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Die Uhr tickt! Pro Minute sterben drei Menschen an Tuberkulose
Zum Welttuberkulosetag: Ein Gespräch mit Christoph Lange vom Forschungszentrum Borstel
Die Uhr tickt: Das Motto des diesjährigen Welttuberkulosetags macht deutlich, dass Tuberkulose nach wie vor eine der todbringendsten Infektionen weltweit ist. Insbesondere die Menschen in ärmeren Ländern, die keinen Zugang zu Medikamenten haben, sind betroffen. Über die Behandlung dieser Krankheit und die neuesten Forschungsergebnisse im DZIF sprachen wir mit dem Tuberkulose-Experten Christoph Lange vom Forschungszentrum Borstel.
Herr Lange, wie viele Welttuberkulosetage muss es noch geben, bis diese Krankheit endlich vom Globus verschwunden ist?
Christoph Lange: Ich glaube, dass wir beide es nicht mehr erleben werden, dass die Welt tuberkulosefrei ist. Die WHO hat ja 2014 sehr ambitionierte Ziele ausgesprochen: Bis 2035 sollte eine erhebliche Reduktion der Tuberkulose-Inzidenz, also der Neuerkrankungen, erreicht sein. Davon sind wir weit entfernt. Ganz im Gegenteil, die Inzidenz fällt nur langsam und wir haben noch nie so viele Menschen auf der Welt gehabt, die an Tuberkulose erkrankt sind, wie momentan.
Welche Probleme muss die Forschung jetzt vordringlich lösen?
Christoph Lange: Die Elimination der Tuberkulose wird nur dann möglich sein, wenn wir eine Impfung haben, die die Erkrankung verhindert und die besser ist als die bisherige sog. BCG-Impfung. Diese wurde vor 100 Jahren ursprünglich an Rindern gegen Kuh-Tuberkulose entwickelt und sie ist nicht ausreichend wirksam. In Deutschland wird sie seit 1998 nicht mehr empfohlen. Aber es gibt derzeit über 20 Kandidaten für Impfstoffe, die in der klinischen Erprobung sind. Am weitesten ist in Deutschland wohl der Impfstoff von Prof. Stefan Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, der auf der ursprünglichen BCG-Vakzine aufbaut. Da muss man die Ergebnisse der klinischen Tests abwarten. Es wurde außerdem im letzten Jahr eine bedeutende Studie zu einem anderen Impfstoff publiziert, der in Südafrika untersucht wurde. Drei Jahre nach Impfung traten in der Impfpopulation nur etwa die Hälfte an Tuberkulose-Fällen auf im Vergleich zu einer Kontrollpopulation. Wenn sich das weiter bewahrheitet, kann man durch eine flächendeckende Impfung die Hälfte der Tuberkulosefälle auf der Welt verhindern, das wären immerhin jedes Jahr nur fünf Millionen statt 10 Millionen Fälle. Das wäre ein ganz substanzieller Beitrag zur Tuberkulosereduktion in der Welt.
Bis dahin steht die Behandlung der Betroffenen im Vordergrund. Immer mehr Patientinnen und Patienten haben multiresistente Erreger, reagieren also nicht mehr auf die gängigen Medikamente. Wie werden diese Betroffenen derzeit behandelt?
Christoph Lange: Von der WHO werden aktuell fünf Medikamente empfohlen, von denen die Patienten mindestens vier einnehmen müssen. Klassischerweise über 18 Monate, bei bestimmten Voraussetzungen und beim Einsatz von den neuesten Medikamenten sind neun bis zwölf Monate möglich. Oft ist die Therapie mit Nebenwirkungen verbunden. Und ein weiteres Problem: Vielfach sind die Medikamente nicht verfügbar. Wir führen gerade eine Studie in Europa durch, wo wir schauen, was ist eigentlich wo verfügbar zur Behandlung der multiresistenten Tuberkulose und der extensiv resistenten Tuberkulose, bei der alle Medikamente versagen. Und es zeigt sich: In der Hälfte der Länder sind adäquate Therapien nicht verfügbar.
Sie behandeln also bei multiresistenten Fällen etwa 18 Monate lang mit vier Medikamenten. Ist das wirklich notwendig?
Christoph Lange: Die Empfehlung, die Patientinnen und Patienten mit multiresistenter Tuberkulose über 18 Monate zu behandeln, was immer noch der Standard ist, ist sehr holzschnittartig. Natürlich brauchen nicht alle Patienten diese lange Zeit bis zur Heilung. Aber bisher wussten wir nicht und wir wissen es immer noch nicht sicher, wie lange man eigentlich behandeln muss. Es handelt sich um eine bakterielle Infektionskrankheit, bei der man idealerweise jeden Monat im Sputum [Auswurf beim Husten] nach Bakterien schaut. Wir wissen ganz sicher, dass wir nicht aufhören dürfen, sobald wir keine Bakterien mehr im Sputum finden. Dann erleiden ganz viele Patienten einen Rückfall, denn viele Bakterien befinden sich noch in irgendwelchen Rückzugsorten, wo sie lange überleben können. Die meisten Patienten haben nach drei Monaten keine Bakterien mehr im Sputum und dennoch behandeln wir 18 Monate zur Sicherheit. Das hat uns schon lange gewurmt. Was man braucht, ist ein Biomarker, der uns sagen kann, wann der einzelne Patient geheilt ist.
Sie haben kürzlich einen solchen Biomarker gefunden, der die Dauer dieser schweren Behandlung voraussichtlich deutlich verkürzen kann. Wie sieht dieser Biomarker aus?
Christoph Lange: Wir haben nun tatsächlich einen solchen Biomarker im Blut gefunden. Dies ist Teamarbeit, zu dem Erfolg haben viele beigetragen. Namentlich möchte ich gerne die Leistung meiner jungen MitarbeiterInnen Maja Reimann und Jan Heyckendorf hervorheben. Mit großer Unterstützung des DZIF haben wir schon 2015 damit begonnen, Kohorten aufzubauen. Zum einen mit Patienten, die eine empfindliche und damit gut behandelbare Tuberkulose haben. Zum anderen Patientinnen mit multiresistenter Tuberkulose, bei denen wir wissen, dass sie nach sechs Monaten nicht gesund sind. Nun haben wir in den Blutproben regelmäßig die RNA [Ribonukleinsäure] bestimmt. Im Blut befinden sich etwa 50.000 verschiedene mRNAs von Genen. Das sind Botenstoffe, die in Proteine umgesetzt werden und individuelle Muster ergeben. Wir haben dann geschaut, ob bestimmte Gene bei Patienten in einer bestimmten Weise hoch- oder herunterreguliert sind und so vielleicht über die Krankheit eine Aussage machen. Letztendlich konnten wir 22 mRNAs bei den Patienten finden, die aussagekräftig für Tuberkulose sind. Diese Signatur aus 22 Genen erlaubt es uns wahrscheinlich, das sichere Ende der Therapie und eine Heilung zu erkennen. Das ist tatsächlich ein Meilenstein. Der nächste Schritt besteht darin, diesen Biomarker noch einmal mit Vergleichsgruppen zu testen. Wir hoffen, dass ein Behandlungsstopp durch den Biomarker in der einen Gruppe nicht zu mehr Rückfällen führt als in einer Vergleichsgruppe ohne Biomarker-Stopp, in der also meist länger therapiert wird.
Ist ein solcher genetischer Biomarker auch für den Einsatz in ärmeren Ländern geeignet?
Christoph Lange: Das ist unser Ziel. Wir sind mit einer Firma dabei, eine diagnostische Plattform in Größe einer Kaffeemaschine zu entwickeln, die dann überall einsetzbar ist und den Ärzten sagt: Der Patient braucht noch ein wenig oder der ist kuriert. Wenn das funktioniert, dann bräuchten die Patienten 130 Tage weniger im Schnitt. Das ist sehr viel, wenn man bedenkt, dass viele Patienten unter den Nebenwirkungen leiden und die Therapie für sie oft eine Qual ist. In Deutschland kostet eine Tuberkulose-Behandlung um die 100 Euro pro Tag, es wäre also auch eine große Kostenersparnis. Ein Meilenstein für die Präzisionsmedizin.
Präzisionsmedizin ist ein Schlüssel zu einer effizienten Tuberkulosetherapie. Wie wichtig sind dafür neben Biomarkern auch neue Medikamente?
Christoph Lange: Die Notwendigkeit neuer Medikamente ist groß. Viele eingesetzte Medikamente sind alt. Ende 2013 kamen nach langer Entwicklungspause zwei neue Tuberkulosemedikamente hinzu. Doch gegen eins davon werden die Bakterien zunehmend resistent, sodass wir unser bestes Schwert im Kampf gegen die Tuberkulose gerade verlieren. Im DZIF haben wir – entwickelt vom Hans-Knöll-Institut in Jena gemeinsam mit dem Team um Professor Michael Hölscher in München–, eine neue Substanz, das BTZ 043, die bereits in der zweiten klinischen Phase evaluiert wird. Das DZIF ist auch einer der Sponsoren der größten Studie zur Evaluation neuer Medikamente gegen Tuberkulose in Europa. UNITE4TB heißt unser neue Konsortium, in dem in den nächsten Jahren zehn neue Medikamente getestet werden sollen.
Herr Lange, die Uhr tickt. Pro Minute sterben drei Menschen an Tuberkulose. Sehen Sie die Möglichkeit, dass die Tuberkulose in absehbarer Zeit für alle, auch für die Ärmsten, zu einer heilbaren Krankheit wird?
Christoph Lange: Wir haben uns ja ein bisschen daran gewöhnt, dass Tuberkulose bis 2020 die häufigste zum Tode führende Infektionskrankheit war. Erst Ende 2020 war plötzlich COVID 19 da und hat etwas mehr Todesfälle verursacht als die Tuberkulose. Dass aber 2020 auch knapp 1,5 Millionen Menschen an Tuberkulose verstorben sind, hat kaum ein mediales Echo erfahren. Die Krankheit bleibt ein wenig im Hintergrund. Mehr als ein Drittel aller Tuberkulosekranken leben in Indien und China, wo die Tuberkulose alltäglich ist und viele resistente Fälle nicht behandelbar sind. Um die Todeszahlen zu senken, braucht man unbedingt als allererstes eine frühe Fallfindung, was in Zeiten von COVID besonders erschwert ist. Man testet auf COVID und sieht die Tuberkulose nicht. In Europa haben wir die Möglichkeit, die Tuberkulose rechtzeitig zu erkennen. Hier hat man ein anderes Problem, man sieht die Tuberkulose so selten, dass sie von Ärzten oft nicht erkannt wird. In Deutschland kann man zum Glück auch schwere Fälle in der Regel heilen. Aber um die Mortalität der Tuberkulose weltweit zu senken, brauchen wir eine frühe Fallfindung, neue Medikamente und tatsächlich auch einen Impfstoff, der präventiv das Auftreten einer Tuberkulose verhindert.
Lieber Herr Lange, wir danken Ihnen für das Gespräch.