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Verhütung ohne Hormone – möglich, sinnvoll, notwendig?

Hormonmüdigkeit bei der Verhütung – gibt es sie, spielt sie eine Rolle? Viele Mädchen und Frauen kommen sehr gut mit der Pille klar. Sie bemerken keine Veränderungen und keine Nebenwirkungen und werden auch nie in ihrem Leben eine Thrombose entwickeln. Bei manchen ist das anders. „Wir Frauenärztinnen und -ärzte können nie genau vorhersagen, wie die hormonellen Verhütungsmittel sich beim einzelnen Mädchen und bei der einzelnen Frau auswirken werden“, erläuterte die Frauenärztin Dr. med. Katrin Schaudig, Hamburg, in Ihrem Vortrag auf dem FOKO 2021, dem größten frauenärztlichen Fortbildungskongress in Deutschland(1).

Bei vielen Frauen, so Schaudig, reagiert der Körper auf die synthetischen Hormone: oft positiv, aber durchaus auch negativ. In vielen Fällen verbessert sich eine Akne oder eine schmerzhafte Regelblutung, in anderen Fällen wird sie schlimmer. Manche Frauen stellen Kopfschmerzen fest, Veränderungen der Stimmung oder der Libido – auch hier gibt es manchmal Verbesserungen, manchmal Verschlechterungen. „Bei allen Vor- und Nachteilen darf man nicht vergessen, dass es sich um eine sehr zuverlässige Methode handelt, um Sex zu haben und trotzdem nicht schwanger zu werden.“ Wenn von Hormonmüdigkeit gesprochen wird, so müsse man immer auch über funktionierende – und ebenso sichere Alternativen sprechen.

Pillenmüde – oder nur ein späterer Start?

Aber gibt es tatsächlich eine Pillenmüdigkeit oder eine Hormonmüdigkeit bei Frauen, die seit langem hormonell verhüten? „Es ist richtig, dass seit 2015 die Umsätze aller Pillen zusammengenommen in Deutschland zurückgehen. Auch die Techniker Krankenkasse und die AOK sagen, dass der Anteil von jungen Frauen bis 20 beziehungsweise bis 22 Jahre, die mit der Pille verhüten, abnimmt“, meint Dr. Schaudig. „Aber wir wissen nicht, welche Ursachen dieser Entwicklung zu Grunde liegen.“ Die Untersuchungen der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung, bei der seit 1980 in regelmäßigen Abständen mehrere tausend Jugendliche zu vielen Themen rund um ihre Sexualität befragt werden, haben gezeigt, dass seit 2005 das durchschnittliche Alter der ersten sexuellen Erfahrung ansteigt und inzwischen (2020) bei den Mädchen zwischen 16 und 17 Jahren liegt, bei jungen Frauen mit Migrationshintergrund mehr als ein Jahr später. 1998 wurde das Durchschnittsalter beim ersten Sex noch mit 15 Jahren angegeben.

Pille nicht so früh, sondern so spät wie möglich?

„Das allein könnte schon den Trend erklären, dass die Pille in dieser Altersgruppe seltener verwendet wird“, so Schaudig. „Aber vielleicht sind die jungen Mädchen heute auch einfach vorsichtiger und lassen sich die Pille nicht mehr so früh wie möglich verordnen, sondern so spät wie möglich. Dass sie trotzdem verantwortungsvoll verhüten, das sehen wir daran, dass die Zahl der Schwangerschaften und der Schwangerschaftsabbrüche bei Teenagern nicht ansteigt, sondern weiterhin zu den niedrigsten in ganz Europa gehört.“

Weniger Medizin, aber trotzdem bitte eine zuverlässige Verhütung

Eine ganz andere Gruppe, so Schaudig, seien diejenigen Frauen, die bereits über einige Jahre mit der Pille verhütet haben und mit der Situation nicht zufrieden sind. „Manche fühlen sich eigentlich gut, haben aber viel über die Risiken gehört und gelesen und fürchten um ihre Gesundheit und ihre Fruchtbarkeit. Andere berichten von Veränderungen ihrer Stimmung, ihres Körpergefühls oder ihrer Libido oder auch von unangenehmen körperlichen Symptomen.“

Schaudig meint, dass eine Lösung hier oft nicht auf den ersten Blick erkennbar sei. „Jede Frau ist anders, und das betrifft auch die Wirkung der hormonellen Verhütung auf ihren Körper und ihre Psyche. Wenn die Frau mir von Veränderungen berichtet, die sie in einen Zusammenhang mit der Verhütung stellt, dann halte ich dies in den meisten Fällen für glaubhaft und es ist meine urärztliche Aufgabe, mit ihr zusammen nach geeigneten Auswegen zu suchen.“ In vielen Fällen könne ein einfacher Wechsel der Hormone in der Pille oder auch ihrer Dosierung schon die Lösung bringen oder auch die Umstellung auf eine östrogenfreie Pille.

Geht es darum, die Hormonmenge zu reduzieren und trotzdem sehr zuverlässig zu verhüten, so sei die Hormonspirale oft das Mittel der Wahl, so die Frauenärztin, weil bei den meisten Frauen kaum Levo-norgestrel in den Kreislauf gelangt und nur in seltenen Fällen unerwünschte Symptome verursacht. Ausgeschlossen ist dies allerdings nicht. „Im Zweifelsfall muss die Spirale dann eben entfernt werden, auch wenn sich danach nicht selten herausstellt, dass nicht die liegende Hormonspirale die wahre Quelle des Übels war.“

Depressionen – durch die Pille oder durch Beziehungsprobleme?

Eine Nebenwirkung allerdings, über die derzeit viel gesprochen wird, hält die Frauenärztin für ein eher seltenes Phänomen: „Meiner persönlichen frauenärztlichen Erfahrung nach gehören echte Depressionen nicht in das typische Nebenwirkungsspektrum der hormonellen Verhütung. Frauen berichten durchaus von Veränderungen ihrer Libido oder von Verschlechterung ihrer Stimmung. Das muss man Ernst nehmen. Aber die Hormone verursachen in aller Regel keine depressive Erkrankung.“

Warum trotzdem in Befragungen und Auswertungen von Bevölkerungsregistern hierfür insbesondere bei Teenagern ein Zusammenhang hergestellt wird, dafür hat die Gynäkologin eine andere Vermutung: „Der Beginn der sexuellen Aktivität bedeutet für die Mädchen auch den Beginn von Partnerkonflikten, mit denen umzugehen man erlernen muss. Liebeskummer ist nun mal schwer zu ertragen.“ Möglicherweise ist also nicht die Verhütungsmethode selbst der Auslöser für Depression und Suizidalität, sondern Probleme, die sich auf dem Boden von Beziehungen und/oder der Sexualität selbst ergeben.

Ist Tod durch Gewalt bei Pillen-Userinnen häufiger?

Und vermutlich viel häufiger als vermutet, spielt das Problem der Partnergewalt eine Rolle. In einer sehr großen Untersuchung in Großbritannien wurden die Daten von fast 50.000 Frauen über einen Zeitraum von 36 Jahren ausgewertet, und es wurde nach Todesursachen im Zusammenhang mit der hormonellen Verhütung gesucht, durch Krebs, durch Thrombosen und durch andere Ursachen. Die einzige Todesursache, die bei den Pillen-Anwenderinnen signifikant häufiger war als bei den Nicht-Anwenderinnen, war Tod durch körperliche Gewalt, die bei Frauen in den meisten Fällen Gewalt von Partnern oder in der Familie bedeutet. Zu diesen Todesfällen kommt mit Sicherheit eine hohe Dunkelziffer von nicht-tödlicher Gewalt. Und der Zusammenhang zwischen Partnergewalt, Depressivität und Selbstmordgefährdung ist nachgewiesen.

„Ich könnte mir vorstellen“, sagt Schaudig, „dass hier einer der wesentlichen Gründe dafür liegen könnte, warum bei Mädchen, die früh mit der Pille verhüten, also früh mit sexuellen Kontakten begonnen haben, Beziehungsprobleme aber vielleicht noch nicht adäquat bewältigen konnten, in der Folge häufiger eine depressive Symptomatik oder auch eine erhöhte Suizidalität gefunden werden kann“.

Wegfall des PMS für viele Frauen eine Erleichterung

Wenn man über das Thema Stimmungsveränderungen unter Pille spricht, dürfe man aber auch auf keinen Fall die möglichen positiven Auswirkungen der Pilleneinnahme vergessen: „Gerade Frauen, die unter einem ausgeprägten Stimmungstief in der zweiten Zyklushälfte leiden, profitieren meist von der Pilleneinnahme, und nicht wenige dieser Frauen sind über den Wegfall der PMS-Symptome überglücklich!“

Mehr Natur, aber sicher – geht das?

Zunehmend gibt es auch die Gruppe der Frauen, die gern ohne Hormone auskommen und trotzdem zuverlässig verhüten wollen, so die Frauenärztin. Insgesamt scheint sich ein Trend dazu zu entwickeln, dass Frauen es als einen Eingriff in die natürlichen Abläufe empfinden, weibliche Hormone mit der Pille willkürlich zu ändern. In einer Onlinebefragung an 889 Frauen zwischen 18 und 40 Jahren aus dem überwiegend akademischen Umfeld, die im Rahmen einer von Dr. Schaudig betreuten, noch nicht publizierten Bachelorarbeit durchgeführt wurde, stimmte dieser Aussage etwa die Hälfte der Befragten zu und gab eine „eher negative“ oder „sehr negative“ Einstellung zur Verhütung mit der klassischen „Antibabypille“ an. Durchaus wurde aber eingeräumt, dass eine sichere Verhütung unbedingt gewünscht sei und es vielen Frauen an für sie geeigneten Alternativen mangele.

„Die natürliche Verhütung, selbst wenn sie mit täglicher, sorgfältiger Temperaturmessung und einer geübten, regelmäßigen Beobachtung des Zervixschleims einhergeht, enthält für meine Begriffe zu große Unsicherheitsfaktoren, um sie beispielsweise für junge Frauen zu empfehlen“, so Schaudig. „Ein gutes Körpergefühl und regelmäßige Zyklen sind hierbei eine Grundvoraussetzung, die keinesfalls jede Frau mitbringt. Ich unterscheide bei meinen Patientinnen zwischen tausendprozentiger und hundertprozentiger Verhütung: Erstere ist insbesondere dann gefragt, wenn eine Schwangerschaft absolut keine Option ist, beispielsweise bei Frauen in der Ausbildung ohne feste oder langjährige Beziehung. “

Wie zuverlässig muss die Verhütung sein?
Es bleiben Barrieremethoden wie Kondom und Diaphragma, die aber keinen so sicheren Schutz wie die hormonelle Verhütung bieten, außerdem die Kupferspirale oder in jüngerer Zeit auch die Kupferkette und der Kupferball. „Die Kupfersysteme enthalten zwar keine Hormone. Aber das Kupfer ruft in der Gebärmutter eine dauerhafte Entzündung hervor. Das ist der Grund, warum sich dann kein befruchtetes Ei mehr einnisten kann. Die Entzündung kann aber auch schwerere, längere und schmerzhaftere Monatsblutungen verursachen.“ Deshalb, so Schaudig, seien auch die Kupfersysteme nicht für alle Frauen geeignet, zumal die kontrazeptive Sicherheit etwas geringer ist als bei den hormonellen Verhütungsmethoden.

Natur und Verhütung sind vom Prinzip her Widersprüche
Das Problem sei, so fasste Schaudig zusammen, dass Natur und Verhütung vom Prinzip gesehen Widersprüche seien: „Von Natur aus ist nicht vorgesehen, dass Frauen so wenige, sondern so viele Kinder wie möglich bekommen. Solange keine besseren Alternativen zur Verfügung stehen, kommen wir für eine zuverlässige Verhütung oft nicht um hormonelle Varianten herum. Die Verhütung allerdings so arm an Risiken und Nebenwirkungen zu gestalten wie möglich, und vor allem die Frauen in ihren individuellen Sorgen, Beschwerden und Ängsten erst zu nehmen, das ist die wichtige ärztliche Herausforderung und Aufgabe.“