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COVID-19 effektiver bekämpfen
Im Ringen mit dem Virus wäre viel gewonnen, wenn die Daten, die die Wissenschaft nutzt und erstellt, leichter auffindbar, standardisiert und verknüpfbar wären. Eben dies versucht die Task Force COVID-19 in der U Bremen Research Alliance zu erreichen. „Was wir liefern wollen, sind nicht die Erkenntnisse“, sagt Prof. Dr. Iris Pigeot, Koordinatorin der Task Force und stellvertretende Vorsitzende der U Bremen Research Alliance. „Was wir liefern wollen, sind die Strukturen, um die Erkenntnisse zu erzeugen.“
48 namhafte Institutionen sind an der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur für personenbezogene Gesundheitsdaten beteiligt.
Prof. Dr. Hajo Zeeb hat wenig Zeit. Eben hat der Epidemiologe ein Interview für „Sky News“ gegeben, die nächste Video-Konferenz wartet schon, der Informationsbedarf zu COVID-19 ist gewaltig.
Nicht immer sind die Studien zur selben Thematik untereinander vergleichbar, auch gibt es bei der Konzeption und Durchführung manchen Reibungsverlust. „Ob Fragebögen oder Methodik – nicht allesmuss neu erfunden werden“, sagt Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie– BIPS. „Wunderbar wäre es, wenn wir eine zentrale Anlaufstelle hätten mit Informationen zu den Studien und einem gemeinsamen Instrumentenkasten. Das würde vieles erleichtern.“
„Wir wollen eine substanzielle und rasche Information der Fachcommunity über relevante Forschungsergebnisse erreichen.“
Diese Plattform wird es geben. Die Initiative mit dem sperrigen Namen „NFDI4Health Task ForceCOVID-19“ entwickelt eine bundesweite Informations-und Beratungsinfrastruktur für Gesundheitsdaten. „Wir wollen eine substanzielle und rasche Information der Fachcommunity über relevante Forschungsergebnisse erreichen“, beschreibt Prof. Dr. Iris Pigeot, Koordinatorin der Task Force und Institutsdirektorin am BIPS, eines der Ziele. Diese Plattform ist Teil der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur für personenbezogene Gesundheitsdaten, kurz NFDI4Health. Mit rund zwölf Millionen Euro unterstützen Bund und Länder ihren Aufbau, 48 namhafte Institutionen sind an ihr beteiligt.
FAIR soll es dabei zugehen, das ist derzeit noch viel zu selten der Fall. Der Begriff steht für die vier Prinzipien eines nachhaltigen Forschungsdatenmanagements: Findable (auffindbar), Accessible (zugänglich), Interoperable (interoperabel) und Reusable (wiederverwendbar) sollen die Daten sein, die von den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen erhoben werden, also von Krankenkassen, Universitätskliniken oder von Forschenden.
Eine der ersten Aufgaben des BIPS in Kooperation mit der Universitätsmedizin Greifswald ist die Schaffung eines umfassenden Inventars deutscher COVID-19-Studien. Forschende, die künftig zum Beispiel eine Studie zu den psychosozialen Auswirkungen eines Lockdowns durchführen wollen, erfahren dann mit wenigen Klicks, ob es eine derartige Untersuchung schon einmal gegeben hat und mit welcher Fragestellung und Methodik sie durchgeführt worden ist. Das ist bislang nicht möglich.
„Was mir sehr wichtig ist: Um den Menschen am besten helfen zu können, brauchen wir ein ganzheitliches Bild von ihnen, nicht nur einen Ausschnitt“, betont Pigeot. Die intelligente Verknüpfung verschiedenster Informationen aus unterschiedlichsten Quellen sei deshalb enorm bedeutsam. „Man könnte dann zum Beispiel erkennen, ob der Verlauf einer Erkrankung durch die Medikamente beeinflusst wird, die ich gerade nehme“, beschreibt Pigeot den Ansatz.
„Was mir sehr wichtig ist: Um den Menschen am besten helfen zu können, brauchen wir ein ganzheitliches Bild von ihnen, nicht nur einen Ausschnitt.“
Alter, Geschlecht, Krankheitsgeschichte und vieles mehr – der Schutz der sensiblen persönlichen Daten ist oberstes Gebot. Um ihr Potenzial zu nutzen, braucht es daher Konzepte, wie sie verknüpft und geschützt werden können. Auch diese entstehen im Rahmen der Task Force. Informationsbedarf und Datenschutzkönnten über einen Algorithmus gewährleistet werden, der die Daten auswertet und zusammenführt, ohne dass sie selbst verschickt werden. „Das muss alles sehr viel schneller gehen als jetzt, am besten innerhalb eines halben Tages“, fordert Pigeot. Derzeit könne es schon einmal anderthalb Jahre dauern, bis die Genehmigungen für die Datennutzung vorliegen.
600 Schnittbilder führt die vom MEVIS entwickelte Software zu dreidimensionalen Darstellungen zusammen.
Neben dem BIPS sind an der Task Force zahlreiche renommierte Institutionen beteiligt, etwa das Robert Koch-Institut in Berlin und die Universitätsmedizin Göttingen – sowie gleich zwei weitere Mitglieder der U Bremen Research Alliance. „Im Forschungsdatenmanagement ist Bremen in einer sehr guten Position“, betont Pigeot, die selbst Statistikerin ist. Als Experte für Datenschutz ist Dr. Benedikt Buchner dabei, Professor für Bürgerliches Recht, Gesundheits- und Medizinrecht an der Universität Bremen. Auch das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Horst Hahn ist Teil des Verbundes. „Diese Kooperationen sind unglaublich wichtig, weil sie unsere Kompetenzen ergänzen“, sagt Pigeot. Während das BIPS sich mit Befragungsdaten beschäftigt, sind es am MEVIS Bilddaten, die in der medizinischen Diagnostik eine immer größere Rolle spielen.
Wie das funktioniert, zeigt Dr. Bianca Lassen- Schmidt nur wenige hundert Meter vom BIPS entfernt in einem Besprechungsraum des MEVIS. Als gräulicher Schleier ist die durch das Virus ausgelöste COVID-19-Erkrankung auf dem Scan einer Lunge zu sehen, aufgenommen mithilfe der Computertomografie (CT). COVID-19 zeigt typischerweise ein spezielles Muster, es verteilt sich am äußeren Lungenrand über alle Lungenlappen. Dort bildet sich Flüssigkeit, ein Gasaustausch ist nur noch eingeschränkt möglich.
Lassen-Schmidt ist Informatikerin. Lungen, sagt sie, sind ihre Leidenschaft. Seit gut zehn Jahren beschäftigt sie sich mit ihnen, sie hat über das Atmungsorgan promoviert. Wie krank ist die Lunge wirklich? Wie stark ist der Patient betroffen? Muss er beatmet werden? Haben die Medikamente gewirkt? „Aus CT-Daten lassen sich Informationen ableiten, die helfen, diese Fragen zu beantworten. Sowohl für die Früherkennung, für die Diagnose und die Prognose als auch für die Therapie sind CT-Daten sehr hilfreich“, betont sie. Bis zu 600 Schnittbilder führt die vom MEVIS entwickelte Software zu dreidimensionalen Darstellungen zusammen. Sie soll Radiologen bei ihrer Arbeit unterstützen. Schnell und automatisiert werden die Bilder ausgewertet und die Ergebnisse strukturiert ausgegeben. Innerhalb nur weniger Minuten liegt die Lungenbildanalyse vor. Auch hier geht es also um Daten und darum, ihre Brauchbarkeit zu sichern und womöglich zu verbessern.
In der Task Force COVID-19 ist das MEVIS gleich mit mehreren Arbeitspaketen dabei. Eines befasst sich mit der Qualitätssicherung von CT-Daten. Die vorliegenden Bilder werden automatisiert geprüft und nach einem Ampelsystem eingestuft: von grün bis rot, von sehr guter Bildqualität bis hin zu nicht zu gebrauchen.
Ein anderes befasst sich mit Konzepten für maschinelles Lernen mithilfe von heterogenen Trainingsdaten in Kliniken. Die dort vorhandenen Bilddatenwerden zusammen mit klinischen Parametern ausgewertet, um bei der Beantwortung spezieller klinischer Fragen zu unterstützen; sie verlassen aber die Klinik nicht. „Auf diesem Weg erhalten wir viele Informationen, ohne dass wir die Daten bewegen“, sagt Lassen-Schmidt.
„Wir stellen eine Blaupause zum Umgang mit epidemiologischen Daten bei künftigen pandemischen Herausforderungen zur Verfügung.“
Mit Hochdruck arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Integration und Harmonisierung der Daten. Ob die Task Force noch zur erfolgreichen Bekämpfung dieses Virus beitragen kann, ist allerdings zweifelhaft. „Wir stellen eine Blaupause zum Umgang mit epidemiologischen Daten bei künftigen pandemischen Herausforderungen zur Verfügung“, sagt Pigeot. Denn eines gilt als sicher: Die nächste Pandemie kommt bestimmt.
Originalpublikation:
Impact – Das Wissenschaftsmagazin der U Bremen Research Alliance; Ausgabe 3 (Januar 2021)
In der U Bremen Research Alliance kooperieren die Universität Bremen und zwölf Forschungsinstitute der vier deutschen Wissenschaftsorganisationen sowie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz – alle mit Sitz im Bundesland.
Das seit 2019 erscheinende Forschungsmagazin Impact dokumentiert die kooperative Forschungsstärke der Allianz und ihre gesellschaftliche Relevanz. „COVID-19 effektiver bekämpfen“ wurde in Ausgabe 3 (Jan. 2021) veröffentlicht.
https://www.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/sites/research_alliance/Impact_M…
Weitere Informationen:
https://www.nfdi4health.de
https://www.nfdi4health.de/de/task-force-covid-19