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Der ökonomische Wert von Data & Analytics für Gesundheitsversorger

Nach jahrzehntelanger schwacher Verbreitung digitaler Technologien im Gesundheitswesen erscheint der Aufschwung von „Digital Health“ nicht mehr aufzuhalten. Die speziellen Umstände einer Pandemie, aber auch aktuelle wissenschaftliche Nachweise über verbesserte Versorgungsqualität haben Investitionen in Data & Analytics im Gesundheitswesen gefördert. Nichtsdestotrotz sind diese Investitionen kostenintensiv und Gesundheitsversorger, brauchen Klarheit bezüglich der ökonomischen Folgen für ihre Organisationen. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, welche Technologien besonders berücksichtigt werden sollten und was zu beachten ist, um auch optimalen wirtschaftlichen Wert aus diesen zu ziehen.

Es ist kein Geheimnis, dass die Digitalisierung viele, wenn nicht sogar alle Bereiche unseres Lebens verändert hat. Die meisten Industrien schwenkten um auf ein digital erweitertes oder komplett digitales Angebot, um eine verbesserte Kundenerfahrung zu ermöglichen und somit die Nachfrage anzutreiben. Im Gesundheitswesen werden diese marktbasierten Prozesse jedoch häufig aufgrund der umfassenden Regulierung der Branche abgeschwächt. Entsprechend nahmen Anbieter im Gesundheitswesen scheinbar keinen besonderen Druck zur Ausweitung der Digitalisierungsbudgets wahr.

Europäische Gesundheitsversorger müssen aufholen

2017 hatten beispielsweise fast 50 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland und Österreich immer noch keine krankenhausinterne elektronische Patientenakte (EPA) für ihre Patientinnen und Patienten, sondern dokumentierten die Befunde weiterhin auf Papier. An sich stellt sich die Frage, ob Data- & Analytics-Technologien tatsächlich die Qualität unserer Gesundheitsversorgung verbessern.

Die Antwort der Forscher ist wenig überraschend: Ja! Die Forschung zeigt, dass die Einführung einer EPA in Krankenhäusern zu weniger Medikationsfehlern, weniger unerwünschten Wechselwirkungen und häufigerer Einhaltung von Richtlinien führen kann. Durch Auswertung von EPA-Daten kann Advanced Analytics basierend auf Künstlicher Intelligenz (KI) bereits die Eintrittswahrscheinlichkeit verschiedenster Krankheiten bestimmen und andere versorgungsrelevante Vorhersagen treffen. Ein hochaktuelles Thema ist hier die Möglichkeit, eine Erkrankung am neuartigen Coronavirus (COVID-19) über KI-basierte Auswertung von Bilddaten zu diagnostizieren.

Ironischerweise bedeuten in einem System, bei dem Qualität noch nicht ausreichend im Vergütungssystem berücksichtigt wird, Qualitätsverbesserungen durch die Anwendung von Data & Analytics nicht unbedingt auch ökonomische Vorteile für die Versorger. Daher sehen sie Anschaffungs- und langfristige Servicekosten als kritisches Hindernis an und stellen häufig die Kosteneffektivität dieser Technologien in Frage. In den USA haben politische Entscheidungsträger auf diese Tatsache bereits 2009 mit einer umfangreichen finanziellen Förderung reagiert, wodurch eine Abdeckung der Krankenhäuser mit EPAs von heute fast 100 Prozent erreicht werden konnte. In Deutschland stellen Bund und Länder über das kürzlich eingeführte Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) bis zu 4,3 Milliarden Euro für Projekte zur Förderung digitaler Infrastrukturen zur Verfügung, um lange überfällige Investitionen anzustoßen.

Fünf Schlüsseltechnologien für künftige Investitionsentscheidungen

Hagist und von Wedel haben fünf wichtige technologische Kategorien für Investitionsentscheidungen im Bereich Data & Analytics identifiziert: die elektronische Patientenakte, computerisierte Entscheidungsunterstützung, Advanced Analytics, Business Analytics und Telemedizin. Der wirtschaftliche Einfluss von Data & Analytics auf Gesundheitsversorger ist sehr abhängig von der jeweiligen Kategorie, jedoch zeigen grob 60 Prozent der berücksichtigten Studien, dass die Technologien insgesamt positive Effekte haben.

Die EPA repräsentiert die am umfänglichsten untersuchte technologische Kategorie für Gesundheitsversorger. Allerdings zeigten nur 12 der 30 betrachteten Artikel positive wirtschaftliche Effekte bezogen auf die Einführung einer EPA. Leider ist dieses Ergebnis isoliert betrachtet nicht unbedingt hilfreich, wenn schnelle Investitionsentscheidungen getroffen werden sollen – zumindest aus rein wirtschaftlicher Sicht. Doch spiegelt es deutlich die Realität wider, denn häufig kommt es erst aufgrund gesetzlicher Zuschüsse zur Investition. Einige Faktoren konnten dennoch ausgemacht werden, die einen zeitnahen Break-even wahrscheinlicher machen.

Eine konsequente Abkehr von allen alten Strukturen wie papierbasierter Dokumentation und Schreibservice, die Umnutzung von Aktenlagern in klinische Räume und eine schrittweise Einführung der EPA anstatt eines „Big Bangs“ sind alles wichtige Faktoren.

Glücklicherweise zeigt sich für die restlichen vier Kategorien ein positiveres Bild. Computerisierte Entscheidungsunterstützung etwa kann Material- und Personalkosten durch die Vermeidung von überflüssiger Laborarbeit und Bildgebung reduzieren. Business Analytics Lösungen, die Daten zu operativen Workflows und Abrechnungsdaten analysiert, können die Effizienz optimieren und durch die Identifikation versäumter Forderungen ebenfalls Umsätze fördern. An dritter Stelle können Advanced Analytics Lösungen Effizienzen heben und Kosten einsparen, indem sie auf Basis von EPA-Daten Analysen, Diagnostik, Entscheidungsfindung und Prozesse unterstützen. Häufig greifen diese Systeme auf KI-basierte Big Data Analyse zurück. Zuletzt können auch telemedizinische Anwendungen wie die Fernüberwachung in manchen Fällen Kosteneinsparungen ermöglichen. Alle untersuchten Ergebnisse für die letzten vier Kategorien weisen ausschließlich positive wirtschaftliche Effekte für Gesundheitsversorger auf.

Über die Elektronische Patientenakte hinausdenken

An dieser Stelle ist es wichtig die fünf genannten Data & Analytics Kategorien nicht getrennt voneinander, sondern im Zusammenspiel zu betrachten. Beispielsweise bauen Entscheidungsunterstützungssysteme und KI-basierte Advanced Analytics Lösungen in den meisten Fällen auf EPA Daten auf. Die EPA Einführung kann somit zum Flaschenhals für die positiven wirtschaftlichen Effekte der sich ihr anschließenden Technologien werden. Auf eine EPA Installation auf Basis unsicherer Kosteneffektivität zu verzichten heißt auch die Tür zu damit einhergehenden ökonomischen Vorteilen der anderen Technologien zu verschließen. Die EPA Einführung fungiert hier als wichtiger Türöffner. Diese Beobachtung zeigt erneut die Relevanz staatlicher Förderungen für EPA Installationen, welche in jedem Fall genutzt werden sollten, wenn sie verfügbar sind. Darüber hinaus zeigt die WHU-Studie jedoch auch, dass jede EPA-Investitionsentscheidung auch die wirtschaftlichen Effekte zweiter Ordnung durch angeschlossene Technologien berücksichtigen sollte. In vielen Fällen kann ein Blick über die EPA hinaus schwierige Investitionsfälle erleichtern oder sogar Break-even Zeiten verkürzen. Data- & Analytics-Technologien können nicht isoliert voneinander, sondern immer im Zusammenspiel betrachtet werden. Die Studie zeigt, dass dies auch auf die wirtschaftlichen Effekte durch Einführung dieser Lösungen bei Gesundheitsversorgern zutrifft.

Originalpublikation:

Von Wedel, P., Hagist, C. (2020): Economic Value of Data and Analytics for Health Care Providers: Hermeneutic Systematic Literature Review, in: Journal of Medical Internet Research, Vol. 22 (11), Link: https://doi.org/10.2196/23315