen und Patienten. Bei Kindern mit schwerer Epstein-Barr-Virus-assoziierter Krankheit oder einem Lymphom ist eine genetische Untersuchung von CD27 und CD70 angezeigt. Diese könnte das klinische Management optimieren und vor allem die rechtzeitige Entscheidung für eine kurative hämatopoetische Stammzelltransplantation unterstützen.
„In unserer Studienpopulation erzielten wir ausgezeichnete Ergebnisse nach der Transplantation hämatopoetischer Stammzellen bei Patientinnen und Patienten mit schweren Krankheitsmanifestationen, vorwiegend Lymphomen“, kommentiert Senior-Studienautor Assoc.-Prof. Dr. Kaan Boztug. 18 von 19 (95%) Kindern, die kurz nach dem ersten Auftreten eines Lymphoms eine Stammzelltransplantation erhielten, konnten geheilt werden. Das bedeutet, dass sie nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von zwei Jahren krebsfrei sind. Ko-Erstautorin Dr. Sevgi Köstel Bal fügt hinzu: „Unsere Ergebnisse sprechen für den rechtzeitigen Einsatz dieser kurativen Behandlung bei Kindern mit CD27- oder CD70-Defizienz bei der Diagnose eines Lymphoms.“
Immundefekt bei krebskranken Kindern in Betracht ziehen
Die als retrospektive Analyse konzipierte Studie umfasste klinische Informationen von 49 Patientinnen und Patienten aus 20 Zentren auf der ganzen Welt. 33 Patientinnen bzw. Patienten wiesen eine CD27- und 16 eine CD70-Defizienz auf.
Die Mehrheit (90%) der Patientinnen und Patienten hatte bei der Diagnose einer CD27- oder CD70-Defizienz eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus. 36 Prozent der Kinder mit CD27-Defizienz und 56 Prozent der Kinder mit CD70-Defizienz entwickelten im mittleren Alter von 8,5 bzw. drei Jahren ein Lymphom. Ein weiteres häufiges Merkmal war eine Autoinflammation, die in verschiedenen Formen bei 21 Patientinnen und Patienten (43%) auftrat. Autoinflammation ist eine anomale Entzündungsreaktion, die das körpereigene Gewebe betrifft und vom angeborenen Immunsystem ausgeht.
Wesentliche neue Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit beziehen sich auf immunologische Merkmale, Mechanismen der Krankheitsentstehung und den klinischen Verlauf einzelner Patientinnen und Patienten. Die Studienergebnisse unterstreichen die entscheidende Rolle der CD27-CD70-Interaktion bei der Regulierung der Immunität, insbesondere im Zusammenhang mit der Kontrolle des Epstein-Barr-Virus und der Bildung von Lymphomen. Basierend auf diesem Wissen sollte ein Immundefekt als zugrundeliegende Ursache in Betracht gezogen werden, wenn Kinder an Krebs erkrankt sind. Das gilt insbesondere dann, wenn in der Vorgeschichte wiederkehrende Infektionen bzw. eine nicht kontrollierbare Epstein-Barr-Virus-Infektion aufgetreten sind.
Bislang größte Gruppe, aufgrund des globalen Ansatzes
Diese Studie, die in enger Zusammenarbeit mit der Inborn Errors Working Party der European Society for Immunodeficiencies (ESID) und der European Society for Bone and Marrow Transplantation (EBMT) durchgeführt wurde, untersuchte die bisher weltweit größte Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Mutationen in CD27 oder CD70. Das war nur in einem multizentrischen Ansatz möglich, der von den Studienzentren in Wien, Sydney, Düsseldorf, Leiden, Teheran und Ankara geleitet wurde.
Publikation:
Extended Clinical and Immunological Phenotype and Transplant Outcome in CD27 and CD70 Deficiency.
S Ghosh*, S Köstel Bal*, E S J Edwards*, B Pillay, R Jimenez-Heredia, G Rao, F Erol Cipe, E Salzer, S Zoghi, H Abolhassani, T Momen, E Gostick, D A Price, Y Zhang, A J Oler, C Gonzaga-Jauregui, B Erman, A Metin, I Ilhan, S Haskologlu, C Islamoglu, K Baskin, S Ceylaner, E Yilmaz, E Unal, M Karakukcu, D Berghuis, T Cole, A Kumar Gupta, F Hauck, A Hoepelman, S Baris, E Karakoc-Aydiner, A Ozen, L Kager, D Holzinger, M Paulussen, R Krüger, R Meisel, P Thomas Oommen, E C Morris, B Neven, A J J Worth, J M van Montfrans, P Fraaij, S Choo, F Dogu, E G Davies, S Burns, G Dueckers, R Perez Becker, H von Bernuth, S Latour, M Faraci, M Gattorno, H Su, Q Pan-Hammarström, L Hammarström, M J Lenardo, C S Ma, T Niehues, A Aghamohammadi, N Rezaei**, A Ikinciogullari**, S G Tangye**, A C Lankester**, K Boztug**
Blood. 2020 Jun 30; blood.2020006738. doi: 10.1182/blood.2020006738. Online ahead of print. PMID: 32603431
* S.G, S.K.B and E.J.E contributed equally.
** N.R., A.I., S.G.T., A.C.L. and K.B. contributed equally.
Corresponding authors: K.B., A.C.L. and S.G.T. Link: https://doi.org/10.1182/blood.2020006738
Förderung
Diese Studie wurde gefördert durch das European Research Council (ERC) und den Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF). Weiters wurde die Forschungsarbeit unterstützt durch den Susan and John Freeman Cancer Research Grant des Cancer Council NSW (Australia), das National Health and Medical Research Council of Australia, den Wellcome Trust Senior Investigator Award, ein Mid-Career Research Fellowship, verliehen vom Office of Health and Medical Research of the New South Wales Government of Australia, ein Principal Research Fellowship und einen Peter Doherty Leadership Grant, vergeben durch das National Health and Medical Research Council.
Die Studie erhielt außerdem Förderungen vom deutschen Zentrum für Infektionsforschung, von der Else Kröner-Fresenius Stiftung, dem deutschen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, dem UK National Institute of Health Research und dem Great Ormond Street Hospital Biomedical Research Centre, sowie von Förderungen des Intramural Research Program of the National Institute of Allergy and Infectious Diseases der National Institutes of Health (NIH).