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Mutationen in SYK verursachen eine schwere Störung des Immungleichgewichts mit Krebsprädisposition

Forscherinnen und Forscher entschlüsseln den Wirkmechanismus einer schweren Immunstörung mit Entzündungen z.B. des Darms, der Haut und des Nervengewebes. Wie nun bekannt ist, wird dieses Krankheitsbild ausgelöst durch Mutationen in einem Signalmolekül namens Milz-Tyrosin-Kinase (Spleen Tyrosine Kinase, SYK). Die neu entdeckten Mutationen im dafür zuständigen Gen führen zu einer Daueraktivierung von SYK – in der Folge kommt es zu Störungen der Infektabwehr, Entzündungen und einer Anfälligkeit für Lymphome. Betroffenen Patientinnen und Patienten kann durch die Aufklärung des Krankheitsmechanismus in der Zukunft möglicherweise eine zielgerichtete Behandlung angeboten werden.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases (LBI-RUD) ist es jetzt gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam gelungen, eine bislang nicht bekannte genetische Ursache für schwere Multiorgan-Entzündungen einschließlich chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen zu finden. Eine genetische Analyse zeigte Mutationen im Gen für die Milz-Tyrosin-Kinase (Spleen Tyrosine Kinase, SYK). Dabei handelt es sich um ein Eiweißmolekül, das maßgeblich an der Signalübertragung zur Aktivierung des Immunsystems beteiligt ist. Die in der nun im Fachjournal Nature Genetics veröffentlichten Studie identifizierten Patientinnen und Patienten zeigten ein ähnliches Krankheitsbild mit wiederkehrenden Entzündungen, gestörter Immunregulation und deutlicher Veranlagung zur Entwicklung von Lymphomen. Lymphome stellen eine Krebsart dar, die von infektionsbekämpfenden Zellen des Immunsystems, den so genannten Lymphozyten, ausgeht.

Infektneigung und Immunabwehr gegen den eigenen Körper

„Wir konnten erstmals zeigen, dass Veränderungen im SYK-Gen die Ursache dieser schweren Immunstörung sind“, erklärt Daniel Mayr, geteilter Zweitautor und medizinischer Diplomand in der Forschungsgruppe von Assoc.-Prof. Dr. Kaan Boztug am LBI-RUD. „SYK ist ein Schlüsselmolekül in der Immunregulation und damit potenzieller Angriffspunkt für Therapien. Seine mutationsbedingte Hyperaktivität führt zu einer gestörten Immunantwort und es treten sowohl vermehrt Infekte auf als auch Angriffe gegen körpereigene Strukturen durch das Immunsystem“, erklärt Boztug, Ko-Seniorautor der Studie und Direktor des LBI-RUD sowie Wissenschaftlicher Direktor der St. Anna Kinderkrebsforschung. Bei den in der Studie beschriebenen Personen kam es durch die SYK-Überaktivierung zu Immundefekten und Entzündungsreaktionen unterschiedlicher Ausprägungen im Darm, der Haut, in Gelenken, der Leber und dem Nervensystem.

Maßgeschneiderte Vorsorge und Behandlung bei SYK-Mutation?

Patientinnen und Patienten mit SYK-Mutationen haben aber auch ein erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen des Blutes und bedürfen daher einer regelmäßigen Kontrolle. Die sechs in dieser Forschungsarbeit untersuchten Patientinnen und Patienten befinden sich an unterschiedlichen Orten auf der ganzen Welt, hatten aber eine ähnliche Symptomatik. „Diese Studie ist erneut ein Beispiel, wie in weltweiter Kollaboration grundlegendes Wissen bei seltenen Erkrankungen gewonnen werden kann. Wir freuen uns ganz besonders über die sehr produktive Kollaboration zwischen unserem SickKids Kinderspital in Toronto mit den Kolleginnen und Kollegen in Wien und anderen Teilen der Welt!“, führt Ko-Seniorautor Prof. Dr. Aleixo Muise aus. Durch die neue Erkenntnis, dass bei allen die gleiche Krankheitsursache zugrunde liegt, wurde erstmals ein gezielter Erfahrungsaustausch zwischen den behandelnden Zentren möglich. Die Patientinnen und Patienten werden nunmehr im Rahmen einer entsprechenden Krebsvorsorge regelmäßig untersucht.
Obwohl bisher nur sechs Personen mit molekularer Störung im SYK-Gen bekannt sind, steht diesen bereits eine mögliche zielgerichtete Behandlung mit einem SYK-Inhibitor zur Verfügung, da dieses Medikament bereits für andere Erkrankungen zugelassen ist. Innerhalb der hier vorgestellten Studie wurde noch keine Person mit einem SYK-Inhibitor behandelt. Zukünftigte Studien werden aber untersuchen, ob ein solcher Ansatz als zielgerichtete („personsalisierte“) Therapieoption in Frage kommt, insbesondere bei schweren Formen der Erkrankung, die mit anderen Therapieoptionen nicht gut kontrolliert werden können.

Über das Seltene zu den Grundlagen

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des LBI-RUD sind überzeugt, dass neue Erkenntnisse zu seltenen Erkrankungen immer auch einen größeren Nutzen haben als den aktuell ersichtlichen. „Seltene Krankheiten helfen uns, grundlegende biologische Prinzipien zu entschlüsseln. Neues Wissen und tieferes Verständnis der Entstehung dieser Phänomene führen uns dann im Idealfall zurück in die Klinik und zu personalisierten Behandlungen“, sagt Boztug.
Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf einer internationalen Zusammenarbeit des LBI-RUD, der St. Anna Kinderkrebsforschung, dem CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW und der Medizinischen Universität Wien mit führenden Zentren weltweit: SickKids Research Institute, Toronto, Children’s Hospital of Fudan University, Shanghai, East China Normal University, Shanghai und University of Oxford.

Publikation:
Gain-of-function variants in SYK cause immune dysregulation and systemic inflammation in humans and mice
Lin Wang, Dominik Aschenbrenner, Zhiyang Zeng, Xiya Cao, Daniel Mayr, Meera Mehta, Melania Capitani, Neil Warner , Jie Pan, Liren Wang, Qi Li, Tao Zuo, Sarit Cohen-Kedar, Jiawei Lu, Rico Chandra Ardy, Daniel J. Mulder,
Dilan Dissanayake, Kaiyue Peng, Zhiheng Huang, Xiaoqin Li, Yuesheng Wang, Xiaobing Wang, Shuchao Li, Samuel Bullers, Anís N. Gammage , Klaus Warnatz, Ana-Iris Schiefer, Gergely Krivan, Vera Goda, Walter H. A. Kahr, Mathieu Lemaire, Genomics England, Research Consortium, Chien-Yi Lu, Iram Siddiqui, Michael G. Surette, Daniel Kotlarz, Karin R. Engelhardt, Helen R. Griffin, Robert Rottapel, Hélène Decaluwe, Ronald M. Laxer, Michele Proietti, Sophie Hambleton , Suzanne Elcombe, Cong-Hui Guo, Bodo Grimbacher, Iris Dotan, Siew C. Ng, Spencer A. Freeman, Scott B. Snapper , Christoph Klein , Kaan Boztug, Ying Huang , Dali Li , Holm H. Uhlig and Aleixo M. Muise

Corresponding authors: Ying Huang, Holm H. Uhlig, Aleixo M. Muise
These authors contributed equally: Lin Wang, Dominik Aschenbrenner, Zhiyang Zeng
These authors jointly supervised this work: Kaan Boztug, Ying Huang, Dali Li, Holm H. Uhlig, Aleixo M. Muise

DOI: 10.1038/s41588-021-00803-4
https://doi.org/10.1038/s41588-021-00803-4

Förderung:
Diese Arbeit erhielt Förderungen von: National Key R&D Program of China, JiuJiu Charitable Trust, German Research Foundation, Care-for-Rare Foundation, National Institute for Health Research Biomedical Research Centre, Crohn’s and Colitis Canada, Canadian Association of Gastroenterology, Canadian Institutes of Health Research, European Research Council, Germany’s Excellence Strategy, ERA-Net E-Rare, German Ministry of Education, Wellcome Trust, Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust, National Institutes of Health, Government of Canada and SickKids Foundation.

Über das Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases
Das Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases (LBI-RUD) wurde von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft im April 2016 in Zusammenarbeit mit dem CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Medizinischen Universität Wien und der St. Anna Kinderkrebsforschung gegründet. Die drei Partnerinstitutionen stellen gemeinsam mit dem CeRUD die wichtigsten Kooperationspartnerinnen des LBI-RUD dar, dessen Forschungsschwerpunkt auf der Entschlüsselung von seltenen Erkrankungen des Immunsystems, der Blutbildung, und des Nervensystems liegt – diese Arbeiten bilden nicht nur die Basis für die Entwicklung von personalisierten Therapieansätzen für die unmittelbar Betroffenen, sondern liefern darüber hinaus einzigartige und neue Einblicke in die Humanbiologie. Das Ziel des LBI-RUD ist es, unter Einbeziehung der Expertise seiner Partnerorganisationen ein koordiniertes Forschungsprogramm zu etablieren, das neben den wissenschaftlichen auch gesellschaftliche, ethische und ökonomische Gesichtspunkte seltener Erkrankungen einbezieht und berücksichtigt.
Weitere Informationen: www.rarediseases.at

Über die St. Anna Kinderkrebsforschung
Die St. Anna Kinderkrebsforschung (St. Anna Children’s Cancer Research Institute, CCRI) ist eine internationale und interdisziplinäre Forschungseinrichtung, die das Ziel verfolgt, durch innovative Forschung diagnostische, prognostische und therapeutische Strategien für die Behandlung von an Krebs erkrankten Kindern und Jugendlichen weiterzuentwickeln und zu verbessern. Unter Einbeziehung der spezifischen Besonderheiten kindlicher Tumorerkrankungen arbeiten engagierte Forschungsgruppen auf den Gebieten Tumorgenomik und -epigenomik, Immunologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Bioinformatik und klinische Forschung gemeinsam daran, neueste wissenschaftlich-experimentelle Erkenntnisse mit den klinischen Bedürfnissen der Ärztinnen und Ärzte in Einklang zu bringen und das Wohlergehen der jungen Patientinnen und Patienten nachhaltig zu verbessern.
Weitere Informationen: www.kinderkrebsforschung.at, www.ccri.at

Über das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien.
Weitere Informationen: www.cemm.at

Über die Medizinische Universität Wien
Die Medizinische Universität Wien (MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit 5.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 30 Universitätskliniken und zwei klinischen Instituten, 12 medizintheoretischen Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien zählt sie auch zu den bedeutendsten Spitzenforschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich.
Weitere Informationen: www.meduniwien.ac.at